Hinter verborgenen Pfaden. Kerstin Hornung

Hinter verborgenen Pfaden - Kerstin Hornung


Скачать книгу
die so schön werden würden wie ihre Mutter.

      Er war noch keine drei Wochen von zu Hause weg, und die Sehnsucht nach seinen Lieben begann bereits, ihn zu quälen.

      In der Halle des Königs war einiges los. Die Tische waren eingedeckt, und Agnus und Hilmar begaben sich zu den ihnen zugewiesenen Plätzen, doch während Hilmar ganz selbstverständlich Höflichkeiten oder kleine Scherze mit dem einen oder anderen austauschte, musste sich Agnus beherrschen, um nicht unruhig an den Aufschlägen seines Hemdes zu zupfen. Sein Kragen kratzte, und das Wams war um die Brust herum etwas zu eng, so dass er immer befürchtete, die Nähte könnten bei einer unbedachten Bewegung aufplatzen. Stocksteif setzte er sich auf den Stuhl. Als er sich von da aus umsah, bemerkte er erst, dass die Stimmung im Raum nicht festlich oder erwartungsfroh war, sondern, dass auch einige andere Gäste sehr angespannt wirkten, und viele Gespräche nur im Flüsterton geführt wurden. Er wollte gerade aufstehen, um sich zu Hilmar zu gesellen, als König Levian die Halle betrat. Seine Augen waren zu Schlitzen verengt und sein Blick flog über die Menge. Einen kurzen Moment lang war Agnus dem König zugetan, weil dieser scheinbar auf eine große Ankündigung seines Erscheinens durch Fanfaren oder Ähnliches verzichtet hatte, doch dann traf ihn der eiskalte Blick aus den blassblauen Augen seiner Majestät, und Agnus gefror das Blut in den Adern. Im gleichen Moment ertönte doch noch eine Fanfare. Das Gemurmel verstummte sofort und alle Blicke richteten sich auf den König. Es war plötzlich so still, dass man eine Stecknadel hätte zu Boden fallen hören können.

      »Verehrte Gäste.« Die Stimme des Königs ließ Agnus einen weiteren Kälteschauer über den Rücken rieseln. Levians Ton war so schneidend, als ob er ein Todesurteil verkünden und nicht seine Gäste begrüßen würde. »Wie ich sehe, seid ihr zahlreich erschienen, und das ist gut so. Lasst uns beten.« Er nickte dem Episkopos von Waldoria, einem der bedeutendsten Vertreter der Gläubigen im nördlichen Teil Ardelans, zu. Dieser begann in monotonem Singsang, sein Gebet herunterzuleiern. Während Agnus sich noch fragte, warum jemand, der so wenig Begeisterung für seinen Glauben übrighatte wie dieser Mann, ein so hohes Amt in der Kirche einnahm, unterbrach Levian mit einem knappen »Das genügt« die Litanei. Agnus zog unwillkürlich die Augenbrauen hoch, doch der Episkopos trat nur einen halben Schritt zurück und war sofort still.

      »Es sind nur ein paar Worte, die ich euch zu sagen habe«, setzte der König an. »Diejenigen, die heute bei der Jagd dabei waren, wissen es schon, und vielleicht hat auch der eine oder andere bereits davon erfahren.« Er machte eine kurze, bedeutungsvolle Pause. »Wir wurden heute von Geschöpfen angegriffen, deren Anwesenheit in diesem Land, ja auf dieser Welt, widernatürlich ist. Manche nennen sie die Alten, andere sagen, es wären Feen, doch die Gelehrten der frühen Tage nannten sie Elben. Jahrhundertelang galten diese Wesen als ausgestorben, doch aus gut unterrichteten Kreisen weiß ich schon seit geraumer Zeit, dass sie wieder zum Angriff auf die Menschheit rüsten. Dass sie es wagen, eine gut gerüstete Truppe am hellen Tag in unmittelbarer Nähe der Falkenburg zu überfallen zeigt, wie fortgeschritten ihre Rüstungspläne sind und dass wir keine Zeit zu verlieren haben.«

      Das Murmeln, das sich im Saal erhob, beendete der König mit einer energischen Handbewegung und einem eisigen Blick.

      »Zum Schutz von Ardelan und meinem Volke«, erhob sich seine Stimme, »habe ich zwei Fachkundige aus Mendeor kommen lassen. Die Kirche«, er deutete mit dem Kopf auf den Episkopos »hat ihnen die Absolution erteilt, weil sie unserem Land einen großen Dienst erweisen. Diese Männer werden uns mit ihren besonderen Fähigkeiten bei unserem Krieg gegen die Elben beistehen. Mit ihrer Hilfe wird es uns gelingen, das Feenvolk aus seinen Verstecken zu vertreiben.«

      Betretenes Schweigen folgte. Fragende Blicke läuteten das erste leise Gemurmel ein. Was für fachkundige Männer mit besonderen Fähigkeiten gab es in Mendeor, die sich auf einen Krieg mit den Elben verstanden? Eine der anwesenden Damen brach mit einem spitzen Schrei auf ihrem Stuhl zusammen, als das Wort Zauberer immer deutlicher zu vernehmen war. Unsicherheit und Angst wurden spürbar.

      »In den nächsten Wochen werde ich ein Heer einberufen«, fuhr der König fort. »Ich vertraue darauf, dass ihr alle mir die Männer hierherschickt, die ihr mir, eurem König, im Kriegsfall schuldig seid. Wenn wir die Feen erst in ihren Nestern gestellt und ausgeräuchert haben, wird es zu einer Schlacht kommen, wie es sie seit tausend Jahren nicht mehr gab. Wir werden die Geschichte neu schreiben und die Schlacht, die unsere Vorväter vor tausend Jahren im Wilmustal schlugen, wiederholen. Aber diesmal wird keines dieser Geschöpfe überleben.«

      Die Selbstzufriedenheit, mit der der König seine Gäste verunsicherte, und zum Krieg aufrief, ließ Agnus die Fäuste ballen.

      »Und nun esst und trinkt.« Mit diesen Worten trat der König hinter seinen rotsamtenen Stuhl und verließ den Saal durch eine kleine Tür in einer Wandnische. Zeitgleich gingen die Türen auf, und die Pagen brachten die Speisen und Getränke. Heftiges Gemurmel erfüllte den Saal.

      Agnus ließ sich auf seinem Stuhl zurücksinken. Er spürte, wie eine Naht im Wams nachgab, und leerte den gerade aufgefüllten Weinkelch in einem Zug. In seinem Kopf summten die Worte des Königs – … zum Schutz von Ardelan und meinem Volke habe ich zwei Fachkundige aus Mendeor kommen lassen.

      Er fühlte sich leer, hohl und ausgebrannt. Achtzehn lange Tage war er geritten und hatte weder sich noch sein Pferd geschont, doch jetzt würde er unverrichteter Dinge zu seinen Leuten zurückkehren und ihnen erklären, was unerklärlich war. Den »Fachkundigen« mit seiner Gnomenschar, der auf dem Ebelsberg hauste, würden sie nicht loswerden und im Gegenzug musste Agnus dem König auch noch mehr als hundert waffenfähige Männer schicken.

      Ein Page füllte seinen Kelch erneut und Agnus kippte den schweren Wein, ohne abzusetzen, in sich hinein. Erleichterung brachte er jedoch auch nicht.

      Als Walter Vogelsang seinen zweiten wichtigen Auftritt in diesem Jahr darbot, lag Agnus bereits im Bett. Er hielt die Fäuste geballt und starrte zur Decke, bis die Erschöpfung und der viel zu viel und viel zu schnell getrunkene Wein wirkten und er in einen gnädigen Schlaf fiel.

      6. Flimmernde Luft

      Philip war müde und unkonzentriert. Zwei Nächte in Folge war er sehr spät zu Bett gegangen und hatte zudem unruhig geschlafen. Die Anwesenheit der Elbin im Haus - in seinem Bett - beherrschte jeden seiner Gedanken und die Notwendigkeit immer darauf bedacht zu sein, kein falsches Wort zu niemandem zu sagen, tat ihr Übriges. Noch nie hatte er seinen Brüdern in so kurzer Zeit so viele Unwahrheiten aufgetischt, ohne mit einem frechen Grinsen zuzugeben, dass er sie genarrt hatte. Dass es sich bei der angeblichen Base um eine Elbin handelte, durfte keiner wissen.

      Seine Mutter hatte beinahe den ganzen Sonntag in Jar’janas Zimmer verbracht, und jedes Mal, wenn sie in die Küche gekommen war, wirkte sie nachdenklich und besorgt. Philip wagte gar nicht nachzufragen, wie es ihr ging, lauschte aber angespannt, auf Mutters leise Zwischentöne.

      Auch jetzt im Unterricht dachte er nur an Jar’jana. Er merkte zwar, dass sein Lehrer ihn immer wieder tadelnd ansah, aber er konnte einfach nicht aufhören an sie zu denken und zu gähnen.

      Als die Mittagsglocke läutete, entließ Lehrer Theophil seine acht Schüler. Es waren ausnahmslos Buben zwischen zwölf und fünfzehn Jahren. Nur die Hälfte von ihnen kam aus Waldoria. Die anderen waren die Söhne wohlhabender Bürger aus den Städtchen Mendebrun und Markt Krontal, einer von ihnen war der jüngste Sohn Baron Felhorns. Laurenz von Felhorn würde gemeinsam mit Philip in diesem Sommer die Klasse verlassen. Soweit Philip gehört hatte, sollte er danach in der Schreibstube des Königs eine Stellung erhalten, da die Mittel des Barons erschöpft waren. Tjalf, der Sohn eines berühmten Arztes, ließ keine Gelegenheit aus, sich über diesen Umstand lustig zu machen.

      »Philip, auf ein Wort«, donnerte Theophil, als Philip sich gerade seine Sachen unter den Arm klemmte. Aus dem Augenwinkel konnte er noch Tjalfs hämisches Grinsen sehen. Er schnitt dem Jüngeren eine Grimasse, legte seine Schreibtafel zurück auf das Pult und wandte sich dem Lehrer zu.

      Theophil kramte so lange in seinen Unterlagen, bis der letzte Schüler den Raum verlassen hatte, und brummte dann: »Mach die Tür zu!«

      Philip gehorchte.


Скачать книгу