GRABESDUNKEL STEHT DER WALD. Eberhard Weidner

GRABESDUNKEL STEHT DER WALD - Eberhard Weidner


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vermutlich weder an sein früheres Leben noch an mich.«

      »Das stimmt. Aber körperlich ist er zumindest unversehrt. Und Erinnerungen können unter Umständen irgendwann – mal früher, mal später – wieder zurückkommen.«

      »Glauben Sie das wirklich?«

      »Um ehrlich zu sein: Ich weiß es nicht. Es dürfte vor allem davon abhängen, ob die Amnesie Ihres Mannes körperliche Ursachen hat – zum Beispiel aufgrund einer Schädigung des Gehirns – oder auf psychologische Gründe zurückzuführen ist – beispielsweise ein traumatisches Erlebnis. Sie sollten daher unbedingt einen Facharzt mit ihm aufsuchen. Aber auf jeden Fall dürfen Sie die Hoffnung nicht aufgeben, dass er irgendwann wieder Zugang zu seinen Erinnerungen bekommt und wieder ganz der Alte wird.«

      Cora erschauderte bei diesem Gedanken und schloss die Augen. Nicht auszudenken, wenn Anja Spangenberg recht behalten sollte. Sie war froh, dass die Beamtin sie in diesem Moment nicht sehen konnte. Dann seufzte sie, bevor sie sagte: »Sie haben recht, Frau Spangenberg. Ich darf die Hoffnung nicht aufgeben. Und wie geht es jetzt weiter?«

      »Was meinen Sie damit?«

      »Damit meine ich vor allem eins: Wann kommt mein Mann wieder nach Hause?«

      »Ach so. Nun, im Augenblick ist er noch in Regensburg. Ich wollte erst mit Ihnen Rücksprache halten und auf Nummer sicher gehen, bevor ich seine Überstellung nach München veranlasse. Aber da es nun ja geklärt ist, dass es sich um Ihren Mann handelt, steht dem natürlich nichts mehr im Wege. Ich werde sofort bei den Kollegen anrufen und den Transport organisieren. Freuen Sie sich also, Frau Eichholz, denn spätestens heute Abend können Sie Ihren Mann wieder in die Arme schließen.«

      4

      Doch Cora war nicht danach, sich zu freuen.

      Im Gegenteil! Sobald sie das Gespräch mit der Polizistin nach ein paar abschließenden belanglosen Worten und den formelhaften Abschiedsgrüßen beendet hatte, wurde ihr furchtbar schlecht.

      Sie warf das Telefon achtlos auf die Schreibtischplatte und rannte ins Bad, das zum Glück direkt neben ihrem Arbeitszimmer lag, denn eine weitere Strecke hätte sie vermutlich nicht geschafft, ohne eine Sauerei zu verursachen. Sie konnte gerade noch den Klodeckel nach oben reißen, bevor sie sich laut würgend übergeben musste.

      Da in ihrem Kopf ein ebenso heilloses Durcheinander herrschte wie in ihrem aufgewühlten Magen, wusste sie nicht mehr, was sie heute gefrühstückt hatte. Doch egal, was es auch gewesen war, sie gab alles in einem einzigen heißen und übel riechenden Schwall von sich, den sie sich lieber nicht genauer ansah, sondern rasch beseitigte, indem sie auf den Spülknopf drückte.

      Anschließend ließ sie sich erschöpft neben der Toilettenschüssel zu Boden sinken und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Badewanne. Ihre Übelkeit war verschwunden. Und auch das Chaos in ihrem Verstand lichtete sich allmählich, sodass sie wieder in der Lage war, einen klaren Gedanken zu fassen.

      Cora bewegte behutsam den Kopf hin und her, hinter dessen Stirn noch immer der Schmerz wütete, als die Gewissheit, dass Markus in wenigen Stunden nach Hause zurückkehren würde, allmählich in ihr Bewusstsein einsickerte und dort Wurzeln schlug. Obwohl es eine Tatsache war, konnte sie noch immer nicht glauben, dass er tatsächlich wieder aufgetaucht war, nachdem er vor drei Monaten von einem Tag auf den anderen spurlos verschwunden war, als hätte sich der Erdboden aufgetan und ihn verschluckt.

      Und in der Tat sollte das, was gerade geschah, eigentlich absolut unmöglich sein, da ihr Mann tatsächlich vom Erdboden verschlungen worden war. Er sollte nämlich mausetot sein und in einem Grab mitten im Wald verrotten. Wie konnte er also unversehens drei Monate nach seinem Tod wieder auftauchen und bis auf den Komplettausfall seines Gedächtnisses wohlauf sein?

      ZWEITES KAPITEL

      1

      Die Idee, ihren Mann umbringen und spurlos verschwinden zu lassen, war ihr vollkommen spontan zwei Wochen vor der Tat bei einem Treffen mit ihrem Geliebten gekommen.

      Sascha Winkler arbeitete als Trainer in einem Fitnessstudio, war ein Meter neunzig groß und äußerst muskulös. Doch trotz all der Anabolika und anderen illegalen Muskelaufbaupräparate, die er in den letzten Jahren geschluckt hatte, um seinem Idol Arnold Schwarzenegger nachzueifern, war er von der Natur nicht nur mit einem Ehrfurcht gebietenden Geschlechtsorgan, sondern auch mit der Ausdauer eines Langstreckenläufers ausgestattet worden. Seine Defizite lagen eher im intellektuellen Bereich, denn unter der blonden Kurzhaarfrisur und zwischen den beiden großen, etwas abstehenden Ohren befand sich ein Gehirn, dessen IQ an guten Tagen allenfalls im oberen zweistelligen Bereich anzusiedeln war. Allerdings war er extrem zuverlässig, Cora treu ergeben und schweigsam. Eigenschaften, die seine Unzulänglichkeiten in ihren Augen mehr als ausglichen. Daher hatte Cora trotz seiner gedanklichen Trägheit letztendlich auch keinerlei Bedenken gehabt, ihn mit dem Mord an Markus zu beauftragen.

      Doch daran hatte sie noch nicht einmal im Traum gedacht, als sie sich, wie so oft, seit sie sich acht Monate zuvor kennengelernt und ihre außereheliche Beziehung begonnen hatten, am späten Nachmittag in Saschas Wohnung zu einer schnellen Nummer trafen. Cora hatte wie immer nur wenig Zeit, weil sie noch das Abendessen zubereiten musste, bevor Markus von einem wichtigen Geschäftstermin nach Hause kam.

      Der Sex war wie immer kurz, aber heftig gewesen, und Cora fühlte sich unmittelbar danach etwas erschöpft und wund, gleichzeitig aber auch in höchstem Maße ausgefüllt und befriedigt. Wie immer, wenn sie mit Sascha schlief, hatte sie das überwältigende Gefühl, viel lebendiger und präsenter als sonst zu sein. Denn obwohl Sascha nicht unbedingt die hellste Birne am Kronleuchter war, war er – zumindest was den Sex anging – sehr einfallsreich. Aber vielleicht kam es ihr auch nur so vor, weil der Geschlechtsakt mit ihrem Ehemann schon seit längerer Zeit eine eher langweilige und eintönige Angelegenheit war. Sofern sie überhaupt noch miteinander schliefen, was von Jahr zu Jahr immer seltener vorkam.

      Während Cora schon wieder neben dem Bett stand und sich mit raschen Bewegungen anzog, lag Sascha noch immer auf dem Bett, wie der liebe Gott ihn unter großzügiger Zuhilfenahme anaboler Steroide erschaffen hatte, und sah ihr lächelnd zu.

      Es war Ende Juni und schon sehr warm, doch nicht nur deshalb waren beide jetzt verschwitzt. Cora würde, sobald sie zu Hause war, erst einmal unter die Dusche springen, um neben dem Schweiß auch Saschas Geruch von ihrer Haut zu waschen. Aus diesem Grund beeilte sie sich auch mit dem Anziehen.

      »Wir müssen uns unbedingt öfter und länger sehen«, sagte Sascha unvermittelt und seufzte, als Cora die Bluse schloss und ihm damit den Ausblick auf ihre großen, vollen Brüste verwehrte.

      Obwohl Cora bereits siebenundvierzig Jahre alt und damit über zehn Jahre älter als der 35-jährige Bodybuilder war, war sie noch immer eine schöne und begehrenswerte Frau. Sie hatte schulterlanges und leicht gelocktes champagnerblondes Haar und ein ebenmäßiges, ovales Gesicht mit einer kleinen Stupsnase, von Natur aus vollen, glänzenden Lippen und großen, ausdrucksstarken blauen Augen. Mit ihrem schlanken Körper und ihrer Größe von eins vierundsechzig wirkte sie neben dem großen Fitnesstrainer allerdings zuweilen wie ein Kind an der Seite eines Erwachsenen.

      Cora hörte auf, ihre Bluse zuzuknöpfen, hob den Kopf und sah Sascha nachdenklich an. Wenn sie ehrlich war, wollte sie bestimmt nicht den Rest ihres Lebens mit ihm verbringen. Der Sex war zwar außergewöhnlich und genau das, was sie von Zeit zu Zeit dringend brauchte, um ihrem eintönigen und langweiligen Ehealltag zu entfliehen, doch zu einer echten Partnerschaft gehörte ihrer Meinung nach mehr als nur guter Sex. Und Sascha war nun einmal nicht der Typ, mit dem man mal eben tiefschürfende Gespräche über Politik, Bücher oder das Weltgeschehen führen konnte. Allerdings hätte auch sie nichts dagegen einzuwenden gehabt, sich öfter mit ihm zu treffen und mehr als nur die übliche halbe Stunde mit ihm zu verbringen.

      »Und wie stellst du dir das vor?«, fragte sie und hob die Augenbrauen. »Du weißt doch, dass Markus die meiste Zeit zu Hause ist, sodass ich nicht einfach wegkann, wenn ich will. Und wenn er doch mal gelegentlich aus geschäftlichen Gründen wegmuss, was leider viel zu selten


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