Das Rubikon-Papier. Christoph Güsken

Das Rubikon-Papier - Christoph Güsken


Скачать книгу
das mit seiner Arbeit zu tun hat?“

      „Deutet denn etwas darauf hin?“ Mackenstedt runzelte die Stirn. „Im Radio war von Einbruch die Rede.“

      Andersen nickte. „Die Täter haben Schmuck gestohlen, um davon ab­zulenken, dass sie etwas ganz Bestimmtes gesucht haben. Vielleicht et­was, das sie identifizieren könnte. Möglicherweise wurde Herr von Zabern deswegen auch ermordet.“

      „Sie denken daran, dass Benno ermordet wurde, weil er mit seinem Wissen für jemanden eine Bedrohung darstellte?“

      „Wäre das Ihrer Meinung nach denkbar?“

      „Sicher war Benno nicht der Typ, der einen Bogen um ein Thema machte, wenn es sich als heißes Eisen entpuppte. Ich kann Ihnen aber nicht sagen, woran er momentan arbeitete.“

      „Hatte er Feinde?“

      „Feinde!“ Mackenstedt breitete ratlos die Arme aus. „Dieser Mann war Wissenschaftler. Da hast du keine Feinde. Gegner vielleicht, Wi­dersacher. Sie haben eine andere Meinung als du, verreißen dich in Fachzeitschriften oder beschimpfen dich in einer Fernsehsendung. Aber sie dringen nicht in dein Haus ein und schießen dich nieder.“

      „Also gut“, meinte Andersen. „Nennen wir sie Gegner oder Wider­sacher. Wer käme da in Frage?“

      Der Mann mit dem gepflegten Bart schüttelte den Kopf. „Wie ge­sagt, ich sah ihn zu selten, um darüber auf dem Laufenden zu sein, mit wem er sich angelegt haben könnte. Abgesehen davon letzter Zeit käme ich natürlich in Frage.“ Er lächelte. „Ich war wohl sein ärgster Widersa­cher.“

      7. Kapitel

      Kerkhoff hatte das Gefühl, dass ihn jemand beschattete. Wie oft war ihm der dunkelblaue Kleintransporter schon aufgefallen? Ein Ford Tran­sit oder irgendein japanisches Fabrikat, er kannte sich damit nicht aus. Sicher gab es von denen Tausende. Kein Wunder, dass sie einem ständig an der Ferse klebten.

      Seit ihn dieser Wagen in Hamburg auf‘s Korn genommen hatte, ließ sich nicht mehr leugnen, dass er irgendjemandem mit seiner Re­cher­che gehörig auf die Füße trat. Ich sehe Gespenster! Schluss damit, dachte er. Die Nacht ist lang und anstrengend genug gewesen, da sieht man eben Gespenster. Kerkhoff hatte einem Zug durch die Kneipen unternommen, der bis in den Morgen gedauert hatte. Jedesmal, wenn er sich entschlossen hatte, endlich nach Hause zu fahren, hatte es draußen in Strömen gegossen, also hatte er notgedrungen den Auf­bruch aufgeschoben. Am Morgen hatte er zu nichts anderem mehr ge­taugt, als ins Bett zu fallen. Doch dann war er so gegen neun noch auf einen Sprung bei einem Freund vorbeigeschneit, um ihm das Mit­bring­sel seiner letzten Reise zu überreichen, eine Flasche echten Scotch Whisky, den er am Flughafen von Edinborough erstanden hatte. Natürlich hatte er dann noch auf ein oder zwei Gläser bleiben müssen.

      Wenn man es genau nahm, durfte er, so voll wie er war, gar nicht fah­ren. Wenn man es genau nahm. Doch was das Radfahren betraf, nahm Kerkhoff es mit der Promillegrenze nicht genau. Soweit er se­hen konn­te, war er der einzige weit und breit, der in der Affenkälte nach Hau­se strampelte, also wen gefährdete er schon, wenn er ein bisschen zuviel intus hatte?

      Kerkhoffs Wohnung lag auf der Rückseite des Bahnhofs, im dritten Stock eines renovierungsbedürftigen Wohnhauses. Der Journalist be­wohnte die fünf Zimmer schon seit über zehn Jahren. Damals, als er sie gemietet hatte, war er noch mit Millie zusammengewesen und davon ausgegangen, dass sie bald mehr Platz gebrauchen konnten. Das war Schnee von gestern.

      Auf der anderen Straßenseite parkte noch einer dieser blauen Lie­ferwagen. Sie entwickelten sich allmählich zu einer Plage.

      Der Journalist stapfte die knarzende Holztreppe hinauf und blieb wie angewurzelt vor seiner Wohnung stehen. Die Tür stand offen. Spuren am Türrahmen zeugten davon, dass jemand ein Stämmeisen angesetzt und die Tür mit roher Gewalt aufgehebelt hatte.

      Kerkhoff trat näher.

      Im Wohnzimmer herrschte heilloses Chaos. Schubladen waren her­aus­gerissen, die Polster der Couch mit einem Messer aufgeschlitzt. Der Fernseher umgestürzt. Kerkhoff stieg über zwei umgestürzte Blu­men­töpfe auf dem Boden und schlich auf Zehenspitzen weiter zum Ar­beits­zimmer, das auf der anderen Seite des Flurs lag. Machte zwei vorsichtige Schritte hinein. Die gleiche Unordnung. Auf dem Boden lag der Monitor seines PCs.

      Kerkhoff war im Begriff, noch einen dritten Schritt zu machen, um nach seinem Diskettenarchiv zu sehen. Doch er überlegte es sich an­ders, als er im Fenster sein Spiegelbild entdeckte und direkt dahinter, im Schatten der Tür, eine Gestalt. Blitzschnell reagierte er, schlüpfte zurück in den Flur und knallte dabei die Tür mit aller Kraft gegen die Wand, genau dahin, wo er den Mann vermutete.

      Er hörte ein unterdrücktes Stöhnen und rannte im selben Moment los. Verließ die Wohnung, lief die Treppe hinunter.

      Kurz bevor er den ersten Stock erreichte, hielt er keuchend inne und lauschte. Jemand kam von unten herauf. Sie waren zu zweit! Ein Geräusch von oben sagte ihm, dass der Kerl aus seiner Wohnung die Verfolgung aufgenommen hatte.

      Kerkhoff begann zu schwitzen. Blitzschnell besann er sich des letz­ten Auswegs, den er hin und wieder nutzte, wenn er es vermeiden wollte, ungebetenen Gästen zu begegnen, zum Beispiel Leuten, denen er Geld schuldete.

      Fünf Treppenstufen abwärts gelangte er an ein Fenster. Er öffnete es, schwang sich über die Fensterbank auf ein Vordach. Über einen Mau­ervorsprung balancierend gelangte er auf eine Garage, von wo er sich in den Innenhof hinunterlassen konnte.

      Mit pfeifendem Atem gelangte er an die Kante des Flachdachs. Scheiße, dachte er, das wird ja von Mal zu Mal höher. Ich bin zu alt für sowas. Er nahm Maß und versuchte, irgendwo zwischen den Müll­tonnen auf dem Boden zu landen ...

      8. Kapitel

      Für zwölf Uhr fünfzehn war eine Dienstbesprechung anberaumt, doch sie verzögerte sich um eine gute halbe Stunde.

      Andersen wollte die Zeit nutzen, um den Journalisten anzurufen, der von Zabern hatte interviewen wollen. Doch obwohl er sicher war, dass er den Zettel mit der Nummer auf seinem Schreibtisch abgelegt hatte, fand er ihn nicht wieder. Schließlich gab er auf.

      Um viertel vor eins waren alle am Fall beteiligten Kollegen bis auf Haupt­kommissar Grunwald eingetroffen. Andersen berichtete von sei­nem Besuch bei Nelli Holm, der Lebensgefährtin des Ermordeten, und seinem Gespräch mit Dr. Mackenstedt, der sich als Weggefährte und sein ärgster Widersacher bezeichnet hatte. Damit meinte er allerdings, erläuterte Andersen, dass die beiden über Jahre rein wissenschaftlich als Gegenspieler auftraten, um sich öffentlich zu positionieren. Sie hat­ten eine gemeinsame Fernsehsendung mit dem Titel Welt im Wan­del – Chance oder Niedergang, in der Mackenstedt von Zabern als Untergangsprophet geißelte, während der seinen Gegenspieler der Schön­färberei bezichtigte.

      Die routinegemäße Befragung der Nachbarn war noch nicht abge­schlossen. Bisher hatte sie nichts Brauchbares ergeben, bis auf die Aussage einer älteren Dame, die schräg gegenüber wohnte. Sie gab an, einen ‚jungen Halbstarken’ bemerkt zu haben, langhaarig mit Le­derjacke. Er habe sich am Montag nachmittag kurz vor fünf von von Zaberns Grundstück aus zu seinem Wagen geschlichen, den er abseits geparkt hatte, obwohl direkt vor dem Haus Parkplätze frei gewesen seien. Unterwegs habe er sich mehrmals nach allen Seiten umgeschaut und sei ihr sehr verdächtig vorgekommen.

      Was den Verbleib der mysteriösen Datei namens Rubikon betraf, gab es keinen Fortschritt. Ein Kollege mit altsprachlichem Hintergrund wies allerdings daraufhin, dass Rubikon ein winziges Flüsschen sei, das in Italien zwischen Ravenna und Rimini in die Adria fließe und in der Antike die Grenze zwischen Rom und seiner Provinz Gallia Cis­al­pina gewesen sei.

      Wegen des großen Medieninteresses wurde im Anschluss an die Be­sprechung eine Pressekonferenz abgehalten, in der sich die Kolle­gen der Mordkommission dafür zu rechtfertigen hatten, warum sie nach gut einer Woche Ermittlungen immer noch keine konkrete Spur ver­folgten.


Скачать книгу