GRABESDUNKEL STEHT DER WALD. Eberhard Weidner
»Und was ist mit deinem Plan, deinen Mann … Na, du weißt schon.«
Sie schlüpfte in ihre Schuhe und nahm ihre Prada-Handtasche vom Nachtschränkchen. »Ich erzähle dir von meinem Plan, sobald wir uns das nächste Mal sehen. Ich muss mir ohnehin erst noch ein paar Gedanken darüber machen.« Sie wackelte zum Abschied mit den Fingern, bevor sie sich abwandte und das Schlafzimmer verließ.
Sobald sie in ihrem Wagen saß und auf dem Weg nach Hause war, dachte sie darüber nach, wie sie ihr Vorhaben verwirklichen konnten, ohne all die dummen Fehler zu begehen, die so vielen anderen vor ihnen schon zum Verhängnis geworden waren. Schließlich wollte sie durch die Tat mehr Freiheit haben und nicht das Gegenteil erreichen und die nächsten Jahre im Gefängnis verbringen.
Doch sie musste sich gar nicht so viele Gedanken machen. Die Entscheidung, Markus umzubringen, die zunächst nur ein plötzlicher vager Einfall gewesen war, der sie im Grunde selbst überrascht hatte, war wie ein Same, der in ihrem lebhaften Verstand auf fruchtbaren Boden gefallen war und nun prächtig gedieh und heranreifte. Er wuchs mit geradezu phänomenaler Geschwindigkeit und entwickelte sich fast von allein zum vollständigen und ausgereiften Plan des perfekten Mordes. Denn der perfekteste Mord war in ihren Augen derjenige, den niemand als solchen erkannte.
Als sie fünfzehn Minuten später ihren Wagen in die große Garage neben dem Haus fuhr, wusste sie bereits ganz genau, wie sie Markus im wahrsten Sinne des Wortes vom Angesicht der Erde verschwinden lassen würden, sodass hinterher nicht der geringste Verdacht auf sie fiel.
Denn ohne Leiche auch kein Mord! Und ohne Mord keine Gefängnisstrafe!
3
Ihr Plan war einerseits höchst effektiv, andererseits aber auch bewusst einfach gehalten, da Cora der Ansicht war, dass einfache Pläne von Haus aus weniger Fehlerquellen beinhalteten. Je komplizierter und verzwickter ein Vorhaben war, desto eher übersah man etwas und machte einen unverzeihlichen Fehler. Außerdem mussten der Plan und insbesondere Saschas Beteiligung daran so einfach und schlicht gestaltet sein wie möglich, damit auch er problemlos damit zurechtkam. Schließlich war er der Hauptakteur, der die Drecksarbeit zu erledigen hatte, während sie sich dezent im Hintergrund hielt, um nicht in Verdacht zu geraten.
Das Wichtigste war für sie daher zunächst, dass sie sich ein wasserdichtes Alibi verschaffte, denn selbstverständlich würde nach Markus’ Verschwinden der Verdacht sofort auf sie fallen. Deshalb beschloss sie, am übernächsten Wochenende für ein paar Tage zu ihren Eltern nach Norddeutschland zu fahren. Zufälligerweise feierte ihr Vater an diesem Sonntag seinen dreiundsiebzigsten Geburtstag. Normalerweise hätte sie nur ein sündteures Geschenk geschickt und kurz angerufen, da das Verhältnis zu ihren Eltern nicht das Allerbeste war. Doch nun kam ihr diese Gelegenheit wie gerufen, da es ihr einen triftigen und unverdächtigen Grund verschaffte, von hier wegzukommen, während Sascha seinen Löwenanteil an ihrem Plan verwirklichte.
»Warum kommst du nicht mit?«, fragte Cora ihren Mann, nachdem sie ihm vier Tage nach dem Treffen mit ihrem Geliebten beim gemeinsamen Abendessen mitgeteilt hatte, dass sie zum Geburtstag ihres Vaters fahren wollte. »Eine Pause würde dir auch mal guttun. Nicht immer nur in deinem Arbeitszimmer hocken und Geld verdienen.«
Seitdem sie sich dazu entschlossen hatte, ihn umzubringen, konnte sie es kaum erwarten, dass es endlich geschah. Dennoch verhielt sie sich ihm gegenüber wie immer und war überzeugt, dass sie ihre Sache gut machte und er keinen Verdacht schöpfte. Vermutlich war an ihr eine begnadete Schauspielerin verloren gegangen.
»Ich dachte, du magst das Geld, das ich verdiene.«
Seine Antwort versetzte ihr einen schmerzhaften Stich. Autsch! Hielt er sie etwa für geldgierig? Doch sie ließ sich nichts anmerken und lachte, als fände sie seine Bemerkung amüsant. »Sicher mag ich Geld, wer tut das nicht. Aber wir haben doch schon so viel.«
»Geld kann man nie genug haben«, sagte er und offenbarte damit, dass er mindestens ebenso geldgierig war, bevor er einen Schluck von dem sündhaft teuren Rotwein nahm, den er am liebsten trank.
»Das heißt dann wohl, dass du nicht mitfährst?«
Markus nickte. »Tut mir leid, Schatz, aber momentan kann ich hier beim besten Willen nicht weg. Es gibt ein paar wichtige geschäftliche Angelegenheiten, um die ich mich persönlich kümmern muss. Aber richte deinen Eltern schöne Grüße von mir aus.«
»Das mache ich natürlich, Schatz.«
Innerlich triumphierte Cora, denn das war genau die Antwort, die sie hatte hören wollen. Sie erwiderte sein Lächeln und sah einen todgeweihten Mann vor sich, der allerdings noch nicht ahnte, was auf ihn zukam. Sie forschte in ihrem Inneren, ob sie irgendwo ein Gefühl des Bedauerns oder der Trauer entdecken konnte, fand jedoch nichts. Deshalb fragte sie sich, ob sie ihn jemals wirklich gemocht oder sich nur eingeredet oder eingebildet hatte, sie würde es tun.
Doch dann zuckte sie nur mit den Schultern und griff nach ihrem gerührten Martini, denn letzten Endes war es ohnehin egal, weil sich diese Frage allerspätestens in zehn Tagen überhaupt nicht mehr stellte.
4
Eine Woche später verabschiedete sich Cora von Markus, nachdem er ihren Koffer im Porsche verstaut hatte.
»Fahr vorsichtig«, sagte er, umarmte sie und gab ihr einen Kuss.
Sie erwiderte den Kuss mit erheblich mehr Leidenschaft, als sie empfand, tröstete sich aber gleichzeitig mit dem Gedanken, dass es ohnehin das letzte Mal wäre, denn seit sie beschlossen hatte, ihn zu ermorden, erfüllte sie jede seiner Berührungen mit Ekel und Widerwillen. Doch erneut ließ sie sich nichts von ihren wahren Gefühlen anmerken und machte stattdessen gute Miene zum bösen Spiel.
»Mach ich«, sagte sie und befreite sich sanft aus seiner Umarmung. »Aber jetzt muss ich wirklich los, schließlich ist es eine lange Fahrt.«
»Mit dem Wagen schaffst du die Strecke im Nullkommanichts.« Er öffnete für sie die Fahrertür und ließ sie einsteigen. »Und die Strafzettel, die du bekommst, zahlen wir aus der Portokasse.«
Sie lachte und startete den Wagen, der mit einem satten Brummen ansprang. Das mit den Strafzetteln war eigentlich eine gute Idee, denn auf diese Weise konnte sie neben den Aussagen ihrer Eltern ihr Alibi erhärten. Wieso war sie nicht darauf gekommen? »Ich ruf dich an, wenn ich angekommen bin. Und was ist mit morgen Abend? Bist du da zu Hause?«
Er nickte. »Wie schon gesagt, muss ich mich um geschäftliche Dinge kümmern. Ansonsten habe ich nichts vor. Ich werde also hier sein.«
»Dann ruf ich dich morgen Abend um zehn noch einmal an.«
»Okay. Und grüß deine Eltern von mir.«
Sie nickte lächelnd, dann wandte sie den Blick nach vorn und fuhr über die gepflasterte Einfahrt zum zweiflügeligen Tor, das tagsüber offen stand. Bevor sie vom Grundstück auf die Straße fuhr, sah sie noch einmal in den Rückspiegel. Markus stand noch immer mit erhobener Hand an derselben Stelle und winkte. Sie hob die Hand und erwiderte sein Winken. Ihr wurde bewusst, dass sie ihn in diesem Augenblick zum letzten Mal sah. Sie spürte einen kurzen Stich des Bedauerns, der jedoch schnell verging, als sie sich vergegenwärtigte, was sie durch den Mord alles gewinnen würde. Dann richtete sie den Blick wieder entschlossen nach vorn und gab Gas, um die Vergangenheit endlich hinter sich zu lassen.
Als sie drei Tage später abends zurückkehrte, war das Haus leer und Markus spurlos verschwunden. Am Tag darauf griff sie zum Telefon, rief die Polizei an und meldete ihn als vermisst.
Zunächst rechneten die Beamten der Kriminalpolizei angesichts ihres Reichtums mit einer Entführung, doch als sich kein Einführer meldete, um ein hohes Lösegeld zu fordern, wurde die Angelegenheit vierzehn Tage später der Vermisstenstelle übergeben. Schließlich lagen auch nicht die geringsten Anhaltspunkte für eine Straftat vor, und das Alibi der Ehefrau, die in derartigen Fällen vermutlich zuerst und manchmal auch nicht zu Unrecht verdächtigt wurde, war wasserdicht. Deshalb gingen alle davon aus, dass Markus aus eigenem Antrieb und freiwillig verschwunden war.
Damit