Trojanische Hühner. Ado Graessmann

Trojanische Hühner - Ado Graessmann


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auf der anderen Straßenseite verharrten sie ungesehen für einige Stunden, bis sie sahen wie ein bewusstloser Mann in das Auto geworfen wurde, es war Sait.

      Dort in der dunklen Seitenstraße fanden sie ihn, er war nicht bei Bewusstsein, sein Kopf lag auf der Straße, der Rest seines Körpers lag auf dem Gehweg, überall war Blut zu sehen. Seine Hände steckten in Plastiktüten die mit Klebeband verschlossen waren, durch das viele Blut waren seine Hände nicht zu erkennen.

      Der braucht dringend ärztliche Hilfe, da waren sich beide einig, in ein Krankenhaus konnten sie ihn nicht bringen, die würden sofort die Polizei benachrichtigen, einen Krankenwagen konnten sie auch nicht rufen.

      Was tun, wer könnte in dieser aussichtslosen Lage nur helfen?

      Einer der beiden war ebenfalls ein Medizinstudent in einem unteren Semester, er kannte aber Özlem, sie war OP-Schwester in der Uni Klinik. Sie hatte eine kleine Wohnung in einer einfachen Gegend, wenn jemand helfen kann, dann nur Özlem. Beide wussten, dass sie damit Özlem in große Gefahr bringen würden. Sie platzierten Sait auf das Motorrad zwischen Fahrer und Soziussitz, hielten ihn mit den Händen fest und fuhren ohne Licht los. Zwei Seitenstraßen vor Özlems Wohnung stellten sie den Motor ab und schoben es samt Sait bis zu ihrem Hauseingang. Alles war dunkel, in keiner Wohnung brannte Licht.

      Özlems Wohnung befand sich zur ebenen Erde, sie klopften leise an die Fensterscheiben, es dauerte eine Weile, bis sie merkte, dass etwas vor ihrem Fenster geschah, sie schob den Vorhang etwas zur Seite und erkannte sofort die Situation, Özlem wir brauchen dringend deine Hilfe, flüsterte der Medizinstudent leise, ohne eine Frage zu stellen öffnete sie geräuschlos die Tür, zu dritt trugen sie den fast leblosen Körper hinein.

      Sie verschloss sofort die Tür und hängte noch zusätzlich die Türkette ein, vergewisserte sich, dass alle Fenster verschlossen waren und niemand in die Wohnung sehen konnte, erst dann machte sie das Licht an. Gemeinsam legten sie Sait auf den großen Küchentisch, mit dem Rücken nach oben, seine Arme hingen an beiden Seiten herunter.

      Das erste was sie sagte war, wie kann man nur einen Menschen so zurichten, dabei hatte noch keiner von ihnen erkannt, wie schlimm sie Sait wirklich zugerichtet hatten.

      Sie entfernte zuerst die mit Blut gefüllten Plastiktüten von seinen Armen und sahen zu ihrem Entsetzen, dass sie ihm von jeder Hand zwei Finger abgetrennt hatten. Özlem war nicht nur eine hervorragende OP-Schwester, sie hatte auch fast eine komplette OP-Ausrüstung in ihrer Wohnung. Die Finger waren direkt vor dem ersten Fingergelenk abgetrennt, wahrscheinlich mit einer Zigarren Guillotine, fast fachmännisch, sicherlich hatten die Schlächter dies schon öfters gemacht und waren geübt darin.

      Narkose brauchte Sait keine, er war immer noch bewusstlos, da die Haut an den Schnittstellen etwas überhängend und glatt war, konnte sie mit einigen Stichen die Wunden verschließen, danach hörte die Blutung zunächst auf.

      Ihr war klar, sie musste so schnell wie möglich einige Blut-konserven für ihn besorgen. Komplizierter war die Versorgung der Wunden auf seinem Rücken, die mussten mehr als zwanzigmal auf ihn eingeschlagen haben, die Wunden erstreckten sich über den gesamten Rücken und reichten hinein in den Flankenbereich, das waren keine Stockhiebe, die mussten mit Lederpeitschen gnadenlos zugeschlagen haben. Zunächst entfernte sie einige Stofffetzen aus den Wunden, dann reinigte sie den gesamten Bereich mit Alkohol und bestrich den Rücken großflächig mit einer Jodlösung. An einigen Stellen klafften die Wunden soweit auf, dass Özlem sie zunähen musste.

      Am nächsten Tag stand ausführlich in allen Zeitungen ein langer Bericht, die Polizei hätte frühzeitig von einer Studenten Revolte gegen die Regierung seiner Majestät erfahren und die Aufwiegler vorläufig festgenommen.

      Leider sei ihnen der Anführer entkommen, er nenne sich Sait. Als der Transportwagen an einer roten Ampel halten musste, nutzte er die Gelegenheit aus, sei von der Ladefläche herunter gesprungen und in der Menschenmenge spurlos verschwunden. Die Polizei fordere daher die Bevölkerung zur Wachsamkeit auf, der Mann sei gefährlich und unberechenbar. Wenn er irgendwo gesehen wird, soll sofort die Polizei verständigt werden, man solle nicht selbständig handeln, er sei zu gefährlich, und es sei auch eine hohe Kopfgeldprämie auf ihn ausgesetzt.

      Ein vergleichbarer Bericht mit einem Foto von ihm wurde ebenfalls stündlich von allen Fernsehstationen ausgestrahlt. Da Sait nun ein Geächteter war, wurden besondere Vorsichtsmaßnahmen erforderlich, kein weiterer durfte erfahren wo er sich aufhält und die medizinische Versorgung musste unauffällig erfolgen.

      Özlem hatte Zugang zum erforderlichen Verbandsmaterial und zu fast allen Medikamenten, ausgeschlossen waren die Morphium Präparate, die befanden sich in einem Sonderschrank. Das Nötigste nahm sie täglich in kleinen Mengen an sich. Für die Blutkonserven hatte sie von Sait eine Injektionsspritze mit seinem Blut gefüllt, um damit in der Klinik seine Blutgruppe bestimmen zu können. Bei der Entwendung der Blutkonserven musste sie vorsichtig vorgehen, jede einzelne war registriert und sie musste dafür den Namen eines Patienten eintragen, den sie aus dem OP-Saal kannte und der die gleiche Blutgruppe wie Sait hatte. Zwei davon legte sie zunächst in einen Kühlschrank, verstaute sie dann in ihrem Rucksack, bevor sie die Klinik wieder verließ.

      Noch in der ersten Nacht bekam Sait hohes Fieber und Schüttelfrost, sie gab ihm hohe Dosen Antibiotika und Schmerzmittel. Sie wechselte stündlich die feuchten Wadenwickel und täglich seinen Verband und rieb die Wunden mit Salben ein.

      Erst nach einigen Tagen senkte sich das Fieber und Sait kam wieder zu Bewusstsein. Sait hatte drei Tage keine Nahrung zu sich genommen, Özlem hatte ihn aber Wasser und Tee über eine Magensonde eingeführt. Als er wieder ansprechbar war, bekam er von ihr, bevor sie in die Klinik fuhr und am Abend als sie wieder nach Hause kam, eine warme Suppe. Er selbst konnte keinen Löffel halten, sie steckte ihm ein Kissen hinter den Rücken, damit sich sein Kopf etwas nach vorne neigte, und führte den Löffel mit der Suppe in seinen Mund. Jeder Schluck wurde zu einer unerträglichen Qual für ihn, oft verschluckte er sich dabei, aber Özlem gab nicht auf, bevor die Schüssel leer gegessen war.

      So vergingen drei, oder waren es schon vier Wochen, bis er wieder auf den eigenen Beinen stehen konnte, das gebrochene Nasenbein war etwas schief zusammen gewachsen, so wie bei manchen Boxern, die ausgeschlagenen Zähne wuchsen aber nicht mehr nach. Rasieren konnte er sich auch nicht, dafür waren seine Wunden im Gesicht noch nicht hinreichend verheilt, gegen seine Dauerschmerzen nahm er alle vier Stunden Analgetika ein.

      Im gleichen Haus wohnten nur Junggesellen, die schon früh morgens zur Arbeit gingen und erst wieder am späten Nachmittag zurück kamen. Das Haus hatte vier Stockwerke und eine Dachterrasse, die nicht einsehbar war, dort konnte sich Sait für einige Stunden aufhalten, ohne gesehen zu werden. Geschlafen hatte Sait bisher in der Küche auf dem Boden, auf einer Luftmatratze von ihr.

      Eines Tages meinte Özlem, in ihrem Bett sei auch genug Platz für zwei, erst wusste er nicht was er sagen sollte, schließlich war es unter Strafe verboten, dass Mann und Frau zusammen liegen, wenn sie noch nicht verheiratet waren. Es vergingen einige Tage, dann schlief Sait nicht mehr in der Küche auf dem Boden, für beide begann ein neues Leben, die Welt veränderte sich grundlegend für sie.

      Einmal, nachdem sie sich geliebt hatten, fragte Özlem ihn unvermittelt, Sait bist du eigentlich religiös?

      Nein, ich glaube nicht an Gott, Religionen sind dafür da, um Menschen zu verdummen und um sie abhängig zu machen. Nicht Gott hat die Menschen erschaffen, sondern die Menschen erschufen für sich Gott. Einst war die Natur mit ihren Gewalten für die Menschen nicht erfassbar, nur ein höheres Wesen konnte dies alles regeln und steuern, Blitze und Donner, die konnten nur von Göttern gesendet werden. Um diese höheren Wesen freundlich zu stimmen, brachten sie Opfer dar, auch Menschen. Dann führten sie die Priester ein, die hatten ja angeblich die Gabe den Göttern näher zu stehen und zu vermitteln, zwischen den Menschen und den Göttern, sie konnten belohnen oder auch bestrafen, dann hatten sie die Hölle eingeführt, mit ihr lässt sich erfolgreich drohen, die Menschen fürchten sie mehr als sie den Himmel lieben. Das Vermitteln war aber nicht selbstlos, daran hat sich nicht viel verändert, heute ist es auch immer noch so.

      Sait meinte nur, ich weiß, Religionen sind wichtig, das hält zusammen, da fragt man nicht danach


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