Fördegeheimnisse. Karl-Heinz Biermann
trat auch schon ein Mann ins Büro, stellte sich als Personalleiter der Firma vor.
Der Kommissar trug noch mal sein Anliegen vor, die Kollegen des Mitarbeiters sprechen zu wollen, ohne mitzuteilen, dass dieser ermordet worden war.
„Sie sollten wissen“, sagte daraufhin der Personal-leiter, „das dies ohne Anordnung von höherer Stelle nicht geht.“
„Was wollen Sie denn damit sagen?“ Kommissar Brandt war perplex.
„Ich brauche Ihnen gar nicht viel erklären, so viel sei Ihnen gesagt: Wir sind ein Unternehmen in der Rüstungsindustrie, Sie sollten verstehen, dass unsere Mitarbeiter der strengsten Geheimhaltung unterliegen.“
„Ich ermittle in einem Mordfall …“
„Tut mir leid“, fiel der Personalleiter ihm ins Wort. „Sie können die Mitarbeiter nicht befragen, bitte verstehen Sie.“
„Ich muss Ihnen mitteilen, dass Ihr besagter Mit-arbeiter ermordet wurde“, konfrontierte der Kommissar ihn jetzt mit dem Tötungsdelikt. „Haben Sie sich keine Gedanken über das Fernbleiben von Herrn Mosbacher gemacht? Ihnen als Personalleiter müsste doch so etwas nicht verborgen bleiben. Ich will den Chef dieser Firma sprechen“, erzürnte er sich.
„Das geht leider auch nicht.“
„Dann machen wir es so“, der Kommissar sprach es süffisant, „Ihr Chef bekommt eine Aufforderung, sich umgehend im Polizeipräsidium einzufinden, und Sie kommen auch und bringen die Kollegen des Mord-opfers gleich mit. Dort werden wir uns weiter unter-halten.“
Der Personalleiter zuckte mit den Schultern. „Dann tun Sie’s“, sagte er.
Kommissar Brandt dachte daran, dass ihm noch die Privatadresse des Firmeninhabers fehlte. Diesen Lackaffen brauchte er gar nicht erst danach fragen, der würde stur bleiben und keine weiteren Auskünfte geben. Er tippte zum stummen Gruß mit zwei Fingern an seine Stirn und ließ ihn hinter sich.
Draußen vor dem Firmeneingang sah er wieder hoch zum Namenszug. Immer diese englischen Schreibweisen, dachte er abfällig, wir sind doch in Deutschland. Die tun hier so, als seien sie mondial, sind aber nicht einmal bereit, einem Beamten des deutschen Staates Rede und Antwort zu stehen. Er würde ihnen sein Recht schon abfordern.
Im Polizeipräsidium forschte er sogleich danach, ob ihm nun endlich jemand von den Kollegen zur Seite gestellt werden konnte, doch waren sie immer noch mit ihren eigenen Fällen beschäftigt, niemand hatte eine freie Hand. Den Chef dieses Rüstungsbetriebs würde er nie und nimmer aufs Präsidium bekommen, soviel war sicher.
Es wütete in seinem Kopf, immer noch ungehalten über die vorhin erlittene Abfuhr bei diesem Personalheini, und er war ärgerlich über seine Kollegen, die ihm nicht helfen wollten. Er musste zum Staatsanwalt, nur der konnte eine Verfügung erlassen, mit der man an den Firmenchef und seine Mitarbeiter herankam. Die würde er sich dann vornehmen und dann würde man schon sehen, ob sie sich ihm weiterhin verweigerten.
Noch am selben Tag bekam der Kommissar einen Termin beim Staatsanwalt, dem er sein Anliegen
bereits vorher schon über seinen Computer gemailt hatte.
Der Staatsanwalt reichte ihm eine Mappe über den Schreibtisch. Kommissar Brandt klappte sie auf und fand zu seinem Erstaunen nur ein einziges Blatt darin vor. Er las den Namen der Firma und deren Adresse, sonst stand nichts auf dem Papier.
„Anfragen zu diesem Unternehmen sind ausschließlich beim Bundeskriminalamt zu stellen, wegen der Geheimhaltung“, sagte der Staatsanwalt, „und das auch nur über den Generalstaatsanwalt“, fuhr er gewichtig fort.
Kommissar Brandt klappte die dünne Mappe zu, das war’s dann, dachte er.
„Eine Rüstungsfirma, die speziell für den U-Boot-Bau hier in Kiel tätig ist, mehr kann ich Ihnen auch nicht mitteilen“, erklärte der Staatsanwalt.
„Ist das nicht schon ein bisschen zuviel? Ich meine wegen der Geheimhaltung.“
„Nun werden Sie mal nicht ironisch.“
„Immerhin konnte ich bis zum Personalleiter dieser Firma vordringen.“ Der Kommissar ließ nicht von seiner Polemik ab. „Was glauben Sie, wie der sich aufgeführt hat. Wie soll ich den Fall lösen, wenn man mir Knüppel zwischen die Beine wirft?
„Wie ich es schon sagte, die müssen Ihnen nichts erzählen. Aber“, sagte der Staatsanwalt, und er sagte es mit verschmitztem Gesichtsausdruck, „Sie dürfen zwar nicht auf dem Betriebsgelände ermitteln, aber Sie können dem Firmenchef privat einen Besuch abstatten. Das wissen Sie doch! Er ist allerdings nicht verpflichtet, Ihnen Auskünfte zu geben, nicht über seine Firma, über Privates ja“, betonte er. „Ob er das tut, ist eine andere Frage“, fügte er an.
„Ja, ja, das weiß ich doch alles.“ Kommissar Brandt reagierte brummig auf die, wie er meinte, anmaßende Belehrung des Staatsanwalts. „Dann besorge ich mir seine Privatadresse, dazu muss ich aber den Namen dieses Herrn Firmenchefs wissen.“
Der Staatsanwalt nickte. „So wie ich Sie kenne, kriegen Sie ihn raus“, sagte er.
6
Hanna Lürssen spähte in den Garten, der sich hinter ihrer Villa erstreckte. Sonnenstrahlen brachen durch Büsche und durch spärlich belaubte Bäume, durchdrangen die große Scheibe des Terrassenfensters, hinter der die Frau stand und fielen in ihr Gesicht, ließen ihre Tränen wie Perlen glänzen.
Sie war, wie so oft, allein in der Villa und ihre Einsamkeit fühlte sie umso mehr, als sie wieder an das Foto in der Zeitung dachte. Dabei blickte sie in Richtung des Zauns, der das große Gelände ihres Anwesens umgab, sehen konnte sie ihn nicht und doch sah sie dort ihren Geliebten. Er würde nicht mehr wiederkommen, dachte sie, und sie dachte auch an die Fotos, auf dem er mit ihr zusammen zu sehen gewesen war. Diese verdammten Fotos, die Ursache für die Tragik und das Leid, das ihr widerfuhr. Am liebsten hätte sie es hinausgeschrien, dass sie mit diesen Fotos erpresst wurde. Aber sie durfte es nicht.
Noch immer rollten Tränen in ihrem Gesicht herunter und ihre Blicke gingen hinaus in den Garten, sie sah aber nichts, nur ihre bedrückenden Gedanken umgaben sie. Erst das Tönen der Haustürglocke, noch lauter als sonst, wie sie es empfand, schreckte sie auf. Sie wandte sich um, sah im Flur auf dem Monitor der Über-wachungsanlage einen Mann, und sie beruhigte sich etwas, als sie in ihm nicht diesen Erpresser wiedersah.
„Guten Tag.“ Der Mann vor der Tür hielt ihr einen Ausweis entgegen. „Mein Name ist Brandt, ich bin von der Kieler Kripo.“
Hanna Lürssen fuhr zusammen, verbarg ihre Über-raschung aber.
Nachdem er um Einlass gebeten hatte und die Frau es durch stumme Gestik gestattete ihr zu folgen, ging der Kommissar um sich schauend hinter ihr her und fand sich in einem großen Zimmer, eher einem über-ladenen Salon wieder, hinter dessen großer Fensterfront sich ein unübersehbarer Garten anschloss.
„Ich nehme an, dass Sie Frau Lürssen sind. Ist Ihr Mann zu sprechen? Ich habe ein paar Fragen an ihn.“
„Mein Mann?“ Jetzt schien Hanna Lürssen überrascht. „Nein, mein Mann ist nicht da“, sagte sie.
„Er ist in seiner Firma, nehme ich an?“, wollte der Kommissar feststellen.
„Nein“, die Frau schüttelte ihren Kopf. „Er ist auf Geschäftsreise – im Ausland“, fügte sie an.
„Ah ja.“ Kommissar Brandt sah sich um. Die Frau hatte er längst fixiert gehabt, eine attraktive Erscheinung, befand er. Sie musste so um die vierzig sein, schätzte er ihr Alter. Er schaute zu den Gemälden an den Wänden, eines nach dem anderen sah er sich an. Dann machte er ein paar Schritte auf das große Terrassenfenster zu. „Leben Sie ganz allein hier? Oder wohnen hier noch weitere Familienangehörige?“
Hanna Lürssen verneinte.
„Und Personal? Haben Sie Hausangestellte?“
„Ja, aber was wollen Sie?