GRABESDUNKEL STEHT DER WALD. Eberhard Weidner

GRABESDUNKEL STEHT DER WALD - Eberhard Weidner


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mit seinem Wissen erpresste, wenn sie seiner irgendwann müde wurde und ihm den Laufpass gab. Schließlich hatte er sie in der Hand, denn er brauchte der Polizei nur einen anonymen Hinweis auf den Ort im Ebersberger Forst zu geben, an dem er Markus verscharrt hatte, und einfach behaupten, Cora hätte ihren Mann umgebracht. Sie hatte zwar ein Alibi für den Tattag, doch wenn der genaue Tatzeitpunkt nach mehreren Monaten in der Erde möglicherweise gar nicht mehr feststellbar war, war dieses Alibi nicht mehr viel wert. Sie wiederum konnte dann im Gegenzug schlecht auf Sascha zeigen und ihn des Mordes bezichtigen, ohne ihre eigene Mittäterschaft zu offenbaren. Denn wie sollte sie sonst den Mörder kennen, wenn sie ihn nicht selbst mit dem Mord beauftragt oder ihm – beispielsweise indem sie ihm einen Ersatzschlüssel gegeben und den Code für die Alarmanlage verraten hatte – sogar dabei geholfen hatte.

      Um dem vorzubeugen, hatte sie, bevor sie zu ihren Eltern gefahren war, zwei kabellose Miniatur-Überwachungskameras besorgt und an unauffälligen Stellen in der Wohnung deponiert. Die Kameras schalteten sich zu einem zuvor von ihr einprogrammierten Zeitpunkt ein, filmten alles, was sich in den nächsten Stunden vor ihren Weitwinkel-Objektiven abspielte, in bester HD-Qualität und speicherten die Aufnahmen auf den Micro-SD-Karten.

      Von den Kameras und den Aufnahmen hatte sie Sascha natürlich nichts erzählt. Sie wollte ihn erst dann damit konfrontieren, wenn es irgendwann notwendig werden sollte, um ihn davon abzuhalten, Dummheiten zu begehen. Immerhin würden die Aufnahmen beweisen, dass Sascha in jener Nacht in ihr Haus eingedrungen war und Markus umgebracht hatte. Und Beweise, dass sie ihn dazu angestiftet oder auch nur dazu ermutigt hatte, gab es hingegen nicht.

      Doch so, wie es jetzt, nach dem Anruf der Ermittlerin aussah, hatte Sascha überhaupt keinen Mord begangen, sondern allenfalls einen gescheiterten Mordversuch.

      Cora hatte sich die Aufnahmen bislang noch gar nicht angesehen. Sie hatte zwar erstaunlicherweise keinerlei Skrupel dabei empfunden, den Mann umbringen zu lassen, mit dem sie seit mehr als zwei Jahrzehnten liiert war, doch bei dem Gedanken, den Mord mitansehen zu müssen, hatte sie ein mulmiges Gefühl.

      Doch nun führte aufgrund der neuesten Entwicklungen kein Weg daran vorbei. Sie musste sich die Aufnahmen ansehen, um zu überprüfen, was damals hier im Haus geschehen war und warum Sascha versagt hatte.

      Denn ihr gegenüber hatte er behauptet, dass die Sache erledigt und alles nach Plan gelaufen wäre, als sie ihn auf der Rückfahrt von ihren Eltern von einem öffentlichen Fernsprecher ungefähr auf halber Strecke angerufen hatte.

      Ohne dass es Cora bewusst wurde, vollführte sie mit ihrem Zeigefinger erneut kleine Kreise auf ihrem Kopf und wickelte ihre Haare um ihren Finger. Dann startete endlich die Aufnahme der ersten Kamera, und Cora hielt die Luft an.

      4

      Doch schon bald ließ Cora die angehaltene Luft wieder entweichen, denn die ersten Bilder, die sie sah, waren wenig spektakulär. Schließlich hatte sie die Kamera sicherheitshalber so programmiert, dass die Aufnahme bereits um neun Uhr abends startete, also eine Stunde vor dem Zeitpunkt, an dem Sascha ins Haus kommen und den Mord begehen sollte. Diese Zeit und das Datum wurden auch am unteren linken Bildrand eingeblendet.

      Sie hatte die erste Kamera in Augenhöhe an der Garderobe im Eingangsbereich befestigt. Rechts und links hingen Jacken, sodass sie nicht so leicht zu entdecken war. Lediglich in der Bildmitte befand sich ein schmaler vertikaler Streifen, der die Haustür und den Bereich unmittelbar davor zeigte. Die Qualität der Aufnahme war hervorragend, man konnte sogar kleinste Details deutlich erkennen. Auch die Beleuchtung war ausreichend, denn Markus hatte immer überall das Licht brennen lassen und sich wenig um ihre ständigen Bitten gekümmert, die Lichter auszumachen, wenn er das Zimmer verließ, um umweltbewusst zu handeln und Energie zu sparen.

      Cora griff nach der Maus und bewegte damit den Schieber der unteren Menüleiste so weit nach rechts, dass die Aufnahme um fünfundfünfzig Minuten vorgespult wurde. Die Szene veränderte sich zwar nicht, als handelte es sich nur um ein Foto, doch die Uhrzeit wechselte und zeigte jetzt 21:55 an.

      Cora wartete zwei Minuten, den Blick starr auf das Videobild gerichtet, das allerdings weiterhin unverändert blieb. Allmählich wurde sie ungeduldig. Wieso tauchte Sascha nicht endlich auf? Hatte sie ihm denn nicht eingetrichtert, dass er pünktlich sein sollte? Schließlich hielt sich Markus zum damaligen Zeitpunkt vermutlich in seinem Arbeitszimmer auf, um auf Coras angekündigten Anruf zu warten, der allerdings nicht kommen würde. Doch wenn sich Sascha arg verspätete und der Anruf ausblieb, würde Markus das Arbeitszimmer möglicherweise schon bald wieder verlassen. Und die günstige Gelegenheit für Sascha, unbemerkt ins Haus zu kommen und ihren Mann zu überraschen, wäre wahrscheinlich dahin. Lag hier also die Ursache für Saschas Versagen? Hatte er letztendlich nur versagt, weil er aus irgendeinem Grund zu spät gekommen war?

      Es juckte ihr in den Fingern, erneut ein Stück zu überspringen, doch sie hatte Angst, sie könnte dadurch den Moment verpassen, in dem Sascha das Haus betrat. Also ließ sie es bleiben und seufzte nur frustriert.

      Und tatsächlich, eine halbe Minute später wurde ihre Geduld belohnt.

      Die Haustür öffnete sich weit genug, damit sich eine große breitschultrige Gestalt hindurchschieben konnte. Dann wurde sie sofort wieder geschlossen.

      Alles spielte sich in absoluter Lautlosigkeit ab, doch das lag nicht etwa daran, dass sich der Eindringling völlig geräuschlos bewegte, sondern allein daran, dass die Miniatur-Überwachungskameras lediglich Bilder und keinen Ton lieferten.

      Nachdem er die Tür geschlossen hatte, sah sich der Mann um. Er entdeckte die Funk-Alarmzentrale, die genau dort an der Wand hing, wo Cora es ihm beschrieben hatte. Sollte er nicht innerhalb der nächsten Sekunden den korrekten PIN-Code eintippen, würde die Anlage Alarm auslösen. Doch der Eindringling reagierte endlich, trat an das Gerät und gab den richtigen Code ein, den er anscheinend vom rechten Handgelenk ablas, wo er ihn notiert hatte, um ihn nicht zu vergessen. Dann blieb er für ein paar Sekunden reglos stehen und schien konzentriert zu lauschen.

      Der Mann war von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet und trug Lederstiefel, Jeans, dünne Handschuhe und einen Kapuzenpulli. Die Kapuze hatte er allerdings nicht hochgeschoben.

      Obwohl Cora das Gesicht des Mannes bislang noch nicht gut genug gesehen hatte, war seine markante Gestalt in ihren Augen dennoch unverkennbar. Trotz der Kleidung konnte sie die trainierten Muskeln erkennen, die sie schon so oft in natura und unverpackt gesehen und bewundert hatte. Dennoch hoffte sie, Sascha würde sich endlich umdrehen, um der Kamera sein Gesicht zu zeigen.

      Und als hätte er ihren stummen Wunsch aus der Zukunft gehört, drehte er sich in diesem Moment tatsächlich um und wandte der versteckten Kamera seine Frontseite zu. Das Abbild seines Gesichts auf dem Monitor war gestochen scharf und unverkennbar und würde jeden Kriminalbeamten, Staatsanwalt und Richter davon überzeugen, dass es Sascha gewesen war, der in der Nacht, als Markus verschwand, ins Haus eingedrungen war. Sollte er es dennoch abstreiten wollen, würde er sich angesichts dieser Aufnahme nur der Lächerlichkeit preisgeben. Und falls er behauptete, Cora hätte ihm nicht nur den Code für die Alarmanlage, sondern auch den Hausschlüssel gegeben, dann konnte er das nicht beweisen, denn wie Cora es von ihm verlangt hatte, hatte er den Schlüssel auf der Flurkommode neben dem Telefon deponiert, bevor er wieder verschwunden war.

      Cora bemerkte erst jetzt, dass sie breit grinste, denn ihr Plan, mit den heimlichen Videoaufnahmen ein Druckmittel in der Hinterhand zu haben, war aufgegangen. Und sollte die Polizei für den Fall, dass sie es tatsächlich einsetzen musste, fragen, warum sie die Aufnahmen nicht gleich präsentiert hatte, würde sie einfach behaupten, dass sie sie erst jetzt entdeckt hatte, weil Markus die Kameras ohne ihr Wissen angebracht hatte, möglicherweise aus Angst vor genau dem Mann, der nun auf den Aufnahmen zu sehen war.

      Doch dann verblasste ihr Grinsen wieder, als ihr erneut bewusst wurde, dass sich durch Markus’ Auftauchen ohnehin alles verändert hatte. Es gab nämlich gar keinen Mord, für den Sascha und sie hinter Gitter kommen konnten. Sascha hatte niemanden ermordet, und sie hatte sich weder der Anstiftung noch der Beihilfe schuldig gemacht. Alles, was geschehen war, war nur ein versuchter Mord, der zwar ebenfalls strafbar war, doch das auch nur dann, wenn Markus seine Erinnerungen daran wiedererlangte.

      Doch


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