Das Rubikon-Papier. Christoph Güsken
Die beiden Kripobeamten begaben sich in die Kantine, Andersen holte für sich und seinen Kollegen einen dünnen Kaffee aus dem Automaten, Grunwald gönnte sich zusätzlich noch ein Mohnstriezel aus der Glasvitrine. Dann ging‘s zurück in Andersens Büro. „Ich hab gestern Abend zufällig Iris getroffen.”
Andersen sah ihn fragend an.
„Meine Ex. Du kennst sie auch, wir sind schon mal zusammen ausgegangen, glaub ich jedenfalls. Ist aber eine Weile her.”
„Moment, ich dachte, Silvana wäre deine Ex.”
„Ist sie auch. Aber die kam viel später.”
„Na schön”, sagte Andersen. „Tut mir leid, dass ich die Reihenfolge nicht so richtig im Kopf behalte. Also was hat Iris dir erzählt?”
„Sie ist Radiomoderatorin - na, dämmert‘s jetzt? Und sie kennt von Zabern, weil sie ihn mal zu Gast im Studio hatte. Und dann, später, haben sie noch zusammen einen Kaffee getrunken.”
„Wie lange ist das her?”
„Keine Ahnung. Über ein Jahr bestimmt. Jedenfalls beschreibt sie von Zabern als sehr eitel und von sich überzeugt. Außerdem sei er ein Wendehals.”
„Ein Wendehals?”
„Jemand, der gern und ohne große Probleme die Seiten wechselt. Früher hat er sich in der außerparlamentarischen Opposition einen Namen gemacht und sich in Naturschutzorganisationen engagiert, dann hat man ihn für‘s Fernsehen entdeckt. Die Karriere ging steil nach oben, die ehernen Grundsätze und Prinzipien verschwanden in der Schublade. Von Zabern war Everybodys Darling und machte den Wetteronkel im Fernsehen.” Grunwald stellte den leeren Teller auf dem Schreibtisch zwischen den Papierstapeln und leckte sich die klebrigen Finger ab. „Na ja, und dann kam doch wieder was von dem alten Revoluzzer zum Vorschein: Der Mann schrieb ein oder zwei Bücher über den Klimawandel. Seine Fernsehprominenz sorgte dafür, dass sie Bestseller wurden. Und er avancierte dann zu einer Art Klimaexperten.”
„Dann könnte seine Gattin also doch richtig liegen mit ihrem Verdacht, dass er sich irgendwo einen Feind gemacht hatte?”
„Iris kann das jedenfalls nicht bestätigen. Was nichts heißen will. Gerüchteweise hat sie übrigens gehört, dass von Zabern sich in letzter Zeit eher mit konservativen Kreisen gemein gemacht hätte. Du kennst ja die Abendland!-Bewegung.”
Andersen verzog das Gesicht. „Roland und seine europäischen Patrioten - was wollte er denn bei denen?”
„Tja, als echter Wendehals hast du immer ein feines Gespür dafür, woher politisch der Wind weht.”
„Also, das passt jetzt überhaupt nicht zu dem, was Nellie Holm von ihm erzählt hat. Außerdem war von Zabern ein Intellektueller. Armin Roland, der ist doch eher was für den Pöbel, oder nicht?”
„Immerhin gibt es viele, die in ihm den neuen Kanzler gesehen haben.”
„Gesehen haben? Was soll das heißen?”
„Hast du es noch nicht gehört? Es kam in den Nachrichten.”
„Was denn?”
„Roland wurde Opfer eines Attentats. Während einer Kundgebung hat man auf ihn geschossen.”
„Er ist also tot?”
„Keine Ahnung. Jedenfalls wurde das noch nicht bestätigt. Nur dass er verletzt wurde.”
Es klopfte. Ein Mann steckte den Kopf zur Tür herein. An seiner Schläfe klaffte eine blutige Schramme.
„Falls Sie ein Attentat melden wollen”, flachste Grunwald, „dafür sind wir nicht zuständig.”
Der Mann machte ein begriffsstutziges Gesicht. „Entschuldigen Sie“, sagte er. „Ich wollte zu Hauptkommissar Andresen.“
„Andersen“, sagte Andersen.
„Mein Name ist Kerkhoff. Man sagte mir, dass Sie den Fall Dr. von Zabern bearbeiten.“
Andersen erhob sich und wies auf den freigewordenen Stuhl. „Treten Sie näher. Das ist mein Kollege, Hauptkommissar Grunwald. Wir haben Sie schon sehnlichst erwartet, Herr Kerkhoff.“
Der Mann, der eintrat, trug eine speckige Lederjacke. Obwohl er auf die fünfzig zugehen musste und sein Haar von vielen grauen Strähnen durchzogen war, erinnerte seine Frisur an die der Kriegsdienstverweigerer in den siebziger Jahren. Dazu passte eine Nickelbrille mit kreisrunden Gläsern. „Rudi Kerkhoff“, stellte er sich zum zweiten Mal vor. „Ich bin Blogger und recherchiere sozusagen in Ihrem Mordfall.“
„Was meinen Sie mit ‚sozusagen’?“, erkundigte sich Andersen freundlich.
„Nun, ich nehme einmal an“, Kerkhoff warf Grunwald, der hinter ihm stand, einen unsicheren Blick zu, „Sie ermitteln den Mörder Dr. von Zaberns. Und ich sehe diesen Vorfall in einem, sagen wir einmal, größeren Zusammenhang.“
„Wie interessant. Sie meinen Ufos, nicht wahr?“
„Mir ist klar, dass Sie das für einen Witz halten.“ Dem Blogger war die Routine im Umgang mit Spott anzumerken. „Aber wenn es wirklich nur das wäre, wie ist es dann zu erklären, dass man mich plötzlich verfolgt? Dass man meine Wohnung durchwühlt und mein Leben bedroht?“ Er befühlte die Wunde an seiner Stirn.
„Wie ist das passiert?“, erkundigte sich Grunwald.
„Ich konnte gerade noch von einem Garagendach springen, sonst hätten die mich gehabt. Leider bin ich auf einem der Müllcontainer aufgekommen.“
„Uns interessiert vorrangig, was Sie über den Tod von Zaberns wissen“, sagte Andersen. „Was Sie bei ihm zu suchen hatten.“
„Ich war nicht dort. Wir hatten uns für ein Interview verabredet, aber das kam nicht zustande. Ich war zu spät und überall waren Ihre Beamten. Da wollte ich mich dann nicht mehr einmischen.“
„Und was sagen Sie dazu, dass Sie am Tatort gesehen wurden?“
Kerkhoff strich sich über sein unrasiertes Kinn. Er sah Grunwald fragend an, der bestätigend nickte.
„Also gut, Kommissar. Ich bin dagewesen, weil ich dachte, ich würde Dr. von Zabern noch antreffen, obwohl ich zu spät war. Aber da war er schon tot.“
„Und was dann?“
„Der Mörder war noch da und muss zunächst die Flucht ergriffen haben. Doch später hat er sich an meine Fersen geheftet, wahrscheinlich glaubt er, dass ich etwas in Erfahrung gebracht habe.“
„Haben Sie das denn?“
„Wie sollte ich, Kommissar? Als niemand öffnete, kam ich über die Terrasse und fand von Zabern tot im Arbeitszimmer. Da habe ich gemacht, dass ich weg kam.“
„Sie kamen nicht auf die Idee, uns zu verständigen?“
„Leider nein, Herr Kommissar. Im Nachhinein bedauere ich das natürlich.“
„Natürlich. Sie haben nicht zufällig einen USB-Stick mitgenommen? Oder einen anderen Datenträger?“
Kerkhoff machte ein geradezu schockiertes Gesicht. „Ich weiß, dass es nicht richtig war, sich davonzustehlen. Aber das heißt noch lange nicht, dass ich Beweismaterial unterschlagen würde.“
„Zuerst haben Sie auch behauptet, nicht am Tatort gewesen zu sein“, gab Grunwald zu bedenken.
„Ich möchte noch einmal auf den größeren Zusammenhang zu sprechen kommen“, sagte Andersen. „Sie wollen der Welt beweisen, dass es Ufos gibt, richtig?“
„Ich will gar nichts beweisen, sondern herausbekommen, warum man es verheimlicht. Erst vor einer Woche war ich in den schottischen Highlands, wo so ein Ding abgestürzt ist.“
Andersen nickte.