Kriminalhauptkommissar Ronny Mittler. Axel Schade

Kriminalhauptkommissar Ronny Mittler - Axel Schade


Скачать книгу
„Jetzt im Ernst. Setzt man es beim Segelsport ein?“ „Davon ist auszugehen, behaupte ich, ohne es explizit zu wissen.“

      Es klopft. „Herein!“, ruft Mittler. Lena Schösteen und Merle Jörgisdottir treten ein. „Moin!“, grüßen sie. „Moin!“, schallt es zweistimmig zurück. Lena setzt sich auf die Bettkante neben ihren Vorgesetzten. Merle zieht es auf die Fensterbank.

      „Was gibt es Neues?“, erkundigt sich die Oberkommissarin. „Wir haben einen Mordfall!“, erklärt Gerichtsmediziner Meyer. Mittler nickt bestätigend. „Sieh an. Da hatte Chefchen wieder den richtigen Riecher!“, staunt Lena und denkt amüsiert an Merles Beispiel vom heiligen Spekulatius. „Vielleicht war Ronny in einem früheren Leben Spürhund?“, witzelt Merle. „Nö, eher Trüffelschwein!“, antwortet Meyer strohtrocken, womit er die Anwesenden zum Lachen bringt. Darauf folgend fasst der Pathologe für die Kommissarinnen seine Ergebnisse zusammen.

      Lena Schösteen kommentiert das Gehörte: „Passt alles zu Ronnys Vermutungen. Er meinte doch, dass niemand ein derartiges Seil mit ins Krankenhaus bringt, um sich damit das Leben zu nehmen. Das sehe ich genauso. Dahinter stünde eine geplante Handlung. Die erkenne ich aufgrund der bisherigen Erkenntnisse nicht. Das Seil brachte jemand in der Absicht mit, einen Suizid vorzutäuschen. Hinzu kommt das Indiz mit dem verlorenen Hausschuh. Es deutet an, dass der Verstorbene nicht auf eigenen Füßen sein Zimmer verließ. Du bestätigst, dass er unter Betäubungsmitteleinfluss stand. Ich gehe davon aus, der Täter sedierte Thilo van der Leuwen, holte ihn aus dem Bett und hing ihn im Treppenhaus auf. Der Vorgang einen Bewusstlosen zu bewegen, ist beschwerlich. Man muss den Ohnmächtigen transportieren. Das ist anstrengend. Stellt euch vor, wie man ihn über das Treppengeländer hebt. Einen leblosen Körper von diesem Gewicht! Dennis Jakobs hätte die Kraft, es zu bewerkstelligen. Momentan ist er Hauptverdächtiger. Was nicht ins Bild passt, ist die Frage, wie verabreichte er Thilo Betäubungsmittel? Zugegeben, Dennis hat ein Motiv und kein wasserdichtes Alibi. Dennoch halte ich ihn für unschuldig! Er ist, wie das Opfer, Segelsportler und hätte sicher einen Seemannsknoten gemacht, um das Seil am Geländer zu befestigen. Das entlastet ihn. Außerdem überzeugt mich, was er über Zukunftspläne mit Carola erzählt. Ich glaube nicht an ihn als Täter. Wir müssen an anderer Stelle suchen.“

      „Hörst du, wie analytisch Lena zusammenfasst und zweifelt, Albert?“, fragt Ronny Mittler seinen Freund. „Das hat sie bei mir gelernt!“ „Du alter Angeber!“, schimpft der Pathologe. „Mit Angabe hat es nichts zu tun! Man muss Gespür für den Täter entwickeln, um ihn zu überführen. Sie fällt nicht auf offensichtliche Fakten rein. Sie hinterfragt. Das ist, was ich den Kolleginnen vorlebe. Umso mehr erfreut bin ich, wenn solche Ergebnisse dabei herauskommen. Die Frage, die sich stellt, lautet: Was fängst du damit an, meine Liebe?“ Erwartungsvoll schaut Mittler die Kriminaloberkommissarin an.

      „Ich knöpfe mir Schwester Friederike vor. Sie hatte Nachtdienst, entdeckte den Toten und meldete dir den Vorfall. Ich frage, warum bekam sie nicht mit, dass eine oder mehrere Personen Thilos Zimmer betraten? Er wurde betäubt. Man transportierte ihn. Hing ihn im Treppenhaus auf. All das ist ihr entgangen. Wieso? Das muss sie mir glaubhaft erklären.“, erläutert Lena.

      „Prüft zeitnah die Aufnahmen der Überwachungskameras. Wer weiß, was sie offenbaren?“, erinnert Mittler.

      „Was ist mit Thilos Clique?“, meldet sich Merle von der Fensterbank. „Ja? Was ist mit denen?“, erkundigt sich der Hauptkommissar. „Sollten wir sie nicht ebenfalls befragen?“ „Ja, das könnt ihr, obwohl ich das Gefühl nicht loswerde, dass diese Leute nichts zur Lösung des Falls beitragen!“

      Lena schlägt vor: „Wir bestellen die Personen zur Anhörung. Kümmerst du dich darum, Merle? Es sollen sich Kollegen zu ihrer Befragung bereithalten. Wir brauchen Unterstützung im Revier.“ „Gerne.“

      „Prima. Dann schaue ich die DVD an. Sonst noch was?“

      „Wer befragt die Patienten der Station, ob sie in der betreffenden Nacht etwas hörten oder sahen? Vielleicht bekam jemand was mit? Merle, übernimmst du das?“, fragt Mittler. „Geht klar. Ich lege gleich damit los, während Lena die kranke Schwester befragt.“, albert sie.

      In der Mitte der Privatstation treffen zwei Gänge aufeinander. Einer führt zu den Aufzügen, der andere zum Treppenhaus. An dieser Schnittstelle befindet sich das Dienstzimmer, aus dessen Fenster man beide Flure überblickt. Lena sieht Oberschwester Kill und Schwester Friederike darin sitzen. Sie sind in ein Gespräch vertieft und bemerken nicht, wie sie zur Eingangstür geht. Daran klebt ein Schild:

       PRIVATSTATION

       Professor Dr. H. HARR

       ZUTRITT NUR FÜR PERSONAL!

       Besucher am Fenster rechts um die Ecke melden.

      Oberkommissarin Schösteen ignoriert die Aufforderung, klopft an und tritt ohne „Herein“ abzuwarten ein. Die Frauen drehen sich zu ihr um. Oberschwester Kill zeigt genervtes Augenrollen. Wie von der Tarantel gestochen springt sie auf, faucht feindselig: „Kein Zutritt! Melden sie sich am Fenster!“

      Lena grüßt betont liebenswürdig: „Moin Frau Kill. Entschuldigen sie bitte die Störung! Ich bin Oberkommissarin Schösteen. Kriminalpolizei.“ Sie hält der Stationsleiterin den Dienstausweis vor die Nase.

      „Ja und? Was für andere gilt, ist auch gut genug für sie. Melden sie sich am Fenster!“ Perle weist mit ausgestrecktem Zeigefinger darauf. „Frau Kill. Sie verstehen sicher, es muss nicht die ganze Station mitbekommen, was ich besprechen möchte.“

      Oberschwester Ulrike zeigt sich dickfellig. Wild entschlossen, ihr Revier zu verteidigen, steht sie breitbeinig vor Lena. Verankert in einem Fundament aus Birkenstocksandalen ragen ihre speckigen Beine wie griechische Marmorsäulen aus dem Schwesternkittel. Es erweckt den Anschein, ihre Füße bilden in diesem Augenblick im Linoleumbelag des Fußbodens Wurzeln, um festen Stand zu garantieren. Mit verschränkten Armen verweigert Perle sich der Obrigkeit. Wie ein Türsteher vor dem Nachtclub schreit ihre ganze Erscheinung: „Du kommst hier nicht rein!“

      „Ich möchte Schwester Friederike sprechen.“ „Das geht nicht!“ „Wie bitte?“ „Kommt nicht in Frage!“, keift Ulrike in einer Lautstärke, die selbst einem Patienten mit Knalltrauma zu laut wäre. „Weshalb nicht?“, erkundigt sich Lena liebenswürdig. „Die hat gleich Dienstbeginn.“ „Es dauert nicht lang.“ „Nein hab ich gesagt!“

      Lenas Geduldsfaden spannt sich allmählich. Ihre Satzmelodie erhält eine aggressivere Färbung. „Nochmal zum Mitschreiben! Ich möchte ihre Kollegin sprechen!“ „Wir sind bei der Übergabe.“ „Ich warte.“ „Das können sie sich abschminken! Gehen sie.“ „Ich bin im Zuge einer Mordermittlung hier!“, erklärt Lena. „Mord?“ Perle lacht hysterisch. „Soll das ein Witz sein?“ „Zum Scherzen bin ich nicht aufgelegt, Frau Kill. Leider ist es die bittere Wahrheit!“ „Das wird ja immer doller!“ „Mord. So ein Quatsch! Das wüsste ich aber!“ Penetranzia stellt sich stur.

      „Schwester Kill, ich fürchte, sie missverstehen die Situation.“ „Und sie verstehen nicht, dass wir Dienst am Menschen leisten und keine Zeit zum Polizeispielen haben! Also gehen sie endlich!“ Wiederholt zeigt sie gebieterisch zur Zimmertür. „Es reicht, Frau Kill! Sie behindern mich bei der Amtsausübung. Wollen sie ernste Schwierigkeiten? Die bereite ich ihnen schneller, wie sie ihren Namen aussprechen.“

      Könnten Blicke töten! Lena läge längst auf dem Fußboden. Die kleinen Äugelein der Oberschwester gleichen glühenden Kohlen. Der Ausdruck im mittlerweile hochroten Mondgesicht spricht Bände. Hausdrache Kill ist kurz davor Feuer zu spucken. Vor Wut schäumend drängt sie sich an Oberkommissarin Schösteen vorbei. Sie räumt das Feld. Bevor die Tür ins Schloss knallt, zischt sie: „Du weißt, was du zu tun hast, Friederike!“

      „Darf ich mich setzten?“, fragt Lena. Schwester Friederike rollt wortlos einen Bürostuhl zu ihr. Die Oberkommissarin zieht ein MP3-Aufnahmegerät aus der Jackentasche. „Ich stelle ihnen


Скачать книгу