Der Anti-Koch (Die Gesellenjahre - Teil 1). Ralf Real Shock
verschwunden war. Mit Münzgeld gab er sich nicht ab. Das hatte ich in den paar Tagen rasch festgestellt. Er sah arg mitgenommen aus. Hektisch inhalierte er lange Züge an seiner Zigarette. Ein flüchtiger Blick im Aschenbecher langte, um festzustellen, dass er in der kurzen Zeit fast eine halbe Schachtel weggepafft hatte. Er schwitzte aus allen Poren. Sein Gegenüber, Herr Schönfeld, der Assistent von unserem Pächter, war die Ruhe selbst, nippte mit einem provokanten Lächeln am Wasserglas, lehnte sich anschließend lässig im Stuhl nach hinten. Er war sich, wie so oft seiner Sache sehr sicher, erneut Herrn Pätzold um einige Scheine zu erleichtern.
Nachdem Herr Pätzold sein mageres Blatt enttäuscht auf den Tisch gepfeffert hatte, streckten sich Herr Schönfelds Hände schon gierig nach dem gut gefüllten Topf aus.
„Noch ein Spiel, noch ein gottverdammtes Spiel, Schönfeld, dann hab ich Sie am Wickel“. Die pure Verzweiflung drang aus seiner Stimme durch.
Herr Schönfeld lachte nur kurz auf: „Keine Zeit mehr, Pätzold, aber später vielleicht. Ach, wer ist denn da wieder aufgetaucht? Der Herr Döpke. Sieh mal einer an. Wie geht es Ihnen denn? Besser?“
Keine Antwort! Dafür huschte ein höhnisches Grinsen durch sein unrasiertes Gesicht, als er Herrn Pätzold nach der verlorenen gegangenen Pokerrunde wie ein Häuflein Elend da hocken sah. Der brauchte aber nur wenige Augenblicke um sich wieder zu sammeln, stand auf, nahm einmal tief Luft, ging entschlossen auf Herrn Döpke zu und gab ihm die Hand: „Und? Ausgeschlafen, Herr Döpke? Wieso klebt Ihre Hand so?“
Keine Antwort. Döpkes Blick ging ins Leere.
„Und? Haben Sie sich denn wenigstens gut auskuriert?“
„Das ist Honig.“
„Honig?“
„Honig esse ich jeden Morgen zum Frühstück.“
Herr Pätzold schluckte, behielt aber die Fassung und redete ungerührt weiter: „Aha, Sie haben also noch in aller Ruhe gefrühstückt, obwohl sie verschlafen haben.“
„Ja sicher, meinen Sie etwa, ich gehe ohne Frühstück aus dem Haus? Ich muss ja auch an meinen Stuhl denken.“ Aufrichtige Empörung schwang bei dem ansonsten chronischen Aussageverweigerer mit.
„An Ihren Stuhl? Wie soll ich das denn jetzt schon wieder verstehen?“
Keine Antwort.
Herr Pätzold ließ einige Sekunden verstreichen und fuhr dann fort: „So, dann gehen wir jetzt mal alle hübsch in die Küche. Herr Heinemann, wie weit sind Sie? Ach, eigentlich brauch ich das ja gar nicht zu fragen. Was? Wenn was wäre, hätten Sie mich schon bestimmt gerufen. Oder? Herr Döpke, Sie haben sich schon miteinander bekannt gemacht? Das ist unser neuer, noch ausbaufähige Koch, mit dem Sie nun öfters in der Küche stehen werden. Und dann, ach, kommen Sie mal direkt mit. Wir haben da was für Sie.“ Herr Pätzold schritt zielstrebig auf den Pass zu. Seine Stimme wurde nun fast schon feierlich: „Die gesamte Belegschaft hat zusammengelegt, außer Herr Heinemann, weil er erst kurz bei uns ist. Wissen Sie, Herr Döpke, Sie können in Ihrer Freizeit tun und lassen, was Sie wollen. Ist mir egal, interessiert mich nicht. Hat mich auch nicht zu interessieren, aber hier in der Küche möchte ich einen Koch an meiner Seite haben, der erstens eine saubere Garnitur anhat und der zum anderen keine unangenehmen Körperdüfte mit sich rumschleppt und so die Riechorgane der Leute, mit denen Sie hier tagtäglich zu tun haben, in Mitleidenschaft ziehen. Wir haben uns schon oft genug über Ihren hygienischen Zustand unterhalten. Sie erinnern sich? Und jetzt reicht es. Deswegen bekommen Sie ein Deo von uns spendiert. Morgenfrische. Riecht gut. Benutze ich auch.“
Keine Antwort.
„Wissen Sie, Herr Döpke, wenn ich Sie mir so anschaue, dann sehe ich wieder, Sie haben es anscheinend nicht für nötig gehalten, an ihrem ersten Tag eine frische Garnitur anzuziehen. Gehe ich also Recht in der Annahme, Sie haben die Drecksklamotten angezogen, die Sie vor über eine Woche in Ihren Spind geworfen haben?“
Keine Antwort.
Herr Pätzold ging einen schnellen Schritt zurück, betrachtete stirnrunzelnd seinen stark müffelnden Koch, der die besten Voraussetzungen mit sich brachte, ein möglicher Gefahrenherd für Viren und anderes Geschmeiß zu sein. Dann ging ihm ein Licht auf: „Aber klar doch! Jetzt erkenne ich die Tomatenflecken auf Ihrer Jacke wieder. Da haben Sie doch noch Tomatensuppe gekocht! Die Jacke kriegen Sie ja niemals wieder sauber. Ist das etwa schon Schimmel, was da vorne grün-blau schimmert? Ist ja widerlich! Ziehen Sie bloß schleunigst diese Drecksschleuder aus! Und holen Sie sich in der Kleiderkammer eine neue Garnitur. Bevor Sie hier wieder in der Küche erscheinen, duschen Sie noch und sprühen sich dann ordentlich was Deo unter die Arme. Der Tag ist ja noch jung. Wären Sie so gütig, Herr Döpke? Würden Sie das für mich, für Herrn Heinemann, den Service und die Gäste, die wir heute zum Mittag erwarten, wohl tun? Uns diese eine kleine Freude bereiten?“ Lieblicher Sarkasmus umhüllte seine letzten Worte.
Keine Antwort. Dafür nickte Herr Döpke abfällig, verzog dabei sein Gesicht und schnappte sich das Deo vom Pass.
Herr Pätzold seufzte erleichtert auf.
„Ich kann Deo nicht vertragen. Davon bekomme ich Ausschlag.“
„Gut! Dann duschen Sie nur.“
„Ich habe keine Seife im Haus.“
„Sie sollen ja auch nicht zum Duschen extra wieder nach Hause fahren. Warum haben wir da unten denn die Personalduschen? Zur Zierde etwa?“
Keine Antwort.
„Ich verstehe. Honig haben Sie im Haus, aber Seife nicht.“
„Wasser hab ich auch nicht.“
„Wieso?“
„Ist abgestellt worden. Vom Vermieter.“
„Herr Döpke, ich weiß genau, was Sie wieder vorhaben. Erst sagen Sie keinen Ton und dann erfinden Sie wieder irgendwelche Hirngespinste, um mich wieder in sinnlose Diskussionen zu verwickeln.“
„Aber wenn ich es Ihnen doch sage. Im Haus lief über mir die ganze Nacht das Wasser vom Nachbarn. Und am Morgen, als ich duschen wollte, hatte ich kein Wasser mehr. Im ganzen Haus gab es kein Wasser mehr. Meinen Kaffee habe ich mit Sprudelwasser gekocht.“
„Und deswegen konnten Sie wohl auch den Honig von Ihren Hände nicht abwaschen.“
„Genau. So war das. Woher wissen Sie?“
„Purer Zufall, reine Vermutung, Herr Döpke.“
„Mein Vermieter, der wohnt im Haus. Der ist dann von Tür zu Tür gegangen und hat uns mitgeteilt, über Nacht wurde der gesamte Wasserverbrauch für zwei Wochen verbraucht und deshalb hat er das Wasser abgestellt.“
„Und für wie lange?“
„Für zwei Wochen natürlich.“
„Was machen wir denn da, Herr Döpke? Haben Sie eine Lösung?“
Keine Antwort.
„Da müssen Sie mal mit Ihrem Vermieter ein ernstes Wörtchen sprechen. Aber jetzt huschen Sie mal schnell unten unter die Dusche. Und wenn Sie schon dabei sind, rasieren wäre auch nicht schlecht. Die ersten Gäste kommen gleich.“
Ein breites, hämisches Grinsen war Döpkes Antwort. Dann zog er ab.
„Ich weiß, Herr Heinemann, was Sie jetzt sagen wollen,“ versuchte Herr Pätzold im Ansatz nach einer Erklärung für das Verhalten von seinem ersten Koch zu finden, als er meine sekündlich wechselnden Gesichtsentgleisungen feststellte. „Nein, ich kann Sie beruhigen. Er ist nicht verrückt. Er ist halt, na wie soll ich sagen, anders? Anders eben. Sie verstehen?“
„Äh, nicht so ganz, Chef?“
„Wenn Sie wüssten! Wenn der mal richtig aufdreht! Seine Künste am Herd! Also, unschlagbar! Aber man muss ihn in Ruhe lassen. Dann können Sie eine Schicht mit Ihm unbehelligt überstehen. Ich sag es nur sehr ungerne, aber dieser kleine Schmierlapp kann besser Kochen als ich. Aber im Moment dreht er mir ein wenig zu viel am Rad.“