Raphael Reloaded. Barbara E. Euler
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Barbara E. Euler
Raphael Reloaded
Krimi
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Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1
RAPHAEL RELOADED
Barbara E. Euler
For Wolf, always
Früher hatte er die Boots in die Pedale gestemmt.
Raphael seufzte.
Früher hatte er nicht solche Schmerzen gehabt.
Aber der Wind war derselbe und das Tempo und das Geräusch und der Geruch von Benzin. „Ich will verdammt sein, Azif!“, grölte er in die Gegensprechanlage in seinem Helm.
„Mal sehen, was ich tun kann!“ Der Afrikaner peitschte den Motor hoch.
Raphael sah auf den Tacho und grinste. Sie waren Bullen. Sie durften das.
Manchmal jedenfalls.
„Nicht“, sagte er nüchtern, und der Mittzwanziger bremste sanft.
Dort hinten kam die Küstenlinie in Sicht. Raphael kniff die Augen zusammen. Das milchige Morgenlicht nahm der massigen Häuserfront ihre Härte; der hohe Himmel warf Meerblau zurück.
„Ich will verdammt sein“, wiederholte er voll Inbrunst. Das hier war sein Revier. Immer noch.
Am Strand flatterte ein Absperrband in der steifen Brise. Köpfe fuhren herum, als die beiden Männer auf dem Trike näherkamen. Es klang fast wie ein Helikopter. Dann waren sie da. Azif machte den Motor aus, legte seinen Helm ab und stieg vorsichtig von der Maschine. Bis auf den Wind und die Wellen war es jetzt sehr still.
Azif zeigte seinen Ausweis: „Polizei.“ Zwei Streifenbeamte stapften heran, ein Mann und eine Frau.
Unauffällig dehnte Azif die Glieder. Früher war er geschmeidiger gewesen.
Früher hatte er keine Schrauben im Körper gehabt.
„Azif Ibrahim, Federale Politie. Mein Kollege Hauptinspektor Raphael Rozenblad“, er wies auf seinen Beifahrer. Die Beamten nickten steif und nannten ihre Namen.
„Vandeputte.“
„Lodewijk.“
Raphael zog den Helm vom Kopf. „Lokale Politie Brugge“, er grinste freundlich von seinem Sitz herab. Mit einem Blick streifte er den Horizont und das Wasser und den Sand und die Hand, die daraus hervorstak. Eine Möwe schrie.
Es war schön, am Strand zu sein, selbst neben einer Leiche.
Raphael sog Seeluft in die Lungen. Er kam selten hierher; er brauchte Hilfe dazu und er mochte keinen fragen. Grit hatte es gemacht, es war ihr Job gewesen. Er dachte daran, wie sie ihn in dem breitbereiften Strandrollstuhl bis ans Wasser bugsiert hatte, wie sie bei ihm gelegen hatte, an warmen Sand zwischen den Fingern und den Geruch von Sonnenöl auf Haut.
Vorbei.
Raphael blinzelte in die Morgensonne und setzte sich zurecht. Mit dem Trike war es eh cooler. Leider brauchte man ein Verbrechen dazu; normalerweise waren Trikes am Strand streng verboten. Er sah auf Azif, der unter dem Absperrband durchtauchte, mit den Kollegen sprach und sich dann neben die Hand in den Sand hockte. Eine Joggerin hatte die Hand entdeckt. Oder besser ihr Hund. Die Frau war sehr durcheinander gewesen und hatte mit Mühe ihren Namen zu sagen gewusst. Die Kollegen hatten sie nach Hause geschickt.
Azif betastete die Hand und sah zu ihm herüber und schüttelte den Kopf.
Raphael biss sich auf die Lippen, als der Kollege jetzt mit bloßen Händen konzentriert zu graben anfing, langsam und ebenmäßig. Es sah aus wie ein exotisches Ritual. Raphael beobachtete die Szene schweigend. Die Hand war aufgequollen und bleich und schwammig, das konnte er bis hierher sehen; es ging nicht um Leben und Tod. Es ging um Tod.
Niemand rührte sich, als der Sudanese handvollweise den Sand abtrug und den Körper freilegte oder was davon übrig war. Die beiden Streifenbeamten verschlangen das seltsame Schauspiel wie einen Film und dachten nicht daran, die Strandgänger zu verscheuchen, die in einer Traube gegen das dünne Absperrband wogten und Handys in den mattblauen Morgenhimmel reckten. Es gab keine Kinder, immerhin, die Sommerferien waren lange vorbei.
Kinder. Bice hatte immer Kinder gewollt. Almeno quattro. Vielleicht weil sie aus Sizilien kam. La famiglia war für sie immer das Größte gewesen.
Raphael fuhr sich über das Gesicht. Drei Wochen vor dem Unfall hatte seine Freundin Schluss gemacht. In der SMS hatte was davon gestanden, dass er den Hintern nicht hochkriegte. Das war verdammt richtig.
Jetzt war das verdammt richtig.
„Hoi, Raphael, komm mal!“, rief jetzt der Kollege, ohne von seiner Tätigkeit aufzusehen.
Gehorsam rutschte Raphael in den Sand und robbte los. Für Azif war er ein gewöhnlicher Kollege.
Für Azif war er normal.
Er fühlte sich auch normal, bis die ersten Handys in seine Richtung schwenkten.
Da war es wieder. Dieses Gefühl in der Magengrube, erst klein und dann fordernder. Raphael schwitzte. Lächelte. Fixierte den Boden. Stemmte die Fäuste in den Sand und hangelte sich vorwärts, während die Gedanken Saltos schlugen. Gleich würde es vorbei sein.
Plötzlich war er ganz ruhig. Am Rand seines Blickfeldes sah er Azif, der aufgestanden war und langsam näherkam, die schmalen Hände aneinanderreibend. Raphael hob den Kopf.
Azif hatte feine Nerven, er spürte, wenn was nicht stimmte. Immer.
Der Afrikaner schwang das Plastikband hinter sich und bezog bei Raphael Stellung.
„Ihre Handys sind beschlagnahmt.“
Die beiden Männer hatten es wie aus einem Mund gesagt. Sie tauschten erstaunte Blicke. Grinsten. Es war nicht abgesprochen gewesen.