Anna das Mädchen aus Dalarne. Selma Lagerlöf
von Holzknöpfen noch von seidenen Tüchern, noch von Nadelbriefen. Das erste, was ihr in die Hand kam, war ein kleiner Schinken, und darunter lag eine große Tüte brauner Bohnen und eine ebenso große Tüte gelber Erbsen. Sie sah nichts von einer Banddocke, nichts von einem Nähring, nichts von einem Stück Kattun, nichts, nichts von dem, was eine Hausiererin in ihrem Kramsack haben sollte, sondern nur Reis und Hafergrütze, Kaffee und Zucker, Butter und Käse!
Die Haare wollten ihr zu Berge stehen. Sie kannte doch ihre Tochter; diese gehörte nicht zu denen, die mit Leckereien daherkommen. Anna mußte den Verstand verloren haben, oder was konnte denn sonst mit ihr los sein?
Mutter Svärd war schon im Begriff, zu ihrem Schwager hinüberzulaufen, damit er herausbringe, wie es sich verhielt. Aber glücklicherweise warf sie vorher noch einen Blick nach dem Herd, und da sah sie, daß die Tochter sie anlachte. Nun begriff sie; Anna hatte nur Spaß mit ihr getrieben, und sie dachte, eigentlich müßte sie die Tochter hinauswerfen. Aber auch das wollte sie nicht tun, ehe sie ordentlich Bescheid bekommen hatte, wie alles zusammenhing; denn daß Anna spielen und scherzen wollte, das war nicht weniger ungewöhnlich, als daß sie sich verschwenderisch zeigte.
»Für wen hast denn alles mit'nander ein'kauft?«
»Für dich, Mutter.«
Mutter Svärd hatte bis jetzt glauben wollen, die Waren seien für Nachbarinnen bestimmt, die ihre Tochter gebeten hätten, ihnen solche feinen Lebensmittel mitzubringen. Jetzt schwindelte ihr wieder beinahe.
»Närrin!« sagte sie. »Meinst, ich glaub', du werd'st dich meinetwegen z'tot schleppen?«
»Ach, Mutter, ich hab' aufm Heimweg alles verkauft, und da war's mir doch z'dumm, mit dem leeren Ranzen 'rumz'laufen. Ich hab' eben alles n'einstopfen müssen, was ich g'kriegt hab'.«
Aber die alte Berit, die gewohnt war, ihr Mehl mit gemahlenem Stroh und Rinde zu vermischen, und der es selten so gut ging, daß sie Milch zu ihrer Wassergrütze hatte, konnte sich mit dieser Erklärung nicht zufriedengeben. Sie setzte sich neben ihre Tochter auf den Herdrand und nahm deren Hand in die ihrige.
»Jetzt sag mir aber, was dir g'schehen ist.«
Nun endlich mußte Anna die Mutter genügend vorbereitet gefunden haben. Und da hielt sie mit der großen Neuigkeit nicht länger hinter dem Berge.
»Ja, siehst, Mutter, 's ist 'n Wunder, 'n genauso groß' Wunder wie die in der Bibel und 's müßt' in der Kirch' verkündigt werd'n.«
3
Mutter und Tochter waren darüber einig, daß der erste, der die große Neuigkeit erfahren sollte, niemand anders als Jobs-Erik sein müsse.
Er war nicht allein ihr nächster Verwandter, sondern Anna Svärd hatte von jeher bei ihm einen Stein im Brett gehabt, und er hatte oftmals gesagt, wenn die Nichte sich nur einen Bräutigam anschaffe, dann wolle er ihr eine große Hochzeit ausrichten.
Früh am Nachmittag gingen die beiden zu ihm; sie fanden ihn am Herde sitzen, wo er eben die Asche des ärmlichen Bärenmooses, das er anstatt Tabak rauchte, aus seiner Pfeife herausklopfte. Um diese Zeit, wenn von den jungen Männern, die auf Arbeit südwärts gezogen waren, noch keiner wieder daheim war, konnte man in ganz Medstuby auch nicht ein Päckchen Tabak auftreiben.
Anna Svärd sah gleich, daß der Oheim schlechter Laune war, aber sie ließ sich dadurch weder abschrecken noch sich selbst die gute Laune verderben. Sie dachte nur, wenn er erst die große Neuigkeit zu hören bekomme, werde er schon wieder froh werden.
Jobs-Erik war groß und stattlich, mit dunklem Haar, regelmäßigen Zügen und tiefblauen Augen. Anna Svärd war ihm sehr ähnlich, sie hätte gut seine Tochter sein können. Die Ähnlichkeit lag aber nicht nur im Äußeren. Jobs-Erik war in seiner Jugend auch als Hausierer durchs Land gezogen. Er war gerade wie Anna schlau und verschlagen gewesen und hatte viel Geld verdient. Als seine eigenen Kinder erwachsen waren, hatte er sie denselben Weg einschlagen lassen wollen; aber keines von ihnen hatte Lust zu dem Geschäft gezeigt. Anna Svärd dagegen hatte sowohl die rechte Lust als auch die rechte Anlage dazu gehabt. Der Oheim prahlte bei jeder Gelegenheit mit ihr und lobte sie auf Kosten seiner eigenen Kinder.
Als sie aber diesmal bei ihm eintrat, war wahrhaftig nicht die Rede von Lob und Prahlerei.
»Bist du denn ganz verrückt?« rief ihr der Oheim entgegen. »Hast du alle die großen Herbstmessen im Stich gelassen?«
Anna aber, die ein so großes Wunder hatte erleben dürfen und vor allen andern armen Hausiererinnen zu Glück und Erhöhung ausgewählt worden war, ja sogar von allen den andern Dalmädchen, die gleichzeitig mit ihr in Medstuby aufgewachsen waren, meinte, es gehe nicht an, daß sie mit der Nachricht von ihrer Verlobung so einfach herausrückte, wie wenn man gesegnete Mahlzeit sagt. Nein, sie hielt es für nötig, auch den Oheim erst etwas vorzubereiten, damit die Neuigkeit so aufgenommen würde, wie sie es verdiente.
Deshalb sagte sie noch nichts von ihrem Erlebnis, sondern antwortete nur, sie sei vom Wandern überaus müde geworden und habe sich nur nach Hause gesehnt.
»Man darf nie müd werd'n«, sagte Jobs-Erik, und dann fing er an zu erzählen, was er einst ausgehalten und wieviel er verdient habe.
Anna Svärd hörte zu, ohne ihn zu unterbrechen; als er dann endlich schwieg, versuchte sie ihn auf das, was kommen mußte, ein wenig vorzubereiten. Sie zog ein Päckchen Tabak aus ihrer Tasche und bat ihn, damit vorliebzunehmen.
Aber nun verhielt es sich so, daß Jobs-Erik Anna Svärd eine kleine Summe vorgestreckt hatte, als sie vor drei Jahren mit dem Hausierhandel anfing. Bis jetzt war sie jeden Herbst zu dem Oheim gekommen, hatte ihm erzählt, wie groß ihr Verdienst gewesen war, und ihm auch einen Teil des entlehnten Geldes zurückbezahlt. Jetzt aber kam sie nicht mit Geld, sondern mit einem Päckchen Tabak. Gewiß war das hochwillkommen, aber Jobs-Erik sah trotzdem, als er den Tabak in Empfang nahm, ganz sauer drein.
Anna Svärd kannte indes den Oheim ebensogut wie sich selbst, als sie ihm den Tabak übergab. Sie hatte dem Oheim noch nie ein Geschenk gemacht. Er dachte, vielleicht sei der Handel schlecht gegangen, und wenn sie nun mit einem Geschenk kam, habe sie wohl kein Geld zum Bezahlen.
Er schob das Päckchen zwischen den Fingern hin und her, ohne auch nur danke zu sagen.
»Wollt' dir gern auch mal was schenk'n, weil du mir damals zum Anfang g'holfen hast«, sagte Anna; und mit einem neuen Versuch zu der feierlichen Mitteilung fuhr sie fort: »Ich wer's Geschäft aufgeb'n müssen.«
Noch immer wog der Oheim das Päckchen in der Hand. Es sah aus, als beabsichtige er, es ihr ins Gesicht zu schleudern. Wollte sie mit dem Geschäft aufhören? Er begriff gar nichts; aber daß sie kein Geld für ihn hatte und er auch künftig keines von ihr bekommen würde, das begriff er.
»Denn siehst, ich werd' heiraten«, fuhr Anna Svärd fort. »Und d' Mutter und ich haben g'meint, du müßt'st z'erst erfahr'n.«.
Jobs-Erik legte das Päckchen aus der Hand. Jetzt war es ganz aus mit seiner Hoffnung, jemals die Schuld bereinigt zu bekommen. Aber nicht genug damit, sondern er sollte vielleicht auch gezwungen werden, der Nichte die Hochzeit auszurichten. Er räusperte sich, wie wenn er etwas sagen wollte, hielt sich aber zurück. Der alten Mutter Svärd tat der Schwager geradezu leid. Alles Böse der Welt schien mit einem Male über ihn hergefallen zu sein. Sie wollte ihn wissen lassen, wie das mit der Heirat zusammenhing, und sagte:
»Niemals hätt' ich glaubt, als du sie mit dem Kramsack auf'm Rücken fortg'schickt hast, daß sie so 'nem großen Glück entgegengeht. Sie soll 'nen Pfarrer drunten im Wärmland heirat'n, kriegt 'nen Pfarrhof, wo's Pferd und Küh, Knecht' und Mägd' gibt.«
»Ja«, sagte Anna Svärd, indem sie schamhaft die Augen niederschlug, »'s ist grad, als ob ich armer Tropf 'nem größeren Glück entgegenging als sogar der Jobs-Erik.«
Aber der Alte schien von dieser Nachricht nicht so übermäßig ergriffen zu sein. Er schaute von der Mutter auf die Tochter, und sein Mund verzog sich zu einem verächtlichen Lächeln.