Sündenrächer. Frank Esser
etwa vier Jahre. Seit etwas mehr als drei Jahren haben wir zusammengearbeitet«, antwortete der Mann umgehend.
»Dann kannten Sie sich recht gut?«
»Das würde ich so nicht sagen.«
»Wie meinen Sie das?«
Paulus räusperte sich kurz. »Herbert war nicht gerade ein zugänglicher Typ. Ein Einzelgänger, wie man so sagt. Er legte keinen Wert auf private Kontakte. Selbst nach dem Tod seiner Frau war er lieber alleine, als zum Beispiel etwas mit den Jungs von der WUSA zu unternehmen. Wir treffen uns nämlich regelmäßig in unserer Stammkneipe, sofern die Schichten das zulassen.«
»Das heißt, dass Sie nicht befreundet waren, wenn ich Sie richtig verstehe?«, fragte Hansen nach.
»Wir waren definitiv keine Freunde, Herr Kommissar. Wir waren wirklich nur Kollegen«, antwortete der Befragte. Er unterstrich die Aussage mit einem Kopfschütteln.
»Sie erwähnten, dass Neumann Ihrer Meinung nach ein Einzelgänger war? Könnten Sie das vielleicht näher erläutern? Nur, weil er nichts mit den Kollegen unternehmen wollte, muss das ja nicht unbedingt der Fall gewesen sein.«
»Na ja. Man bekommt ja so Einiges mit, wenn man zusammenarbeitet. Er hat nie von Freunden oder von irgendwelchen Freizeitaktivitäten gesprochen.«
»Dann wissen Sie wohl auch nicht, ob Neumann Feinde hatte?«
»Nee, nicht wirklich.«
»Wie war er denn als Kollege?«, stellte diesmal Riedmann die nächste Frage.
»Man konnte gut mit ihm zusammenarbeiten. Vielleicht etwas überkorrekt, wenn man das so sagen kann«, meinte Paulus.
»Wie meinen Sie das?«, unterbrach Hansen den Wachmann.
Der Wachmann überlegte kurz, zog an seiner Kippe. »Wenn ich zum Beispiel außerhalb der regulären Pausenzeiten einmal eine Zigarette rauchen oder einen Kaffee trinken wollte, hielt er mir immer gleich eine Moralpredigt, dass wir zwischen Arbeits- und Pausenzeit unterscheiden müssen. Das nahm er sehr genau. Oder mal vorzeitig Feierabend machen, wenn wir mit unserer Runde früher fertig waren, war bei Herbert nicht drin. Aber ansonsten war er eigentlich ganz okay als Kollege. Ich kam jedenfalls immer gut mit ihm aus.«
»Er war also ein Pedant, der keine oder nur sehr wenige Freunde hatte«, resümierte Hansen und machte sich eine entsprechende Notiz. Jemand, der so korrekt durchs Leben läuft, macht sich mit Sicherheit nicht immerzu beliebt, dachte er. »Eine letzte Frage noch, Herr Paulus. Dann wären wir erst einmal fertig.« Hansen kramte in seiner Manteltasche nach dem Beweisstück, das ihm Laura Decker kurz zuvor gegeben hatte. Als er es gefunden hatte, zeigte er ihm die Polizeimarke. »Wir haben diese Marke bei dem Opfer sichergestellt. Wissen Sie zufällig etwas darüber?«
Paulus warf nur einen kurzen Blick auf das Stück Metall. Dann zog er ein letztes Mal an seiner Zigarette und drückte den Stummel im Aschenbecher aus. »Herbert war früher Polizist in der DDR. Hat er mir gegenüber mal erwähnt. War er wohl stolz drauf.«
»Das ist ja interessant. Können Sie uns mehr darüber erzählen?«
»Nee, nicht wirklich. Als ich ihn mal gefragt habe, wie das damals so war bei dem Bullen im Osten, meinte er nur, dass er nicht über die Vergangenheit reden wollte. Ich habe das akzeptiert. Aber Georg Fuchs wird Ihnen da mehr zu sagen können. Das war der erste Partner von Herbert. Soviel ich weiß, hat er dem Georg öfter von seinem Leben in der DDR erzählt.«
Hansen notierte sich den Namen in sein Notizbuch, das in Form und Größe an ein Notenheft erinnerte, wie es Lehrer nutzten. Nur dass sein kleines Büchlein einen schwarzen Einband hatte. »Wissen Sie, wo Georg Fuchs wohnt?«
»Keine Ahnung, so gut kannten wir uns nicht. Er ist in Rente gegangen, kurz nachdem ich bei der WUSA angefangen habe. Am besten fragen Sie mal den Chef.«
»Wissen Sie, wo Neumann früher gelebt hat, bevor er nach Aachen kam?«, fragte Riedmann.
Paulus zog die Stirn kraus. »Ich glaube, er hat mal erwähnt, dass er früher in Dresden gelebt hat. Aber ganz sicher bin ich mir nicht«, antwortete er schließlich.
Hansen klappte sein Notizheft zu. »Vielen Dank, Herr Paulus. Wir haben zunächst einmal keine weiteren Fragen. Sollte Ihnen noch etwas einfallen, können Sie mich jederzeit unter dieser Handynummer erreichen«, meinte Hansen und reichte Paulus seine Visitenkarte, bevor er sich von dem Mann verabschiedete.
Der Wachmann steckte die Karte ein und verließ sichtlich erleichtert das Haus des ermordeten Kollegen. Auch Hansen und Riedmann sahen keinen Grund dafür, dass ihre Anwesenheit am Tatort weiter erforderlich war. Sie gaben noch Laura Decker Bescheid und traten den Rückzug an.
»Wir müssen schnellstens klären, ob Neumann Polizist in Dresden oder einer anderen Stadt war, Stefan. Das könnte eine im Hinblick auf die Polizeimarke, die wir bei dem Toten gefunden haben, wichtige Spur sein«, meinte Hansen, als sie das Haus des Opfers verließen.
»Oder aber eine falsche Fährte«, erwiderte Riedmann.
»Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass es nur ein Zufall war, dass wir die Polizeimarke bei der Leiche gefunden haben? Wir müssen alles über seine Vergangenheit als Polizist zusammentragen, was wir nur finden können. Oder siehst du das anders?« Hansen war angesichts Riedmanns destruktiver Haltung, die er an den Tag legte, leicht genervt. Schlafmangel hin oder her.
»Ist ja schon gut. Du hast ja recht. Ich kümmer mich darum, sobald wir wieder im Präsidium sind«, gab Riedmann versöhnlich zurück.
Just in dem Moment, als die Ermittler auf den Bürgersteig traten, hielt das Auto der beiden Kollegen Markus Beck und Jens Marquardt vor dem Haus.
»Ach nee, der Rest des Teams gibt sich auch noch die Ehre. Ich wollte schon eine Vermisstenanzeige aufgeben«, sagte Hansen.
»Da können wir uns bei Jens bedanken«, erwiderte Beck genervt. »Dank seiner neuesten Bekanntschaft vom Wochenende, durfte ich einmal quer durch die Innenstadt und wieder zurückfahren, um ihn abzuholen, weil seine Karre nicht angesprungen ist. Und das bei den vielen Baustellen«, erklärte der zweifache Familienvater mit vorwurfsvollem Blick in Richtung Marquardt.
»Jetzt, da ihr da seid, könnt ihr euch auch nützlich machen. Hört euch mal bei den Nachbarn in der Straße um. Vielleicht ist ihnen am Wochenende etwas Ungewöhnliches aufgefallen. Außerdem möchte ich, dass ihr herausfindet, was sie über den Toten zu sagen haben. Tragt alles zusammen und erstellt mir bitte ein Profil. Und wir beide fahren dann jetzt gleich zur WUSA«, meinte Hansen an Riedmann gewandt. »Mal sehen, was Neumanns Chef und seine Kollegen uns über den Toten berichten können. Außerdem will ich so schnell wie möglich mit diesem Georg Fuchs reden.«
»Wer fährt?«, wollte Riedmann wissen.
»Hatte ich doch glatt vergessen. Wir sind ja beide mit dem Wagen da. Ich fahre. Auf dem Rückweg kannst du dann dein Auto abholen.«
»Dein Wunsch ist mir Befehl«, witzelte Riedmann.
Kapitel 4
Schon wenige Minuten später erreichten die beiden das Betriebsgelände der WUSA in der Zieglerstraße im Gewerbegebiet Eilendorf Süd. Die Befragung starteten die Ermittler mit dem Chef der Firma, Markus Schmitz, in dessen karg ausgestattetem Büro. Doch der konnte leider nicht viel über seinen Mitarbeiter berichten. Neumann wäre ein korrekter Angestellter gewesen, der seinen Dienst gewissenhaft verrichtete. Privaten Kontakt hatte es zwischen dem Chef und dem Wachmann allerdings so gut wie nie gegeben. Sah man einmal davon ab, dass Neumann im vergangenen Jahr seine Kollegen allesamt zum Beerdigungskaffee anlässlich der Trauerfeier seiner Frau eingeladen hatte. Im Großen und Ganzen deckten sich Schmitz´ Aussagen mit denen von Paulus. Deshalb konnte ihnen Neumanns Chef auch keine Informationen über das soziale Umfeld des Ermordeten geben. Ähnlich verhielt es sich mit der Sekretärin, die ebenfalls nicht viel über den Wachmann erzählen konnte. Da ansonsten kein anderer Mitarbeiter der WUSA anwesend war, war die Befragung schnell beendet. Immerhin verließen die Ermittler die Firma nicht