Trojanische Hühner. Ado Graessmann

Trojanische Hühner - Ado Graessmann


Скачать книгу

      Ich schaute dem Botschafter ins Gesicht und konnte dessen Zweifel erkennen, offensichtlich schätzte er die Lage anders ein als sein Militär, verzichtete aber auf eine weitere Diskussion.

      Bevor ich meinen Bericht erstatten konnte, ertönte ein lautes Hämmern und Klopfen an der Sicherheitstür, dies war ungewöhnlich, normalerweise durften Geheimsitzungen nicht gestört oder unterbrochen werden.

      Der Wachposten berichtete von Menschenmassen, die sich vor der Botschaft versammelt hätten, und einige von ihnen, junge Studenten, seien schon über den Zaun auf das Botschaftsgelände vorgedrungen. Seine Exzellenz möge sich bitte schnell nach oben begeben und entscheiden was zu machen ist, die Wachposten ständen schon um das Haus herum verteilt, mit Gewehren im Anschlag, mit scharfer Munition.

      Der Botschafter war ein gebildeter Mann, mit guten Sprach-kenntnissen, der auch nicht zu unüberlegten Handlungen neigte. Noch bevor er an der Eingangstür angekommen war, gab er den Befehl, dass sich alle Wachposten in das Botschaftsgebäude zurückziehen müssen und es darf auf keinen Fall von der Schusswaffe Gebrauch gemacht werden, dies war eine eindeutige Anordnung, der sich auch die Offiziere unterwerfen mussten, die Nichteinhaltung würde nur zu einer Eskalation führen. Durch Fenster im Erdgeschoss hindurch konnten wir sehen, dass das Tor zur Botschaft schon offen stand und immer mehr Personen auf das Botschaft Gelände strömten.

      Der Botschafter öffnete die Eingangstür und von hinten reichte ihm jemand ein Megaphon. Mit ruhiger Stimme bat er die Eindringlinge in der Landessprache, das Gelände zu verlassen, dies sei exterritoriales Gebiet. Seine Ansage wurde nur durch hundertfaches Hohngelächter beantwortet.

      Aus der Masse traten drei junge Männer hervor, sie waren dem Aussehen nach Studenten und nicht älter als fünfundzwanzig, Einer von ihnen schien der Mann mit dem Motorrad zu sein, sein Gesicht war nicht genau zu erkennen, er hatte die Kapuze seiner Jacke weit über das Gesicht gezogen und sich ein Tuch über die Nase und den Mund gebunden. Trotz aller Bemühungen war er auch nicht in der Kartei des Geheimdienstes erfasst, sie nannten ihn nur Mohamed, er war eindeutig der Rädelsführer, auffällig waren seine Hände an denen jeweils einige Finger fehlten, ich nannte ihn daher für mich den Fingerlosen, irgend einen Namen musste ich ihm halt geben.

      Er erklärte die amerikanische Botschaft sei hiermit besetzt und sie hätten das Sagen, ab sofort, er sei der Sprecher des Rats der freien Studenten.

      Ihre Hauptforderung ist die sofortige Rückführung des Schahs aus den USA und die Auslieferung der Unsummen an Gold und Geld, das sein Klan über Jahre hinweg dem Land geraubt und auf private Konten in der Schweiz und in anderen Ländern deponiert hatten, hierüber kann nicht verhandelt werden.

      Nach dieser Mitteilung drangen etwa einhundert Stunden in das Botschaftsgebäude ein, entwaffneten das Personal und fanden kurz danach den Waffenraum, den sie sofort leer räumten und den gesamten Inhalt aus dem Gebäude heraus transportierten. Die entwaffneten Wachsoldaten sahen dem Geschehen tatenlos zu, was sollten sie auch anderes machen. Hunderte von Schnellfeuerwaffen aller Art und Kisten mit Munition wurden auf einen bereitstehenden Lastwagen geladen und abtransportiert. Nach einer Stunde waren sämtliche Räume der Botschaft besetzt und das gesamte Personal wurde in Geiselhaft genommen.

      Im Büro des Botschafters wurden alle Regale umgekippt und der Inhalt auf den Boden geworfen, ebenso der Inhalt aller Schreibtischschubladen. Hinter dem Bild von G. Washington entdeckten sie den Botschaftssafe und forderten freundlich den Botschafter um die Herausgabe des Codes auf. Im Safe befanden sich die gesamten Pässe des Personals, frische Passport Formulare sowie die entsprechenden Stempel für die Ausstellung eines gültigen Passes, Geheimdokumente und eine größere Summe an Bargeld, alles nur US Dollars, die nicht nur für den Kauf von Lebensmittel vorgesehen waren, das meiste war für dunkle Geschäfte bestimmt und tauchte in keiner Bilanz je auf. Zunächst weigerte sich der Botschafter den Safe zu öffnen, schließlich erkannte er die Sinnlosigkeit seiner Weigerung, hatten die Besatzer doch nun hinreichend Mittel den Safe mit Gewalt zu sprengen, so nannte er die Zahlenkombination.

      Der Fingerlose hatte das Botschaftsgebäude selbst nie betreten, auch seine Beifahrerin nicht, keiner der Mitarbeiter hatte jemals ihre Gesichter richtig gesehen um Fotos davon machen zu können.

      Andere Studenten hatten am ersten Tag nach der Besetzung Fotos von allen Personen der Botschaft gemacht und die Namen registriert, egal ob sie einen roten Diplomatenpass hatten oder nicht. Internationale Regeln interessierten sie nicht. Mein Name nützte ihnen nicht viel. Die CIA, wir nannten sie untereinander nur die Firma, hatte eine lange Liste von Pseudopersonen, die es nicht wirklich gab, für die aber Bankkonten, Telefonrechnungen und weitere Identitäten vorhanden waren, aber von keinem gab es Frontalfotos oder Porträtfotos, nur solche, die Jedermann sein konnten.

      Aus dem einen Tag wurden viele, die Anzahl der Besetzer die Tag und Nacht in der Botschaft blieben war fast immer gleich geblieben, nur die Gesichter waren meist anders. Im Konferenzraum wurden Tische und Stühle entfernet und 30 Matten für die männlichen Mitarbeiter als Aufenthalts und Schlafraum ausgelegt. Die Frauen der Botschaft bekamen einen kleinen separaten Raum. Nur der Botschafter und der Militärhäuptling durften ihr Zimmer behalten. Alle anderen Räume okkupierten die Besetzer. Sie verhielten sich uns gegenüber indifferent, es kam zu keinen Tätlichkeiten oder Übergriffen auch Grundnahrungsmittel wurden nach zwei Wochen zur Verfügung gestellt, die Alkoholvorräte waren bald aufgebraucht, Bier oder Wein zu den Mahlzeiten gab es nicht mehr. Belastend waren die hygienischen Bedingungen, zwar hatte der Botschafter seine Dusche auch für die anderen zur Verfügung gestellt, nur der Militärhäuptling nicht, er meinte ihm stehe auf Grund seines hohen Dienstgrades die alleinige Benutzung seiner Dusche zu und damit basta, trotzdem bildeten sich morgens und am Abend lange Schlangen vor den Duschräumen und die Duschdauer wurde auf fünf Minuten begrenzt.

      An manchen Tagen schikanierten sie uns, stellten Strom und Wasser für einige Stunden ab. Am dritten Tag der Belagerung versuchte ich heimlich einen Fluchtversuch aus der Botschaft. Nur dem Botschafter teilte ich am Nachmittag mein Vorhaben mit, er erzählte mir von der Existenz des Geheimgangs als möglichen Fluchtweg und händigte mir den Schlüssel für die Sicherheitstüren aus.

      Am späten Abend betrat ich den kleinen Abstellraum im Kellergeschoss hinter dem Sitzungssaal, schob den Schrank zur Seite und verharrte noch eine Weile im Dunklen, die Taschenlampe hatte ich noch nicht angeschaltet, um sicher zu sein, dass mein Vorhaben nicht bemerkt werden konnte. Als ich mich sicher fühlte öffnete ich problemlos die Stahltür mit dem Schlüssel und betrat den dunklen Gang, er war schmal, nicht breiter als eine männliche Person und roch muffig, ich lehnte die Tür hinter mir an, ohne sie zu verschließen und schaltete die Taschenlampe ein, nach wenigen Minuten erreichte ich eine zweite Stahltür am anderen Ende des Ganges, im Lagerhaus auf deren Straßenseite, ich steckte den Schlüssel in das Schloss und versuchte die Tür möglichst geräuschlos zu öffnen. Nach dem zweiten Versuch ging sie mit lautem Knarren auf, zu meiner Überraschung sah ich nicht in einen Lagerraum hinein, sondern stand vor einer weiteren Stahlwand, die kein Türschloss hatte. Mir wurde klar, dass diese Tür auch nicht mit Gewalt zu öffnen war, dies hätte auch zu viel Lärm gemacht und die Besatzer herbei gelockt. Da in der letzten Zeit der Gang nicht benutzt wurde und keiner von der Botschaft den Lagerraum aufgesucht hatte, war die Veränderung auch nicht aufgefallen. Die Besatzer hatten also den Gang entdeckt und den Ausgang versperrt. So verblieb mir nur die Rückkehr in das Botschaftsgebäude. Ich machte kehrt, und ging den stinkenden Gang eilig zurück.

      In der Grundschule, ich glaube es war im vierten Schuljahr, hatte uns der Musiklehrer auf dem Flügel die Nocturnes op 9 no1 und op 9 no 2 vorgespielt, danach ließ er die Noten auf dem Flügel liegen, ich ging in der Pause hin, sah sie mir genau an und prägte sie mir sicher ein, auf den wenigen Metern im Gang bis zur Botschaft zurück sah und hörte ich es wieder, jede einzelne Note, nur wenige Töne, vier bis fünf unterschiedliche, sie waren wie sanfte Wolken, die kreisend mein Gemüt durchzogen und jeder einzelne Ton umfasste meine Seele mit beiden Händen. Ich wusste nicht warum ich es plötzliche hörte, war es die Dunkelheit die mich an die Nocturnes von Chopin erinnerten?

      Gemälde und Skulpturen fixieren den Moment, können auch Geschichten erzählen, man muss sie nur intensiv betrachten und etwas nachdenken um sie zu erfassen, Musik erfühlt man, man braucht nicht nachzudenken,


Скачать книгу