Rund um das Bett der Anna von Österreich. Walter Brendel
Mittlerweile wissen wir allen, dass das Erstgeborne Kind ein Mädchen war. Zwei Jahre später folgte mit Maria ein weiteres Mädchen und erst am 8. April 1605 wurde der Sohn geboren, der als Philipp IV. von Spanien die die Geschichtsbücher eingehen sollte.
Margarete von Innenösterreich, dem früheren Namen der Steiermark, starb, als Anna erst zehn Jahre alt war. Wenig später verlobte man die spanische Prinzessin habsburgischen Blutes mit dem gleichaltrigen Ludwig IVX. dessen Vater Heinrich IV. aus dem Hause Bourbon war. Bereits am 25.11.1615, fand die Trauung Annas mit ihrem leiblichen Neffen in der Kathedrale Saint-André in Bordeaux statt. Hochzeiten dieser Art waren in der damaligen Zeit keine Rarität.
Maria de’ Medici5, Ludwigs Mutter, hatte diese Verbindung auf Anregung ihres Beraters Concino Concini6 arrangiert.
Die Ehe mit Ludwig
Anna und Ludwig XIII. waren ein Paar, das unterschiedlicher nicht sein konnte: Er bevorzugte die Jagd, sie war dem Theater, dem Tanz und der leichten Muse zugetan.
Das zeigte sich schon in der Kindheit. Ludwig XIII. wurde am 27. September 1601 in Fontainebleau geboren und war der zweite französische König aus dem Haus Bourbon. Er war der älteste Sohn von Heinrich IV. von Frankreich und dessen zweiter Gemahlin Maria de’ Medici. Nach der Ermordung seines Vaters im Jahr 1610 folgte er diesem im Alter von neun Jahren auf den Thron.
Ludwig wuchs fern vom Hof unter der Obhut der Madame de Mouglat und des Leibarztes Jean Héroard (1551–1628) auf. Letzterer führte ein genaues Tagebuch über die gesundheitliche Verfassung, Psyche, Neigungen und Beschäftigungen des jungen Thronerben und hinterließ damit ein einzigartiges Dokument über die Prinzenerziehung aus einer Zeit, die kaum schriftliche Quellen über Kinder kennt. Das empfindsame Kind litt unter der strengen, durch Schläge geprägten Erziehung und der Trennung vom vergötterten Vater.
Wie wir wissen, wurde Heinrich IV. wurde - kurz nach der Krönung der Maria de’ Medici und kurz vor seinem Aufbruch in den Krieg gegen Habsburg - am 14. Mai 1610 von dem religiösen Fanatiker François Ravaillac ermordet. Ludwig XIII. wurde am 17. Oktober 1610 in der Kathedrale von Reims zum König gekrönt.
Über sein Verhältnis zur Mutter lesen wir nach:
„die Königin ist ihren Kindern eben nicht zugetan, außer vielleicht dem kleinen Gaston. Schwanger sein, ja, das findet sie schön, aber sobald die Frucht vom Baum fällt, löst sie sich als erste von ihr. Mein armer seliger Cousin (denn so nannte Madame de Guise unseren verstorbenen König) hat es ihr oft genug vorgeworfen. Was scherte es sie, wenn eines der Kinder krank war. ›Man soll es zur Ader lassen!‹ sagte sie mit angewiderter Miene, ohne ihren erhabenen Arsch auch nur von der Stelle zu rühren, um nach ihm zu sehen.“7
Nach seiner Krönung übernahm für den Minderjährigen die Mutter die Regentschaft. Sie betrieb im Gegensatz zu ihrem Mann und Vorgänger unter der Leitung zweier Günstlinge aus dem italienischen Gefolge, Leonora Dori Galigaï und Concino Concini, eine spanienfreundliche Politik. Sichtbarstes Zeichen war 1615 die Doppelhochzeit ihrer beiden ältesten Kinder: Ludwig mit der spanischen Prinzessin Anna von Österreich und Elisabeth mit dem spanischen Thronfolger, dem späteren Philipp IV. von Spanien.
Anlässlich der Erklärung der Volljährigkeit des Dauphin und auf Druck von Heinrich II. von Bourbon, Prince de Condé, dem nächsten Anwärter auf den französischen Thron, wurden 1614 - zum letzten Mal vor 1788/89 - die Generalstände einberufen. Der junge König wurde gleichwohl als „das kindischste Kind“ von der Regierung und dem Rat ferngehalten. Die Generalstände wurden die erste öffentliche Plattform für Jean Armand du Plessis, den ehrgeizigen Bischof von Luçon und späteren Kardinal Richelieu.
Am Hof hielt man Ludwig XIII. für einen unfähigen Idioten. Umso größer war die Überraschung, als der kaum sechzehnjährige König am 24. April 1617 Concino Concini ermorden ließ und die Macht an sich riss.
Fünf Kugeln feuerten die Verschworenen auf den Schurken Concini ab, als er am 24. April 1617 den Louvre über die ›schlafende Brücke‹ betrat. Die zwei ersten verfehlten ihn, die dritte traf ihn zwischen den Augen, die vierte unterm rechten Auge, die fünfte zerriss ihm die Kehle. So konnte man – leicht übertrieben – sagen, er wurde dreimal getötet, zu Frankreichs Ruhe und Erlösung hätte schon einmal genügt. „Jetzt bin ich König“, war alles, was Ludwig danach sagte.
Zehn Tage später, einen Tag vor Himmelfahrt, am 3. Mai um halb drei Uhr nachmittags ging die schluchzende Maria von Medici nach Schloss Blois in die Verbannung. Mit undurchdringlichem Gesicht sah Ludwig von einem Fenster des Louvre die Karosse seiner lieblosen Mutter davonrollen. Der vormalige Falkner des Königs, Charles d’Albert de Luynes8 übernahm Titel, Besitz und Position des Ermordeten und wurde bald ebenso unbeliebt.
Kommen wir zur Darstellung des schwierigen, ja dramatischen Verhältnisses zwischen Anna von Österreich und Ludwig.
Ludwig wurde durch seinen Beichtvater, Pater Cotton, regelrecht entmannt, indem er ihm von früh bis spät eintrichterte, das Fleisch sei der Satan, und das Fleisch heiße Weib.
Tatsächlich fiel diese Saat in einen unbedingten, gewissenhaften Charakter und entfaltete eine Sittenstrenge, von der Ludwig sein Leben lang Beweise ablegte. Jedenfalls flößte sie ihm besonders eine unbesiegliche Abscheu vor dem Ehebruch ein, ob er von anderen betrieben wurde oder ob er ihn für sich selbst als Versuchung fürchtete.
Dabei versuchte Ludwig nur seine Aufregung und Angst zu überspielen und das mit flegelhaften Manieren. Bei der ersten Begegnung mit Anna passierte folgende.
Maria von Medici mit Leonora Galigaï und Concino Concini
In spanischer Strenge wurde sie von Dona Maddalena de Gusman aufgezogen, der Marquesa del Valle, Gräfin von Altamira, der Schwester des Herzogs von Lerma, des Günstlings von Philipp III. Rücksichtslos wird die vierzehnjährige Infantin nach Frankreich verpflanzt, sie bebt vor Angst und Bereitwilligkeit. Damit sie sich nicht zu fremd fühlt, umgibt man sie mit einer Handvoll Heimaterde, einem ganzen spanischen „Hofstaat“, der sie nach Paris begleitet und dort bleibt.
Sie hat Ludwig XIII., ihren Verlobten, zum ersten Mal am 21. November 1615 gesehen, zwei Meilen vor Bordeaux, auf der Straße, durch die Scheiben ihrer Karosse hindurch. Der König saß in der seinen. Die beiden riesigen Kutschen rollten nebeneinander her. Der Junge zeigte mit dem Finger auf sich und schrie dem Mädchen zu: „Io son incognito! Io son incognito!“ Er mustert sie, und während sie erhobenen Hauptes auf die Karosse zugeht, muss sie sich die ungenierten Bemerkungen anhören, die da ohne den Versuch, die Stimme zu dämpfen, von den Begleitern des Königs fallen. Was hab ich denn jetzt zu tun? Verlangt die Sitte, dass ich sie irgendwie abschlecke? Den Umlegen soll ich sie ja wohl erst in der Brautnacht, oder? Anna ist stehengeblieben. Das höfische Lächeln erstarrt vor Empörung auf ihrem Gesicht zur Grimasse. Der Gedanke, dass dieser frühreife rüpelhafte Vierzehnjährige morgen ihr Mann sein soll, versetzt sie in Zorn. Neben ihr steht ihr Bruder, sie hat ihre Hand auf der seinen, und sie packt zu und presst krampfhaft seinen Handschuh. Er ist der Beschützer ihrer Ehre. Müsste er bei diesen Bemerkungen nicht längst die Klinge in der Scheide lockern?
Aber in seinem Gesicht zuckt kein Muskel, seine Augen bleiben völlig unbeteiligt. Alfonso hat nichts gehört, und er wird auch nichts hören. Der Handel ist getätigt. Warum soll er so töricht sein und irgendwelchen Ärger aufkommen lassen. Sie ist das Unwichtigste bei dieser Sache.
Die Braut ist klein und zierlich. Ihr eng am Körper anliegendes Kleid in Grün und Rosa lässt ihren festen, gutgebauten Leib erscheinen wie die alten Standbilder, die überall im Gebüsch herumstehen. Sie trägt ihre große Schleppe mit abgespreizten Fingern, was ihren Bräutigam amüsiert, aber wie sie mit ihren dünnen Seidenschuhchen unverdrossen durch den Morast stiefelt, das gefällt ihm. Ihr Profil, mit kleinem Kinn und kleinem Mund, runder Stirn und einer lustigen Nase, die sich an der Spitze ein bisschen verdickt, erinnert ihn an nichts Vergleichbares, seine Tänzerinnen sehen alle ganz anders aus. Ihre Brauen sind mit dem Stift gezeichnet.
Ludwig betrachtet sie abschätzend, ihren schmalen Nacken und die weißen Schultern, die aus dem weit ausgeschnittenen Kleid hervorschauen. Keine alte