Der unheimliche "Erste Diener des Staates". Walter Brendel

Der unheimliche


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Erst als das Schloss 1736 bezugsfertig war, atmete die unglückliche Gattin des Kronprinzen auf. Drei Jahre hatte sie – ohne Beistand Friedrichs – das strenge Zeremoniell am Berliner Hof ertragen müssen. Nun konnte sie endlich ein neues Leben an der Seite ihres Gemahls beginnen. Die folgenden vier Jahre nannte sie selbst die glücklichsten ihres Lebens. Friedrich scheint in dieser Zeit seine Abneigung gegen die Gemahlin zumindest partiell überwunden zu haben. Er soll gesagt haben: „Ich war niemals in sie verliebt, aber ich müsste der niedrigste Mensch sein, wenn ich sie nicht aufrichtig schätzen wollte, denn sie hat erstens ein sanftes Gemüt, sie ist zweitens so gelehrig, wie man es sich nur wünschen kann, und drittens gefällig bis zum Übermaß.“

      Eine Zeit lang sah es so aus, als hätte Elisabeth Christine mit ihrer sanften Art und ihrer Liebe das kalte Herz des Kronprinzen erweicht. Gelegentlich ließ dieser sich zu regelrechten Liebesbekundungen hinreißen. Im Juni 1739 schrieb er: „Ich freue mich auf Rheinsberg und noch mehr auf das Vergnügen, Sie zu umarmen.“ Ein Beweis für eine glückliche und harmonische Beziehung? Viele Biografen sehen das so. Tatsächlich gab es für die Eheleute aber nur wenige Berührungspunkte: Er war von früh bis spät damit beschäftigt, Staatsphilosophie und Kriegskunst zu studieren, um sich auf sein künftiges Amt vorzubereiten. Sie verfasste Briefe an ihre Verwandten, las, empfing Gäste, genoss Konzerte und Theateraufführungen. Fazit: In Rheinsberg lebten Friedrich und Elisabeth Christine unter einem Dach, doch sie blieben sich fremd. Eine Seelenverwandtschaft konnte nicht entstehen: Sie war tief religiös und betrachtete ihr Schicksal als gottgegeben. Gegen Ende ihres Lebens schrieb sie über ihre Beziehung zu Friedrich: „Weil ich weiß, dass Gott vermöge seiner unabänderlichen Vollkommenheit handelt und alles lenkt, ... glaube ich fest, das meine ganze Lebenslage, in welche die Allwissenheit des Herrn der Welt mich unter meinen Zeitgenossen gestellt hat, für seine Ziele die beste und richtige ist ... Daraus habe ich die Überzeugung gewonnen, dass all die besonderen Lagen, in denen ich mich jemals befunden habe ... notwendig für mein wahres Heil waren.“ Diese Demutshaltung war Friedrich fremd: Als Kind der Aufklärung war ihm „Frömmelei“ zuwider. Er hatte zwar nichts gegen Gott einzuwenden, lehnte jedoch die Institution Kirche und ihre Dogmen ab. Er glaubte nicht an die Unsterblichkeit. Und Moral war seiner Meinung nach auch ohne Religion möglich – konsequenterweise führte er später als König von Preußen die Religionsfreiheit ein: „Die Religionen müssen alle toleriert werden ... denn hier muss ein jeder nach seiner Fasson selig werden.“ Friedrich galt als hervorragender Gesprächspartner, die Chronisten berichten jedoch von keinem einzigen philosophischen Disput mit Elisabeth Christine. Man darf daher vermuten, dass das gemeinsame Leben der Eheleute in Rheinsberg auf andere Vergnügungen beschränkt war.

      Das angenehme Leben endete mit dem Tod Friedrich Wilhelms I. am 31. Mai 1740. Wenige Stunden vor seinem Ableben legte der König die Geschicke des Staats in die Hände Friedrichs, dem er seine Jugendsünden verzieh und ihn einen „braven und würdigen Sohn“ nannte. Elisabeth Christine erfuhr noch in der Nacht vom Tod ihres Schwiegervaters. Sofort ließ sie die Pferde einspannen, um von Rheinsberg nach Berlin zu fahren. Der Brief, den sie dort erhielt, gab ihr einen Vorgeschmack auf den neuen, wenig verbindlichen Umgangston ihres Gemahls: „Madame. Sobald Sie angekommen sind, werden Sie sich sofort zur Königin begeben, um ihr Respekt zu beweisen. Und Sie werden versuchen, darin mehr als sonst zu tun. Dann können Sie noch hier bleiben, soweit Ihre Gegenwart erforderlich ist ... Sehen Sie möglichst wenig Menschen oder niemanden. Morgen werde ich die Trauer der Damen festlegen und Ihnen meine Befehle darüber zuschicken. Adieu, ich hoffe, Sie bei guter Gesundheit wiederzusehen. Fédéric.“ Mit der Thronbesteigung Friedrichs II. wurde Elisabeth Christine eine Befehlsempfängerin, eine Puppe, „der jegliche Möglichkeit der Selbstentfaltung vorenthalten“ wurde, urteilt der Politikwissenschaftler und Biograf Paul Noack in seinem Buch „Elisabeth Christine und Friedrich der Große“. Nach dem Tod des Vaters habe Friedrich keine Notwendigkeit mehr gesehen, die Beziehung zu seiner Gemahlin aufrechtzuerhalten, sich ihrer jedoch auf eher unkonventionelle Weise entledigt: „Keine der in diesem Jahrhundert üblichen Strategien findet Anwendung. Weder lässt er sich von ihr scheiden, noch verbannt er sie, noch versorgt er sich mit Mätressen. Er belässt sie mit allen Rechten und Pflichten als Dekorationsfigur an seiner Seite, ohne sie als Person zur Kenntnis zu nehmen“, so Noack. Um sie nicht ständig sehen zu müssen, schenkte Friedrich ihr das Schloss Schönhausen. Dort sollte sie den Rest ihres Lebens verbringen.

      Man fragt sich, was in dem frisch gebackenen König vorging, als er seine noch nicht einmal 25jährige Gemahlin in die Provinz abschob. Vorab gesagt: Die Frage ist nicht endgültig geklärt. Die meisten Biografen unterstellen Friedrich II. edle Beweggründe: Er habe sich ganz seinen Aufgaben als Feldherr und Staatsmann widmen wollen. Und er sei so von Pflichtgefühl erfüllt gewesen, dass ihm ausschließlich das Wohl des Staates am Herzen gelegen habe. Der Mediziner und Buchautor Hans-Joachim Neumann kommt zu einem andern Ergebnis: Er glaubt, das absonderliche Verhalten des Königs sei auf einen „erotischen Unfall“ zurückzuführen. Kurz vor seiner Eheschließung habe sich Friedrich eine Geschlechtskrankheit (Balanoposthitis) zugezogen, die zu einem „verstopften Samenfluss“ geführt habe. Diesen habe der Arzt eines Kameraden wenig erfolgreich behandelt. Die Symptome seien zunächst verschwunden, später aber verstärkt wieder aufgetreten; schließlich habe nur ein „grausamer Schnitt“ Friedrich das Leben gerettet. Dr. Johann Georg Zimmermann, ein Arzt, der 1790 ein Buch mit der königlichen Krankengeschichte veröffentlichte, schreibt: Der Patient sei in Folge der Behandlung „ein klein wenig verstümmelt, aber nicht verschnitten und deswegen blieb Er, was Er war“. Der König habe das jedoch mit Kastratentum verwechselt und sich für zeugungsunfähig gehalten. Hielt Friedrich II. deshalb Elisabeth Christine auf Distanz? Wusste sie von seinem Leiden? Wurde er wegen seines „erotischen Unfalls“ vielleicht homosexuell? Man kann nur spekulieren – die Eheleute hinterließen der Nachwelt keine einschlägigen Hinweise.

      Sicher ist nur, dass Elisabeth Christine im Alter von knapp 25 Jahren zu klösterlicher Enthaltsamkeit verdammt wurde: Friedrich ließ sie seit seiner Thronbesteigung nicht mehr an sich heran. Ihr muss relativ schnell klar geworden sein, dass der Gemahl nicht mehr damit rechnete, Vater zu werden: Bereits 1741 erklärte er seinen Bruder August Wilhelm zum Thronfolger, der allerdings bereits 1758 starb. Ob Elisabeth Christine unter der Kinderlosigkeit gelitten hat, ist nicht überliefert. Schlimmer war für sie wahrscheinlich die Gleichgültigkeit, mit der Friedrich sie behandelte. Doch trotz aller Demütigungen schien sie ihm nie zu grollen: Sie sprach von ihrem Gemahl stets mit äußerster Hochachtung und nannte ihn den „größten Fürsten unserer Zeit“, lange bevor der Rest der Welt ihn nach dem siegreichen beendeten Zweiten Schlesischen Krieg (1745) „den Großen“ nannte. Diese Bewunderung hatte jedoch ihre Schattenseiten: Je mehr Elisabeth Christine Friedrich II. idealisierte, desto mehr sah sie sich selbst mit seinen Augen. Ihr Selbstwertgefühl sank, sie wurde erst unsicher, dann ängstlich und schließlich depressiv. In Schönhausen fühlte sie sich wie eine Gefangene. Mit 31 Jahren schrieb sie, sie wolle nur noch den Tod erwarten, „wenn Gott es für gut halten wird, mich von dieser Welt zu nehmen, in der ich nichts mehr zu tun habe“.

      Dann kam der Siebenjährige Krieg. Preußen, das seinen Nachbarn zu mächtig geworden war, kämpfte gegen die Armeen Österreichs, Russlands, Frankreichs, Schwedens und eines Großteils der Reichsfürsten buchstäblich um seine Existenz. Die Zeit zwischen 1756 und 1763 verbrachte Friedrich mit seinen Soldaten im Feld, und Elisabeth Christine übernahm in Berlin die Aufgaben an der Heimatfront: Sie ließ die Siege feiern, empfing Delegationen und traf sich mit Verwandten. Dreimal musste sie die Hauptstadt verlassen, weil österreichische und russische Truppen vor den Toren Berlins standen. Sie floh mit dem Hofstaat nach Magdeburg und Potsdam, wo sie zum ersten Mal mit eigenen Augen Sanssouci, die Residenz ihres Mannes, sah. Und nach sieben langen Jahren hatte ihr Friedrich nichts anderes zu sagen, als dass sie zugenommen habe. Elisabeth Christine zog sich wieder zurück in ihre Residenz Schönhausen und schwieg. Friedrich, der in den folgenden Jahren damit beschäftigt war, seinen Staat aufzubauen, nannte sie „meine Stumme“. Was die Königin zu sagen hatte, vertraute sie ihren Büchern an. Still und in sich gekehrt widmete sie sich dem Verfassen von religiös-moralischen Erbauungsschriften. Nur noch selten folgte sie Einladungen nach Berlin. In Schönhausen erfuhr sie am 17. August 1786 auch vom Tod ihres Gatten. Der Etikette folgend, hätte sie nach Sanssouci reisen müssen, um dem Toten die letzte Ehre zu erweisen. Doch die Witwe wollte das Schloss ihres Gemahls, in das


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