Hell und Dunkel. Eine Gemsjagd in Tyrol.. Gerstäcker Friedrich
wohnen lasse. - Vom „Grafen Hobelmann" haben sie aber nie wieder ein Wort gehört.
Die Flucht über die Cordilleren
Es war im September 1845, daß die vereinigten Geschwader von England und Frankreich die argentinische Flotte auf dem La Plata, von Admiral Brown, einem Irländer, commandirt, wegnahmen und den Hafen von Buenos-Ayres blokirten. Ja sie landeten sogar Truppen, eroberten die von dem argentinischen General besetzten kleinen Häfen, wie die für die Schifffahrt der argentinischen Binnenwasser so wichtige kleine Insel Martin Garcia und setzten damit dem Einfluß des Dictators Rosas, wenn auch nur für kurze Zeit, einen entschiedenen Damm entgegen.
Rosas wüthete und drohte gleich darauf durch ein Decret, seine Gegner als Seeräuber behandeln zu wollen, und hätte er damals die Macht in Händen gehabt, seine Feinde würden bös gefahren sein. So aber fürchtete er doch noch immer das entschiedene Auftreten der beiden vereinigten Mächte, und mußte sich begnügen, seiner Rache gegen Einzelne freien Lauf zu lassen, die seinen Gesetzen zuwider handelten und ihnen anheimfielen.
Die rücksichtsloseste Strenge, ja Grausamkeit wurde aber gegen Solche angewandt, die wirklich mit den Feinden der Föderalisten, den Unitariern, in geheimer Verbindung gestanden, ja auf die nur der Verdacht eines solchen Bündnisses fiel. Das war die Schreckenszeit, in welcher die abgesandten Henkersknechte des Dictators, die mashorqueros, besonders in Buenos-Ayres selber durch die Stadt zogen, die bezeichneten /78/ Häuser besetzten und den verdächtig gewordenen Opfern - wer hätte sie alle verhören können - oft in der Mitte ihrer eigenen Familien, die Kehlen durchschnitten. Dann brannten sie vor dem Hause eine Rakete ab, als Zeichen, daß die Polizei die Leiche abholen könne.
Das war die Zeit, wo das Gitter des großen Obelisken auf dem Victoria-Platz allnächtlich, ja am hellen Tage seinen furchtbaren Schmuck von abgeschlagenen Köpfen trug; das die Zeit, wo das Herz des treuesten Anhängers Rosas' selbst vor Entsetzen aufhörte zu schlagen, wenn man ein Klopfen an der Hausthür vernahm, denn Niemand war sicher, und jener furchtbare Mann des Blutes, der aber auch nur auf solche Art im Stande war, sich das Land zu unterwerfen und die wilden Gaucho-Horden in Furcht und Ordnung zu halten, mähte förmlich in den Reihen seiner Feinde.2
Aber nicht allein in Buenos-Ayres selber, sondern auch im innern Lande lebten ihm Feinde, und besonders stand die Provinz Mendoza in dem Verdacht, den „asquerosos, inmundos Unitarios" nur zu geneigt zu sein. Mendoza aber, am Fuß der Kordilleren, lag zu weit ab von dem wirklichen Schauplatz des Krieges, um die Einwohner dort eben so streng unter Aufsicht, eben so erfolgreich in Schrecken zu halten als die Küstenstriche; und wenn auch dort die föderalistische Polizei, von den wilden Gaucho-Soldaten unterstützt, das Land der Regierung des Dictators gehorsam hielt, waren es doch besonders die Fremden, die jetzt, darauf fußend, daß ihre Landsleute mit offenen Schießluken die Hauptstadt des Landes eingeschlossen hielten und bedrohten, ziemlich offen sich aussprachen über eine Regierung, die „genug Blut vergossen habe, um einen Dreidecker flott zu halten", und allen Gesetzen der „Civilisation und Menschenrechte" Hohn spräche.
Ein junger, erst seit Kurzem mit einer Mendozanerin verheirateter Engländer, Namens Ellington, dessen Vater durch eine der Maßregeln des Dictators fast sein ganzes Vermögen eingebüßt, eiferte besonders gegen diese Zustünde und trotzte /79/ dabei auf die Kriegsfahrzeuge seiner Landsleute, unter deren Schutz er sein Leben wähnte. Vergebens bat ihn selbst sein Vater, bat ihn sein junges Weib, seine Zunge zu wahren; offen schon hatte er sich gegen oft nur zweideutige Freunde ausgesprochen, daß gerade vom Westen aus die Bevölkerung nach der Seeküste vorpressen müsse, um einem Zustand der Willkür ein Ende zu machen, der unerträglich würde; ja er verbarg mehrere flüchtige Unitarios in seinem Hause und weigerte sich, der argentinischen Polizei den Zutritt zu gestatten, bis er Mittel gefunden die Verfolgten zu retten.
Allerdings hatte ihn bis jetzt nur noch seine Nationalität vor der Rache des beleidigten Dictators geschützt; aber dem mächtigen Gaucho-Häuptling standen auch andere Mittel zu Gebote, seine Feinde unschädlich zu machen, als allein öffentliches Gerichtsverfahren, und über Mr. Ellington's Haupt zog sich ein Gewitter zusammen, das ihn in kurzer Zeit zu erreichen und - zu vernichten drohte. - Nichtsdestoweniger blieb er blind gegen die dringendsten Warnungen seiner wenigen wirklichen Freunde, denn nur Wenige wagten noch in der That, sich öffentlich seine Freunde zu nennen.
So rückte der Juni 1846 heran, und Ellington, nur noch kühner gemacht durch die lange Duldsamkeit Dessen, der doch die Macht in Händen hatte, ihn zu vernichten, ließ sich in immer tiefere Verbindungen ein, und unterhielt sogar schon eine ziemlich lebhafte Korrespondenz mit Chile, um von dort herüber der Sache der Unitarier zu Hülfe zu kommen. Ja die Schlinge schien schon gelegt, die den Dictator in ihren Maschen fassen und vernichten sollte, als eines Abends Don Jose, Mr. Ellington's Schwager, leichenbleich und vollständig zur Flucht gerüstet, in dessen Wohnung stürzte und dem anfangs Ungläubigen die Kunde brachte, daß ihr Beider Leben in diesem Augenblick an kaum mehr als einem Haar hinge; denn von Rosas gedungene mashorqueros seien allein in diesem Auftrag selbst von Buenos-Ayres nach Mendoza gekommen, und der nächste Augenblick schon könne sie selber in der Gewalt dieser furchtbaren und unerbittlichen, blutdürstigen Henkersknechte sehen.
Schleunige Flucht, so lange selbst diese ihnen noch übrig /80/ blieb, war das Einzige, was sie jetzt retten konnte; und wenn sich auch Ellington im Anfang gegen den Gedanken sträubte, die Gefahr so nahe zu glauben, ja sich auf den Consul seiner Nation stützen wollte, dem gegenüber Rosas nicht wagen würde eine Gewaltthätigkeit zu begehen, konnte er doch nicht lange dem Zureden seines Schwagers, den flehenden Bitten seines Weibes widerstehen. - Selbst der alte Mr. Ellington, der jedenfalls den Mißhandlungen der Henker ausgesetzt gewesen wäre, wenn diese den Sohn entflohen fanden, mußte sie begleiten, und nur eben zusammenraffend, was sie an Geld, Pretiosen und Lebensmitteln fortbringen konnten, verließen sie, vollkommen bewaffnet, wirklich im entscheidenden Moment das Haus, denn kaum zehn Minuten später wurden die verschiedenen Thüren desselben von außen leise besetzt, und roth verhüllte Gestalten durchsuchten mit blanken Waffen und ingrimmigen Verwünschungen die leeren Räume.
Die Lage der Flüchtlinge war aber deshalb keineswegs um Vieles gebessert. Den Messern des Dictators allerdings im ersten Anlauf entgangen, wäre ihnen doch die Flucht auf die Länge der Zeit durch die weiten öden Pampas, die Mendoza rings umschließen, unmöglich gewesen; und die Kordilleren, die sie nur in kurzer Entfernung von dem gastlichen Chile trennten, lagen mit Schnee gefüllt und drohten dem Tollkühnen Verderben, der sich in dieser Jahreszeit in ihre sturmdurchbrausten Schluchten wagen sollte. Und doch blieben diese nur ihre einzige Rettung - wenigstens in der Möglichkeit, den zürnenden Elementen das dürftige Leben abzuringen; denn kein Erbarmen hatten sie von den mashorqueros des gereizten Rosas zu erwarten. Wohl aber wissend, daß bis Tagesanbruch auch selbst dorthin die Wege abgesperrt sein würden, führte Don José den kleinen Trupp in gerader Richtung in die Hügel hinein, an deren Fuß sie sich fast befanden, ihrem guten Glück vertrauend, von dort einen jetzt im Winter ganz unwegbaren Paß über das Gebirge selber zu finden.
Das Glück begünstigte sie hier insofern, als sie, der ersten Schlucht in die nächsten Hügel hinein folgend, eine kleine Hütte und dort zwei Peons trafen, die sich augenblick/81/lich bereit zeigten, ihnen gegen eine sehr beträchtliche Belohnung zu Führern über die Gebirge zu dienen. Die Burschen waren, wie sie behaupteten, mit jedem Pfade, jedem Bach in den Bergen bekannt, und selbst das aufrichtige Geständniß Don José's, daß sie von Rosas' Henkern verfolgt würden, konnte sie nicht abschrecken. Lachend meinten sie, sie wären allerdings Argentiner, aber gehörten doch eigentlich nach Chile hinüber, und wenn die Señores und die Señorita fürchteten, daß sie verfolgt würden, wollten sie schon einen Pfad nehmen, aus dem bald die Kecksten der Gauchos, die sich überdies nie gern von ihren Pferden trennen, zurückbleiben sollten.
Noch vor Tagesanbruch waren zwei Maulthiere, das eine für Señora Ellington, das andere für den alten Herrn, gesattelt und mit den nöthigsten Provisionen beladen, und der kleinen Schlucht, in der die Hütte stand, aufwärts folgend, erreichten sie gerade mit Dunkelwerden den Gipfel der ersten Hügel- oder Bergreihe, der schon dicht mit Schnee bedeckt lag, überschritten diese und stiegen dann bei dem matten Licht, das die Sterne auf den Schnee niederfunkelten, wieder in ein anderes, wärmeres Thal hinab.
Die Kordilleren