Der Monddiamant. Уилки Коллинз
Hause erwartet Dich aber Hammelbraten und Pudding,« warf Ich ein. »Komm, geh gleich zum Essen. Solche Gedanken, wie Du sie hast, kommen aus einem leeren Magen.« Ich sprach mit Strenge in der ganz natürlichen Entrüstung meines Alters; ein Mädchen von 25 Jahren von ihrem Tode sprechen zu hören. Sie schien mich nicht zu hören, sondern legte ihre Hand auf meine Schulter und hielt mich auf meinem Platze an ihrer Seite fest.
»Mir ist, als ob dieser Platz einen Zauber auf mich übte,« fing sie wieder an. »Ich träume jede Nacht davon. Ich muß daran denken, während ich bei meiner Arbeit sitze. Sie wissen, daß ich nicht undankbar bin, Herr Betteredge, daß ich mir Mühe gebe, Ihre Güte und Mylady’s Vertrauen zu verdienen. Aber es kommt mir zuweilen vor, als ob das Leben hier zu gut und zu ruhig für ein Mädchen wäre, das so viel durchgemacht hat wie ich, Herr Betteredge, so viel durchgemacht! Ich fühle mich einsamer unter den anderen Mädchen in dem Gefühl, daß ich nicht zu ihnen gehöre, als hier. Mylady weiß eben so wenig wie die Hausmutter im Besserungshause welch ein schrecklicher Vorwurf, unbescholtene Menschen für ein Mädchen wie ich sind. Schelten Sie mich nicht, Sie sind auch gut. Ich thue ja meine Arbeit, nicht wahr? Bitte, sagen Sie Mylady nicht, ich wäre unzufrieden, denn das ist nicht der Fall. Mein Gemüth ist zuweilen unruhig, das ist Alles.«
Sie riß ihre Hand plötzlich von meiner Schulter weg und deutete mit derselben auf den Flugsand hin.
»Sehen Sie,« rief sie, »ist das nicht großartig, ist nicht schrecklich. Ich habe das wohl zwanzig Mal gesehen und doch ist es mir jedesmal so neu, als hätte ich es noch nie gesehen!«
Ich sah ihrer Hand nach. Die Fluth kam eben heran und der Sand begann sein grausiges Zittern? Die breite braune Oberfläche desselben hob sich langsam und fing dann an, an allen Stellen zu schwanken und zu zittern.
»Wissen Sie, was mir das für einen Eindruck macht,« sagte Rosanna, indem sie ihre Hand wieder auf meine Schulter legte; »Es kommt mir vor, als ob Hunderte von erstickenden Menschen darunter wären, die Alle ringen, an die Oberfläche zu gelangen und immer weiter und weiter in die schreckliche Tiefe hinabsinken. Werfen Sie einen Stein hin, Herr Betteredge, werfen Sie einen Stein hinein und sehen Sie, wie der Sand ihn verschluckt!«
Das war ungesundes Gerede, das war die Wirkung eines leeren Magens auf ein unruhiges Gemüth. Eben wollte ich ihr eine Antwort geben und zwar eine, die das Mädchen in seinem eigenen Interesse tüchtig zurecht gesetzt hätte, als sie mir plötzlich durch eine Stimme abgeschnitten wurde, die mich von den Dünen her bei meinem Namen rief.
»Betteredge,« rief es, »wo sind Sie.«
»Hier« rief ich zurück, ohne eine Ahnung davon zu haben, wessen Stimme mich gerufen habe.
Rosanna richtete sich rasch auf und blickte nach der Richtung, von wo die Stimme kam. Ich wollte mich eben auch aufrichten, als mich ein plötzlicher Wechsel in dem Gesichtsausdruck des Mädchens betroffen machte.
Ihr Gesicht übergoß sich mit einem schönen Roth, wie ich es nie zuvor an ihr gesehen hatte und strahlte in einem sprach- und atemlosen Staunen.
»Wer ist das?« fragte ich.
Sie aber gab mir als Antwort meine eigene Frage zurück.
»O, wer ist es?« sagte sie leise mehr zu sich selbst, als zu mir.
Ich drehte mich im Sande herum und blickte rückwärts Da kam von den Hügeln her ein junger Mann auf uns zu, der in einem hellbraunen Anzug mit Hut und Handschuhen von gleicher Farbe, eine Rose im Knopfloch und ein Lächeln auf seinen Lippen trug, das den »Zitterstrand« selbst zu einem Lächeln hätte bringen können.
Ehe ich mich noch erheben konnte, lag er im Sande neben mir und schlang, wie sie’s im Auslande thun, den Arm um meinen Hals und drückte mich an sich, daß mir der Atem verging.
»Mein lieber alter Betteredge! Ich bin Ihnen sieben. Shilling sechs Pence schuldig, wissen Sie nun, wer ich bin?«
Bei Gott dem Allmächtigen, da war er, Herr Franklin Blake, vier gute Stunden eher, als wir ihn erwartet hatten.
Bevor ich noch ein Wort sagen konnte, bemerkte ich, wie Herr Franklin offenbar überrascht von mir zu Rosanna aufsah. Ich sah nun auch nach dem Mädchen hin. Sie erröthete noch tiefer als zuvor, wie es schien von Herrn Franklins Blick getroffen, und sie wandte sich ab und verließ uns plötzlich in einer mir völlig unerklärlichen Verwirrung, ohne einen Knix für den Herrn oder ein Wort für mich, ganz gegen ihre Gewohnheit, denn sie war sonst das wohlerzogenste und höflichste Mädchen, das man sehen konnte.
»Das ist ja ein komisches Mädchen,« sagte Franklin, »ich möchte wohl wissen, was sie an mir so überraschend findet.«
»Ich denke mir,« antwortete ich, auf die kontinentale Erziehung unseres jungen Herrn anspielend, »es ist der ausländische Firnis.«
Ich setze hier Herrn Franklin’s gedankenlose Frage und meine dumme Antwort als einen Trost und eine Aufmunterung für alle dummen Leute her, da es, wie ich bemerkt habe, unseren weniger begabten Mitmenschen eine große Genugthuung gewährt, zu sehen, daß die Gescheidten gelegentlich nicht klüger sind als sie. Weder Herr Franklin mit seiner ausgezeichneten ausländischen Erziehung, noch ich mit meinem Alter, meiner Erfahrung und meinem natürlichen Mutterwitz hatten eine Ahnung davon, was der wirkliche Grund von Rosanna Spearman’s unerklärlichem Benehmen sei. Das arme Ding war schon unseren Gedanken entschwunden, als noch das Flattern ihres grauen Mantels zwischen den Sandhügeln sichtbar blieb. Und was war der eigentliche Grund? wird man fragen; lies weiter, guter Freund, so geduldig wie möglich, und vielleicht wirst Du Rosanna Spearman eben so tief beklagen wie ich es that, als ich die Wahrheit herausgefunden hatte.
Fünftes Kapitel.
Das Erste, was ich that, als wir allein waren, war, einen dritten Versuch zu machen, mich von meinem Sitz am Strande zu erheben. Herr Franklin hielt mich aber zurück.
»Ein Gutes hat dieser schauderhafte Platz« sagte er, »man ist hier ungestört. Bleiben Sie auf, Ihrem Platz, Betteredge, ich habe Ihnen etwas zu sagen.«
Während er mit mir sprach, betrachtete ich ihn und versuchte in dem Mann, den ich vor mir hatte, Etwas von dem Knaben, der in meiner Erinnerung lebte, zu entdecken. Es wollte aber nicht gelingen. So genau ich auch zusah, so konnte ich doch so wenig mehr von seinen rosigen Wangen, wie von seiner strammen Jacke herausfinden. Sein Teint war blaß geworden, der untere Theil des Gesichts war zu meiner großen Überraschung und Entrüstung mit einem gelockten braunen Backen- und Schnurrbart bedeckt. Er hatte zwar noch immer ein sehr gefälliges und einnehmendes Wesen. das aber doch keinen Vergleich mit dem aushielt, was er früher gewesen war. Und was noch schlimmer war, er hatte versprochen groß zu werden und hatte dieses Versprechen nicht gehalten. Er war zierlich, schlank und wohl gebaut, aber er überragte die mittlere Mannesgröße höchstens um zwei Zoll. Die vergangenen Jahre hatten von seinem früheren Selbst nichts übrig gelassen, als seine hellen, offenen Augen. In ihnen fand ich meinen lieben Jungen wieder, und damit beschloß ich, es bei meinen Nachforschungen bewenden zu lassen.
»Seien Sie willkommen in Ihrer alten Heimath, Herr Franklin,« sagte ich. »Und um so willkommener als Sie einige Stunden früher kommen, als wir Sie erwarteten.«
»Ich habe meine Gründe, früher zu kommen, als Ihr mich erwartetet,« antwortete Franklin, »ich argwöhne Betteredge, daß man mich in den letzten drei oder vier Tagen verfolgt und beobachtet hat, und ich bin mit dem Morgen- statt mit dem Abendzug gereist, weil ich einem gewissen dunkelfarbigen Fremden gern entwischen wollte.«
Diese Worte machten einen tiefen Eindruck auf mich, sie brachten mir auf einmal wieder die Jongleurs und Penelope’s Besorgnis in Erinnerung, daß dieselben etwas Schlimmes gegen Franklin im Schilde führten.
»Wer beobachtet Sie, und warum?« fragte ich.
»Erzählen Sie mir etwas von den drei Indiern, die heute hier gewesen sind,« erwiderte Franklin, ohne auf meine Frage zu achten. »Es ist sehr möglich, Betteredge, daß mein Fremder und Eure drei Jongleurs sich als Silben derselben Scharade ausweisen.«
»Was