Der Preis für ein Leben ohne Grenzen - Teil I. Adalbert Dombrowski

Der Preis für ein Leben ohne Grenzen - Teil I - Adalbert Dombrowski


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ja nun kein Hänschen mehr. Sieh Mama, ich bin da! ...“

      Wenn wir nicht gerade Theater spielten, gab es für uns Kinder Verpflichtungen. Ich – damals vier Jahre alt - hatte die Aufgabe frisches Brot aus der Bäckerei zu holen. Der Brotlaib war groß und sehr schwer und dazu auch noch sehr heiß – er kam direkt aus dem Ofen. Der Brotlaib roch so gut, dass ich jedesmal ein Stück abbiss bevor ich vor Anstrengung stöhnend die Treppen hinaufging. Ich dachte laut: „So schwer, so heiß, aber so gut!“

      Eines Tages hörte das der Pfarrer der römisch-katholischen Kirche „Bożego Ciała“, der häufig meine Großeltern besuchte. Er erzählte meiner Oma, dass ich das Brot in deutscher Sprache loben würde, und fragte sich warum.

      Oma Ludwika war Polin, dennoch betete sie auf deutsch. Auch in dieser Sprache zählte sie. Sie wurde im damaligen preußischen Besatzungsgebiet geboren und musste in eine deutsche Schule gehen. In diesem Gebiet war deutsch die Amtssprache. In der kirchlichen Messe war Deutsch zusammen mit dem Lateinischen verpflichtend und auch unsere Nachbarn, Siedler aus Deutschland erlaubten uns nicht, diese Sprache zu vergessen. Kinder lernen schnell und sind von Natur aus neugierig, so dass wir uns fließend in mehreren Sprachen verständigen konnten. Aber zu Hause sprachen wir polnisch.

      Es wurde Herbst und im Garten zeigten sich die ersten Äpfel, Pflaumen und Birnen. Opa Kazimierz, der zweifellos mit der Gabe gesegnet war meine Gedanken zu lesen, sagte mit entschiedener Stimme: „Wage es nicht einmal diesen Garten zu betreten!“ Aber wie könnte man von diesen Genüssen des Herbstes nicht kosten? Keine Macht konnte uns Burschen aufhalten.

      In der Ecke hinter der Scheune organisierte Edek, Karol und ich eine Lagebesprechung. Ich kontrollierte, ob die Luft rein war und Opa nicht auf dem Hof zu sehen war. So konnten wir ungesehen an Omas Hühnerstall vorbeihuschen und durchs Gartentor in den Garten gelangen. Wir kletterten auf die Bäume, um das Obst zu erreichen. Ach, diese Birnen! Der Saft floss uns übers Kinn und befleckte unsere Hemden und kurze Hosen. Doch auf dem Kopfe des Schelmen brennt die Mütze! Ich war mir sicher, dass ich sich nähernde Schritte hörte: „Jungs, es kommt jemand! Schnell weg hier“, rief ich und begann hastig vom Baum zu klettern. Das Herz klopfte vor Angst. Meine Kumpel warteten nicht, sie waren schon längst losgerannt. Wir wollten über den Zaun klettern. Edek und Karol sprangen über den Zaun. Und ich? Ich hatte natürlich Pech. An meiner kurzen Hose verfing sich eine der Latten. In einer merkwürdigen Position blieb ich am Zaun hängen. Ich konnte das Hosenbein nicht befreien und in die freundliche Zuflucht des großmütterlichen Gartens springen. Die Furcht hatte mich paralysiert. Ich war überzeugt, dass der Gärtner jeden Augenblick da sein musste. Ich versuchte mich zu befreien. Die Zeit verging, jedoch tauchte niemand auf. Ich beruhigte mich. Als es mir gelang, mich zu befreien, sprang ich schleunigst herab und lief meinen Kumpeln hinterher. Denen werde ich es zeigen! Sie haben mich einfach zurückgelassen, diese Lausbuben!

      Die verschreckten Edek und Karol saßen auf den Treppen des nachbarlichen Grundstücks. „Ihr Feiglinge!!! Wie Ihr einfach verduftet seid“, verspottete ich sie. „Das war doch bloß ein Scherz, dass jemand kommen würde“, flunkerte ich. Die Jungs schwiegen, jedoch ihren Gesichtsausdrücken nach, konnte ich sehen, dass sie doch sehr erleichtert waren. Bis heute bin ich der Meinung, dass Birnen das schmackhafteste Obst unter der Sonne sind.

      Bei uns zu Hause tauchten Postkarten und Briefe von Papa mit Stempeln des Oflags Woldenberg auf. Mama schrieb ihm, meine Schwester Rysia und ich schickten unsere Erinnerungen und Gefühle mit Zeichnungen. Manchmal besuchte uns Onkel Edek aus Warszawa, Mamas jüngerer Bruder, mit seinem „Agfa“ Fotoapparat. Mama zog uns schön an und der Onkel machte Fotos von uns. Mama meinte, dass wir sie Papa ins Lager schicken müssen, damit er sehen könne, wie wir wachsen. Mama schrieb auf das Kuvert die Adresse : Fabian Dąbrowski, Oflag Woldenberg, Baracke 6a. Wir gingen zur Post, um Briefmarken zu kaufen und gaben den Brief auf. Jedoch kam keine Korrespondenz zurück. Mama wurde traurig und machte sich Sorgen. Zeitgleich begann sich die Gestapo für uns zu interessieren. Ich kann mich gut daran erinnern, wie Oma, Opa und Mama flüsternd etwas besprachen, nachdem der Briefträger ein Behördenschreiben gebracht hatte. Mama nahm Rysia und mich an die Hand und wir gingen zum Gestapo-Quartier, welches sich am Hauptplatz befand. Ein Offizier hinterm Schreibtisch fragte uns aus über Papa. Mama antwortete mit ruhiger Stimme, dass sie nichts wisse und dass sie ihren Ehemann seit Kriegsbeginn nicht mehr gesehen habe. Wir fühlten, dass sie sehr aufgeregt war. Zu stark drückte sie unsere kleinen Händchen zusammen.

      Plötzlich begann der Offizier zu schreien, dann zu brüllen und wurde im Gesicht rot wie eine Tomate. Ich sah ihn an und entsetzt versteckte ich mein Gesicht in Mamas Rock. Vor Angst zitterte ich am ganzen Körper. Zu Hause schrie uns niemals jemand an; und hier ein fremder Mann unsere Mutter!? Ich verstand das alles nicht.

      Doch das war nicht alles. Seitdem fiel die Gestapo regelmäßig zu Durchsuchungen in unsere Wohnung ein. Etwas oder eher jemanden suchten sie und ständig brüllten sie. Sobald ihr Auto vor unser Haus fuhr und man den Donner ihrer auf die Holztreppe schlagenden Stiefelabsätze hörte, wies uns Oma Ludwika umso eiliger an, unter die Decke unseres Uropas Piotr Nowak, also ihres Vaters, zu huschen, welcher Tag für Tag krank im Bett lag, während man uns ständig darauf hinwies, ihn bloß nicht zu beunruhigen.

      Wenn die Gestapo kam, lagen wir immer mucksmäuschenstill versteckt unter der dicken Daunendecke. Die Erwachsenen sagten nicht viel, aber ich dachte mir schon, dass mein Vater aus dem Oflag geflohen war! Wohin? Wo versteckte er sich? Niemand wusste es und bis heute haben wir es nicht herausfinden können.

      Der Winter verging und die Frühlingssonne begann zu wärmen. Wir spielten wieder draußen. Im Obstgarten - in unserem „Paradies“ - waren seit einiger Zeit die Enkel des Gärtners. Sie waren mit ihrer Mutter aus der fernen Warszawa gekommen. Ihr Haus hatten die Deutschen zerbombt, ihr Vater war im Krieg verschollen. Sie waren ja ganz nett, doch hatten sie unseren geliebten Obstgarten in Besitz genommen und so wurde der Zaun des Obstgartens zu einer Grenze von zwei „Großmächten“. Unsere Überfälle mit Steinchen-Hagel, Obststummeln oder auch faulem Obst wurde abgewehrt. Mit Edek und Krzysiek bauten wir daher eine Festung, um die Lage beobachten zu können und unser Revier zu verteidigen. In der Nähe befand sich ein Baustoff- und Brennholzlager. Ein gleichmäßig sortierter, meter-langer Stapel aus Holzlatten bildete einen Turm. Von dort oben breitete sich der Blick über die ganze Umgebung aus. Ein geeigneter Ort für unsere Festung, das wir „Adlernest“ nannten. Es war für unsere Feinde unzugänglich und nicht einsehbar. Wir legten so lange Holzlatten zurecht und trugen verschiedenste Schätze zusammen, bis wir eine uneinnehmbare Burg erbaut hatten mit einem üppigen Vorrat an Munition aus Steinchen, Ästen und Tannenzapfen.

      Am Sonntag, gleich nach dem Gottesdienst (wir alle waren Ministranten), schlichen wir aus der Sakristei und rannten zu unserem Adlernest. Es war ein warmer Vormittag. Aus den offenen Fenstern kamen die Gerüche des sonntäglichen Mittagessens. Bei uns gab es meist Nudelsuppe und Brathähnchen. Einen Tag zuvor hatte Opa Kazimierz auf Omas Bitten unseren Hühnerstall verkleinert und abends sah ich, wie Mama das Hühnchen rupfte.

      Meine Gedanken an das Brathähnchen wurden durch eine Bewegung auf Feindesgebiet unterbrochen. Aus dem Versteck sahen wir, wie die Enkel des Gärtners über den Zaun sprangen. Mit „Munition" in den Hosentaschen schlichen sie in unsere Richtung und kamen ganz nah heran. „Feuer!!!", befahl ich und wir begannen sie zu bombardieren. Dicht gedrängt flogen Steine aus beiden Richtungen und nach kurzer Zeit erschöpfte sich unsere Munition. Zum Glück erging es den Angreifern auch so. „Waffenstillstand", rief ich und der Rückzug begann. Es öffnete sich hoch unter dem Dach unser Küchenfenster: „Dychu (mein Spitzenname), zum Mittagessen", rief Mama. Ich verspürte Hunger also war es höchste Zeit zu gehen. Wir gingen über den Hof als ich plötzlich einen gewaltigen Schlag gegen meinen Hinterkopf spürte. Einer der Feinde hatte sich im Gebüsch versteckt und feige einen Stein nach mir geworfen. Ich schrie und berührte mit der Hand meinen Kopf und sah meine blutrote Hand. Ich sah noch den Schrecken auf den Gesichtern meiner Kumpel. Als ich wieder zu mir kam, war der Hof ganz leer. Mit blutendem Kopf kletterte ich die Stufen hinauf nach Hause. Dort erblickten mich Mamas entsetzte und besorgte Augen. Sie bandagierte meinen Kopf. Ordentlich hab ich es abbekommen, an dieser Stelle wuchs mein Schädel schief zusammen, was bis heute zu spüren und zu sehen ist.

      Nach diesem Vorfall verbot Opa Kazimierz


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