Sündenrächer. Frank Esser

Sündenrächer - Frank Esser


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Mal! Die Spur brauchen wir nicht weiter verfolgen.«

      »Immerhin haben wir jetzt mehr oder weniger Gewissheit, dass es sich bei dem Mörder um einen Mann handelt«, meinte Hansen.

      »Damit liegst du zwar richtig, allerdings hätte ich das jetzt nicht unbedingt an dem Fußabdruck festmachen wollen. Aber einen Trumpf habe ich mir noch bis zum Schluss aufbewahrt, der auch dieses Rätsel löst. Die Auswertung der Hautpartikel, die wir an der Leiche von Herbert Neumann sichergestellt haben und eindeutig nicht vom Opfer selbst stammen, liegt vor. Und demnach ist diese Person männlich.«

      »Gute Arbeit, Laura«, sagte der Chefermittler anerkennend. »Danke. Ich muss dann auch wieder los. Solltet ihr noch irgendwelche Fragen haben, habt ihr ja meine Nummer. Tschüss«, sagte sie und machte sich auf den Weg.

      »Wie weit seid ihr gestern noch mit der Überprüfung hinsichtlich des Jammers gekommen, Markus?«, wollte Hansen nun von Beck wissen.

      »Wir haben nur zwei Firmen geschafft. Beide verfügten über ein derartiges Gerät, das sie uns auch bereitwillig vorgeführt haben. War ganz interessant. Und zugleich erschreckend zu sehen, wie leicht man eine Alarmanlage damit übertölpeln kann. Die Mitarbeiter konnten uns alle ein Alibi nennen. Wir haben das bereits überprüft. Die Firmeninhaber haben uns versichert, dass sie dieses Werkzeug nicht an Privatpersonen verkaufen würden. Wir machen heute mit unserer Überprüfung in Aachen und Umgebung weiter«, erklärte er.

      »Einer der Mitarbeiter hätte so einen Jammer mitnehmen und an andere Personen weitergeben können«, gab Riedmann zu bedenken.

      »Die Möglichkeit besteht. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass das so gelaufen ist. Als wir den Mord erwähnten, gaben sich alle sehr offenherzig«, erwiderte Beck.

      »Wenn ich unsere bisherigen Ergebnisse einmal Revue passieren lasse, haben wir nicht viel in der Hand«, meinte Hansen. »Wir gehen davon aus, dass Neumann aus einem bestimmten Grund ermordet wurde und nicht ein willkürliches Opfer eines sadistischen oder räuberischen Mörders ist. Beweisen können wir das im Moment nicht. Genauso wenig wie unsere Vermutung, dass seine Ermordung mit einem Ereignis in der DDR zu tun haben könnte.«

      »Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen«, brachte es Riedmann auf den Punkt.

      »Also gut. Die Tagesaufgaben sind klar. Markus und Jens kümmern sich weiter um die Überprüfung der Sicherheitsfirmen und wir beide beschäftigen uns wieder mit den Akten«, erklärte Hansen in Richtung seines Partners. Damit war die Frühbesprechung beendet und alle erhoben sich von ihren Sitzen.

       Kapitel 11

      Hansen und Riedmann verloren keine Zeit und machten sich gleich nach Ende der Besprechung an die Arbeit. Nach zwei Stunden ergebnisloser Recherche vor dem Bildschirm brauchte Hansen erst mal einen Kaffee. Ausnahmsweise begnügte er sich mit einem Wachmacher aus dem Automaten auf dem Flur. Als er mit zwei Plastikbechern in der Hand in Riedmanns Büro zurückkehrte und sie abstellen wollte, schlug dieser mit der Faust auf die Schreibtischplatte, sodass Hansen beinahe die Becher fallen ließ.

      »Ich glaube, ich habe hier was«, sagte Riedmann. »Neumann hat nicht nur im K1 gearbeitet. Er wurde 1987 nach Bautzen versetzt, das berühmt berüchtigte Gefängnis für politische Häftlinge. Den Akten zufolge wurde Ende 1990, also nach der Wende, kurzzeitig gegen Neumann ermittelt. Es gab drei Anzeigen ehemaliger Insassen. Ihm wurden brutale Verhörmethoden nachgesagt. Neumann war laut Aussage von damaligen Gefangenen wohl so eine Art Verhörspezialist und hat sich vor allem einen gewissen Ruf im Kampf gegen Republikflüchtlinge gemacht. Was immer das auch heißen soll«, erklärte Riedmann.

      »Und was ist bei den Ermittlungen rausgekommen?«

      Er antwortete nicht sofort, sondern überflog den Bericht. Hansen konnte beobachten, wie die Augäpfel seines Kollegen wild hin und her wanderten, so schnell las er die restlichen Textzeilen. Nach kurzer Zeit fasste Riedmann seine Lektüre so zusammen: »Die Untersuchungen wurden aus Mangel an Beweisen eingestellt. Aber es kommt noch besser. Es gibt hier ein Zusatzprotokoll, das einer der Ermittler damals erstellt hat. Gegen Neumann wurde bereits vor dem Mauerfall ermittelt, und zwar kurz vor seiner Versetzung nach Bautzen. Ein Häftling wurde nach der Vernehmung leblos in der Arrestzelle des Dresdner Präsidiums gefunden. Der Mann hieß Guido Sommer, neunzehn Jahre alt. Die Ermittlungen wurden aber recht bald wieder eingestellt. Die DDR-Justiz hat den Fall laut dieses Berichtes nur sehr halbherzig verfolgt. Es kam nicht einmal zu einer Anklage. Dem Totenschein zufolge, der hier als Kopie vorliegt, handelte es sich um Herzversagen. Die Familie hat natürlich Zweifel daran geäußert. Ihr Sohn war laut Aussage der Eltern nicht herzkrank.«

      »Der war erst neunzehn. Kein Wunder, dass die Eltern daran gezweifelt haben. Erstaunlich finde ich allerdings, dass die Anzeigen der Insassen aus Bautzen nicht weiter verfolgt wurden. Gerade wegen des Zusatzberichts und der Ermittlungen im Fall Sommer gegen Neumann«, stellte Hansen fest.

      »Wer weiß, wer da seine Strippen gezogen hat? Du ersetzt ja nicht zwangsläufig alle wichtigen Ämter und kappst sämtliche bedeutenden Verbindungen, nur weil es einen politischen Wechsel gibt. Das hat ja schon bei der Entnazifizierung nicht funktioniert.«

      »Aber es ist dennoch interessant, dass Neumann kurze Zeit später nach Bautzen gewechselt ist. Entweder war an den Vorwürfen der Eltern doch etwas dran, und man wollte Neumann aus dem Weg haben. Oder es war gerade wegen seiner Verhörpraktiken eine Art Beförderung, wenn man berücksichtigt, was du eben von den anderen Anschuldigungen ehemaliger Insassen des Gefängnisses vorgelesen hast. Stehen da zufällig auch die Namen der Personen, die damals Anzeige erstattet haben?« »Da haben wir ausnahmsweise einmal Glück. Rico Stern, Marco Stein und Thea Wunderlich. Ich führe sie unserer Liste der potenziell Verdächtigen hinzu.«

      »Ja, tu das. Vielleicht hat er seine Heimatstadt auch deswegen verlassen«, mutmaßte Hansen.

      »Gut möglich. Ich hoffe nur, dass die Kollegen in Dresden bei unserer Anfrage weiterhelfen können.«

      »Och, ich hätte nichts gegen eine Dienstfahrt in die schöne Elbstadt, um zu helfen«, erwiderte Riedmanns Chef mit einem Grinsen.

       Kapitel 12

       1988 in der Nähe von Großburschla

      Birgit Schneider, von ihren Freunden nur Biggi genannt, saß auf dem Sofa und starrte an die weiße Raufasertapete an der gegenüberliegenden Wand ihres Wohnzimmers. Peter war verschwunden. Gerade überlegte sie, wie viele Motive es dafür geben und welche man ausschließen könnte, als es klingelte. Zwei Männer hielten ihr, nachdem sie geöffnet hatte, einen Dienstausweis vor die Nase, der sie als Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit auswies. Sie hielten sich nicht lange mit Reden auf und baten sie mitzukommen. Kaum hatte sie sich ihren Mantel und ihre Stiefel angezogen, saß sie auch schon auf der Rückbank eines himmelblauen Wartburgs. Sie ahnte inzwischen, dass der unerwartete Besuch im Zusammenhang mit Peters Verschwinden stand. Es war eine lange Fahrt, aber sie hatte schnell erkannt, wohin es ging, obwohl es draußen dunkel war. Die Männer fuhren nach Dresden, in ihre Heimatstadt. Jede Frage, die sie den beiden Stasi-Mitarbeitern stellte, wurde mit stummer Verachtung beantwortet. Als das Fahrzeug sein Ziel erreichte und sie die von den Strahlern angeleuchtete gelbe Klinkerfassade sah, wusste sie, wo sie waren. Es überraschte sie nicht. Wenigstens hatte sie jetzt Gewissheit. Sie standen vor dem Einfahrtstor von Bautzen, dem meist gefürchtetsten Gefängnis der DDR. Die Bevölkerung nannte den Knast in Anlehnung an die gelbe Fassade nur „Gelbes Elend“. Schon eine halbe Stunde später begann das erste Verhör.

      »Sie wissen, warum Sie hier sind, Fräulein Schneider?«

      Der Mann mit dem bestimmten Gesichtsausdruck und der scharfen Stimme strahlte eine unheimliche Autorität aus. Der Kurzhaarschnitt, die betont gerade Sitzhaltung und die ausdruckslosen Augen unterstrichen diesen Eindruck. Vor dem Mann lag auf dem Tisch eine geschlossene Akte. Aber Birgit Schneider konnte nicht erkennen, was auf dem Deckblatt stand.

      »Nein, das weiß ich nicht. Und ich möchte jetzt endlich wissen, was hier eigentlich los ist«, flehte


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