Das verlorene Seelenheil. R. S. Volant
noch da und die Schatulle. Er nahm sie heraus und voller Überraschung stellte er fest, dass Amanoue auch hiervon nichts mitgenommen hatte. Der kostbare asconische Schmuck, die Perlen, alles noch da! Aber was war das? Henry nahm ein zusammengefaltetes Tüchlein heraus und legte die Schatulle weg. Vorsichtig faltete er den seidenen Stoff auseinander und erstarrte.
Darin befand sich ein Schneeglöckchen und Henry schluchzte beim Anblick des verwelkten Blümchens heftig auf. Warum hatte er es behalten?
Er konnte sich noch sehr gut daran erinnern, an ihren Ausritt, zu zweit auf Apollo und wie er plötzlich dieses Schneeglöckchen am Wegesrand entdeckt und gepflückt hatte und wie sehr sich Amanoue darüber gefreut hatte. `Für mich?´, hatte er so schüchtern gefragt und das kleine Blümchen die ganze Zeit über in seiner zarten Hand gehalten. Und all die Zeit über, seit diesem tragischen Winter in Averna, hatte er es aufbewahrt und gehütet, wie einen kostbaren Schatz. Warum?
Momentmal, in einer der anderen Truhen hatte er auch ein seltsames Bündel entdeckt, einen Sack oder sowas ähnliches und hatte es achtlos beiseitegeschoben. Henry legte das Schneeglöckchen vorsichtig zurück in das Schmuckkästchen und ging zurück. Welche war es doch gleich wieder gewesen? Ah, die da! Er nahm den Sack heraus, der sich als Kissenbezug entpuppte und blickte hinein. Nanu? Schriftrollen? Waren das etwa? Ja, seine Briefe! Alle, die er an Amanoue geschickt hatte und einige der Pergamente waren leicht angekohlt…
Henry schlurfte damit zum Bett und schüttete die Briefe heraus. Er setzte sich und entrollte den erstbesten. Ja, unverkennbar seine Handschrift, aber was war das? Unter seiner eigenen Signatur, befand sich ein weiterer, in Amanoues filigraner Schrift verfasster Satz:
Ich liebe dich, bitte verzeih mir
Henry stieß die Luft aus und zog die Nase hoch. Mit tränenden Augen öffnete er auch die anderen Rollen und unter jedem davon hatte Amanoue diese Botschaft hinterlassen, bis auf den von Henry zuletzt verschickten, denn dieser war rund um seine Nachricht herum beschrieben worden und was er dort las, ließ ihn vollends die Fassung verlieren.
Mein König, mein Herr, mein Henry, ich liebe dich!
Wenn du dies hier liest, bedeutet es wohl, dass du mir nicht vergeben konntest und ich habe es ehrlich gesagt auch nicht anders erwartet. Aber eines möchte ich dir dennoch versichern, bitte glaube mir, ich tat es letztendlich doch nur für dich! Dies soll keine Entschuldigung für mein Handeln sein, denn was ich dir damit angetan habe, lässt sich durch nichts entschuldigen. Ravio riet mir, also sein Geist, dir die Wahrheit zu sagen und dass ich auf deine Liebe zu mir vertrauen solle. Tja, wie es aussieht, lag er damit wohl doch daneben und mich gibt es nicht mehr in deinem Leben. Vielleicht hast du mich sogar hinrichten lassen? Ich weiß es zu diesem Zeitpunkt nicht und kann nur hoffen, dass du wenigstens Sybilla verschont hast und vergeben konntest, da sie nicht wirklich die Schuld an unserem Betrug an dir, trägt. Sie liebt dich wirklich und ich weiß selbst nicht, weshalb sie mir verfiel. Sie bezeichnete mich danach als einen Incubus und wer weiß, vielleicht bin ich ja tatsächlich eines von diesen Höllengeschöpfen und auch deine Liebe zu mir entstand nur deshalb, weil du den Verführungskünsten eines Dämons zum Opfer fielst.
Du sagtest so oft zu mir, dass du mich lieben würdest, aber nun bezweifle ich es doch immer mehr und vor allem zweifle ich an mir und an dem, was ich wirklich bin. Oh Henry, es gibt noch so vieles, was ich dir noch hätte sagen wollen, über mich! Stattdessen sitze ich nun da und schreibe dir diese Zeilen, in der Nacht, die ich wohl Zeit meines Lebens nie vergessen werde. Es ist diese Nacht, in der wir unser Bündnis mit unserem Blut besiegelten und ich schreibe dies auch mit meinem Blut nieder. Zum einen, weil ich keine Tinte habe und zum anderen, weil ich es möchte. Es stammt zwar aus meiner Handwunde, aber es fühlt sich für mich an, als wäre es mein Herzblut!
Ja, dieses Kind, Sybillas Kind, ist von mir und ich muss dir gestehen, dass ich mich anfangs auch in sie verliebt hatte, dachte ich zumindest. Aber ich bin eben nur ein dummes Ding, ich muss jetzt ein klein wenig schmunzeln über unseren lieben alten Sebastian und doch hatte er recht damit! Ich war so dumm! Und erst jetzt, hoffentlich ist es noch nicht zu spät, erkenne ich, wie sehr ich dich inzwischen liebe. Ich glaube es begann schon in Averna, nur wollte ich es da wohl noch nicht wahrhaben, du kennst ja meine Sturheit und ich bereue auch dieses, zutiefst! Was habe ich dir nur angetan, in all der Zeit, in der du mir stets nur mit deiner Liebe entgegengekommen bist! Ich kann es leider nicht rückgängig machen, aber ich kann nun mit Gewissheit sagen, dass du dich schon damals erfolgreich in mein kleines Herz geschlichen hast und es inzwischen geschafft hast, alle anderen daraus zu vertreiben!
Mein Herz gehört nur noch dir allein, das musst du mir glauben!
Und wenn ich dich auch betrogen habe, dieses Kind will ich dir schenken, von ganzem Herzen und als Beweis meiner Liebe zu dir! Denn Gott wird dir niemals deinen langersehnten Erben schenken, ich weiß, das ist jetzt wirklich zynisch von mir! Bitte, vergib mir, es tut mir so leid und ich sagte es dir vorhin bereits, du wirst nie eigene Nachkommen haben können aber vielleicht wirst du diesem Kind irgendwann wenigstens ein klein wenig von der Liebe schenken können, die du mir entgegengebracht hast.
Ich muss weinen, verzeih die verwischten Flecken…
So, jetzt geht es wieder, hoffe ich wenigstens, wie du weißt, bin ich eine schlimme Heulsuse und wie oft hast du dich darüber beschwert, weil dir mein ständiges Geheule auf die Nerven ging!
Naja, jetzt bist du mich ja los und ich kann nur hoffen, dass du ohne mich glücklicher bist. Ich wünsche es dir wirklich!!! Mit wem auch immer, von mir aus sogar mit Benny, werde glücklich, Henry!
Während ich dies hier schreibe, schläfst du tief und fest und wirkst so zufrieden. Es sieht fast so aus, als würde ein glückliches Lächeln deine Mundwinkel umspielen und ich werde dich gleich darauf küssen, weil ich gar nicht anders kann!
Dein dich liebendes Kätzchen
Henry ließ den Brief sinken, schloss die Augen und eine Flutwelle an Tränen ergoss sich über sein Gesicht.
Nach einer Weile stand er auf, löschte die Kerzen und verließ das Gemach wieder, mit dem Schwur, es nie wieder zu betreten. Dieser Raum sollte fortan das Grabmal seiner verlorenen Liebe sein.
***
Amanoue streckte sich und blinzelte über seinen gebeugten Arm zu seinem ersten Stammkunden hoch. Der Mann strich ihm gerade mit den Fingerrücken über die Wirbelsäule entlang, bis zum Steiß. „Du bist geradezu unvorstellbar schön und ich bin immer auf der Suche nach schönen Menschen. Möchtest du mir nicht mal Modell stehen? Mein Name ist Rafael und ich bin ein recht angesehener Künstler hier im Land. Ich habe kürzlich einen größeren Auftrag erhalten und du wärst das richtige Vorbild dafür“, sagte er und musterte ihn nochmals eingehend, bevor er aufstand um sich anzukleiden.
Auch Amanoue rutschte aus dem Bett, trat zum Waschtisch und begann sich ungeniert zu säubern. Er hatte längst wieder jegliches Schamgefühl abgelegt und war ohne weiteres in sein altes Leben als Lustknabe zurückgeglitten. „Verdient man als Modell gut?“, fragte er und wischte sich mit einem feuchten Lappen über die Innenseiten seiner Schenkel.
„Zumindest besser, als hier“, meinte sein Kunde lächelnd. „Und, es ist bei weitem sicherer! Als männliche Hure erwischt zu werden, bedeutet den Scheiterhaufen! Aber als Muse eines Künstlers würde man dir sogar Respekt entgegenbringen. Du siehst, es hätte also nur Vorteile für dich, wenn du mein Angebot annimmst! Wir müssten allerdings schon morgen beginnen, da das Bildnis bis Ostern fertig sein soll.“
„Was ist das für ein Auftrag?“, fragte Amanoue ohne allzu großes Interesse und hockte sich über die Waschschüssel.
„Es soll ein Heiligenbild werden, zu Ehren der Taufe des Thronfolgers. Ein Triptychon, das ist ein dreiteiliges Altarbild. In der Mitte die heilige Jungfrau mit ihrem Kind, flankiert von zwei Engelsbildnissen“, erklärte der Mann und Amanoue sah ihn überrascht an. „Du würdest den perfekten rechten Engel abgeben, obwohl du auch für die Jungfrau selbst wie geschaffen wärst“, meinte er etwas zynisch und Amanoue schnaubte lachend.
„Da wäre ich wohl eher für die