Der Monddiamant. Уилки Коллинз
gelassen hatte, trat ihre Mutter dazwischen und machte der Sache ein Ende.
»Liebes Kind, Dein indisches Schränkchen hat ja gar kein Schloß,« sagte die Mutter.
»Guter Gott!« rief Fräulein Rachel »Sind wir hier in einem Hotel? Oder sind hier Diebe im Hause?«
Ohne von diesen Worten Notiz zu nehmen, wünschte Mylady den Herren gute Nacht, wandte sich dann zu Fräulein Rachel, küßte sie und fragte: »Soll ich nicht lieber den Diamanten diese Nacht zu mir nehmen?«
Fräulein Rachel war über diesen Vorschlag so entrüstet, wie sie vor zehn Jahren über die Zumuthung gewesen sein würde, sich von ihrer Lieblingspuppe zu trennen. Mylady sah, daß diesen Abend nicht vernünftig mit ihr zu reden sei.
»Rachel, komme morgen früh, so bald Du aufgestanden bist, zu mir in mein Zimmer! Ich habe Dir etwas zu sagen.«
Mit diesen Worten verließ sie uns langsam, ihren eigenen Gedanken nachhängend, die allem Anschein nach nicht sehr beruhigender Natur waren.
Nach ihr sagte auch Fräulein Rachel den Herren gute Nacht.
Sie gab zuerst Herrn Godfrey, der am anderen Ende der Halle stand und sich ein Bild ansah, die Hand, und wandte sich dann zu Herrn Franklin, der noch immer ermüdet und schweigsam in seiner Ecke saß.
Was sie mit einander redeten kann ich nicht sagen. Da ich aber ganz in der Nähe des alten großen Spiegels mit seinem Rahmen von schwerem Eichenholz stand, sah ich in demselben, wie sie das Medaillon, das ihr Herr Franklin geschenkt hatte, verstohlen aus ihrem Busen zog und es ihm, bevor sie die Halle verließ, mit einem sehr ausdrucksvollen Lächeln zeigte.
Dieser Vorfall machte mich in dem Vertrauen auf mein eigenes Urtheil etwas wankend. Ich fing an zu glauben, daß Penelope am Ende doch in Betreff der Neigung ihrer Herrin Recht haben könnte. Sobald Herr Franklin wieder für etwas Anderes in der Welt Augen hatte, wurde er meiner ansichtig. Sein wankelmüthiges Temperament, das ihn seine Ansichten über alle Dinge fortwährend wechseln ließ, hatte ihn auch in Betreff der Indier schon wieder zu einer neuen Ansicht gelangen lassen.
»Betteredge,« sagte er, »ich glaube fast, daß ich es mit dem, was Herr Murthwaite bei unserer Unterhaltung unter den Büschen gesagt hat, zu ernst genommen habe; ich bin versucht zu glauben, daß er sich mit einer Jagdgeschichte über uns lustig gemacht hat. Wollen Sie wirklich die Hunde loslassen?«
»Ich will ihnen ihr Halsband abnehmen, Herr Franklin,« antwortete ich, »und es ihnen möglich machen, sich während der Nacht frei zu bewegen, wenn sie in ihrer Nase eine Aufforderung dazu finden sollten.«
»Gut,« sagte Herr,Franklin, »wir wollen morgen weiter sehen. Betteredge; ich habe durchaus keine Lust, meine Tante ohne sehr dringende Gründe zu beunruhigen. Schlafen Sie wohl!«
Er sah so erschöpft und blaß aus, als er mir gute Nacht sagte und sein Licht ergriff, um in sein Zimmer zu gehen, daß ich ihm riet, ein wenig Cognac und Wasser als Schlaftrunk zu nehmen.
Herr Godfrey, der vom andern Ende der Halle her auf uns zutrat, unterstützte diesen Vorschlag und drang in der freundschaftlichsten Weise in Herrn Franklin, vor dem Schlafengehen noch Etwas zu sich zu nehmen.
Ich thue dieser geringfügigen Umstände nur deshalb Erwähnung, weil es mir nach Allem, was ich an diesem Tage gesehen und gehört hatte, Vergnügen machte zu beobachten, daß unsere beiden Herren noch auf ebenso gutem Fuße standen wie vorher. Weder ihr Wortkampf, den Penelope im Salon mit angehört hatte, noch ihre Rivalität in der Bewerbung um Miß Rachels Neigung schien ihr gutes Verhältnis beeinträchtigt zu haben. Beide hatten ein glückliches Temperament und Beide waren Männer von Welt. Und das ist ein entschiedener Vorzug der Gebildeten, daß sie bei Weitem nicht so zanksüchtig sind wie Ungebildete.
Herr Franklin dankte für Cognac und Wasser und ging mit Herrn Godfrey hinaus, Beide in ihre neben einander liegenden Zimmer. Kaum oben angelangt, wurde aber Herr Franklin schon wieder, wie gewöhnlich, anderen Sinnes.
»Vielleicht brauche ich es doch während der Nacht.« rief er mir hinunter: »Schicken Sie mir etwas Cognac herauf!«
Ich schickte Samuel mit Cognac und Wasser hinauf, ging dann in den Hof und nahm den Hunden ihre Halsbänder ab. Beide schienen höchst erstaunt, sich zu so später Nachtstunde losgemacht zu sehen und sprangen wie ein paar junge Hunde auf mich los; der Regen aber kühlte sie bald wieder ab. Beide tranken ein wenig Wasser und krochen dann wieder in ihr Hundehaus zurück. Als ich wieder in’s Haus trat, bemerkte ich am Himmel Zeichen, welche eine Wendung des Wetters zum Bessern andeuteten. Augenblicklich regnete es noch heftig und der Boden war völlig aufgeweicht. Samuel und ich gingen durch’s ganze Haus und schlossen alle Thüren wie gewöhnlich. Ich untersuchte Alles selbst und überließ meinem Adjutanten bei dieser Gelegenheit nichts. Alles war sicher und wohl verwahrt, als ich zwischen Mitternacht und ein Uhr Morgens meine alten Glieder zur Ruhe brachte.
Die Anstrengungen des Tages waren, glaube ich, ein wenig zu viel für mich gewesen; wenigstens hatte ich diese Nacht einen Anfall von Herrn Franklin’s Krankheit. Erst bei Sonnenaufgang schlief ich endlich ein. Bis dahin aber hatte Grabesstille im Hause geherrscht. Kein Laut war vernehmbar, als das Fallen des Regens und das Rauschen des Windes in den Zweigen.
Ungefähr um halb acht Uhr erwachte ich und öffnete mein Fenster, um in einen schönen, sonnigen Morgen zu blicken. Die Uhr hatte acht geschlagen, und ich war eben hinausgetreten, um die Hunde wieder anzuketten, als ich plötzlich das Rauschen eines Frauenkleides aus der Treppe hinter mir vernahm. Ich drehte mich um und sah Penelope wie von Sinnen auf mich losstürzen »Vater!« schrie sie, »um Gottes willen! komm heraus, der Diamant ist fort!«
»Bist Du von Sinnen?« fragte ich.
»Fort!« sagte sie, »fort! Kein Mensch weiß, wie. Komm selbst hinauf und sieh!«
Sie schleppte mich hinter sich her in das Wohnzimmer unseres Fräuleins, das an ihr Schlafcabinet stieß. Da stand Fräulein Rachel an der Schwelle ihres Schlafzimmers, fast so weiß im Gesicht wie das weiße Morgengewand, das sie trug. Da stand auch das indische Schränkchen offen da, eines der Schuhfächer desselben war weit aufgezogen.
»Da sieh!« sagte Penelope, »ich habe selbst gestern Abend gesehen, wie Fräulein Rachel ihren Diamanten hineinlegte.« Ich trat an das Schränkchen. Das Schubfach war leer.
»Ist das wahr, Fräulein?« sagte ich.
Mit einem Blick und einer Stimme, die nicht ihr anzugehören schienen, antwortete Fräulein Rachel, wie meine Tochter geantwortet hatte:
»Der Diamant ist fort.«
Mit diesen Worten zog sie sich in ihr Schlafzimmer zurück und verschloß dasselbe hinter sich.
Bevor wir noch hatten überlegen können, was zu thun sei, trat Mylady ein, die meine Stimme in dem Wohnzimmer ihrer Tochter vernommen hatte und begierig war, zu erfahren, was vorgefallen sei. Bei der Nachricht von dem Verschwinden des Diamanten schien sie wie versteinert; dann ging sie an die Thür von Fräulein Rachel’s Schlafzimmer und verlangte eingelassen zu werden. Fräulein Rachel öffnete.
Die Schreckensbotschaft, die wie Feuerlärm durch das Haus lief, erreichte zunächst die beiden Herren.
Herr Godfrey war der Erste, der aus seinem Zimmer trat. Alles, was er that, als er von dem Vorgefallenen hörte, war, daß er seine Hände in einer Art von Verzweiflung in die Höhe hielt, was eben nicht sehr für seine Geistesgegenwart sprach.
Herr Franklin, von dessen klarem Kopfe ich zuversichtlich guten Rath in dieser Sache erwartet hatte, schien nicht weniger rathlos als sein Vetter, als er die Nachricht vernahm. Merkwürdiger Weise hatte er die vorige Nacht gut geschlafen, und der ungewohnte Genuß des Schlafes hatte ihn, wie er selbst sagte, anscheinend dumm gemacht; Als er jedoch seinen Kaffee getrunken hatte, den er nach ausländischer Sitte immer einige Stunden vor dem Frühstück nahm, klärte sich sein Kopf auf, seine scharfsinnige Seite trat wieder hervor und er nahm die Sache entschlossen und geschickt in folgender Weise in die Hand:
Er ließ zuerst die Dienerschaft zusammenkommen und befahl, alle Thüren und Fenster des Erdgeschosses, mit Ausnahme