Purgatory - Wiedergeburt. Christian Leukermoser
braucht und wir werden darauf achten, dass sie nicht gleich schwere diplomatische Verstimmungen heraufbeschwört. Sei unbesorgt.«
Seine Frau brummte etwas Unverständliches und Stephen Lyle verließ das Schlafzimmer. Er ging die Treppe hinunter ins Wohnzimmer und aktivierte den Infoport vor der Couch. Augenblicklich bauten sich vor ihm dreidimensionale Projektionen auf, die genau auf seine Bedürfnisse zugeschnitten waren.
Links befand sich eine Auflistung seiner Nachrichten. Wie immer waren es zu viele um sie schnell überfliegen zu können. Aber seine Assistenten hatten bereits die Wichtigen mit einem Symbol versehen und so nahm sich Stephen diese zuerst vor.
Ein kleiner Aufstand in einer ihrer Minen, war erfolgreich von den Raidern, so wurde die Eingreiftruppe des Konzerns genannt, unterdrückt. Dabei waren drei Arbeiter getötet und zwanzig verletzt worden.
Die Informationen darüber würden zwar bestimmt an die Medien durchsickern, doch wie immer könnten die Pressesprecher dies relativ einfach klären. Der Konzern hatte Macht. Die Presse war ohnehin zahnlos geworden.
Börsenkurse wurden auf einem Laufband in der Mitte der Projektion angezeigt, während darüber gleichzeitig vier Nachrichtensender liefen. Sobald Stephen seinen Blick einem davon zuwandte, hörte er den entsprechenden Ton dazu.
Auf der rechten Seite war sein Terminkalender. Auch an diesem Tag war er zum Bersten gefüllt, doch heute waren andere Dinge wichtiger. Er würde das Labor besuchen und mit der Presse sprechen müssen. Alles andere war zweitrangig.
»Argus«, sagte er und ein leicht durchsichtiges Bild erschien in der Projektion.
Es war das Gesicht einer Frau. Natürlich würde jeder, der den Argus benutzt, seine eigenen Einstellungen besitzen. Stephen Lyles Projektion, war das Gesicht seiner Frau, das hier dargestellt wurde.
»Guten Morgen, Stephen«, sagte eine sanfte, warme Stimme, »Was kann ich für dich tun.«
»Sämtliche Termine von heute verschieben. Setz eine Pressekonferenz um vier Uhr nachmittags im Hauptgebäude an. Lade alle bekannten Medien dazu ein, doch sieh zu, dass unsere vorne am Podium sitzen.«
»Erledigt. Sonst noch etwas?«
»Nein.«
Das Gesicht verschwand. Der Kalender hatte sich verändert. Der heutige Tag hatte nun nur noch einen Eintrag. Pressekonferenz stand in der Spalte um 16:00 und reservierte dort eine Zeitspanne von zwei Stunden.
Argus war eine Entwicklung seines Unternehmens. Eine virtuelle Intelligenz, ohne Bewusstsein, die auf die Befehle ihrer Herren reagierte und sie ausführte. Dazu besaß sie die Fähigkeit, alle Geräte zu kontrollieren, die mit der jeweiligen Computerkonsole verbunden waren.
Der Name war durch die etwas holprige Bezeichnung Automatic Research and Guarding Universal Servant, kurz Argus, entstanden. Die Namensgleichheit mit dem vieläugigen Riesen aus der griechischen Mythologie, der auf Befehl Heras, Zeus‘ Geliebte Io bewachte, war beabsichtigt und führte daher wohl zu dem etwas ungewöhnlichen Akronym.
Für Stephen Lyle machte das keinen Unterschied. Auch, dass die Techniker dabei nicht den griechischen Namen, Argos, sondern den lateinischen verwendet hatten, spielte keine Rolle.
Argus war eine der am besten funktionierenden VIs, die für Privatpersonen zu bekommen war. Und sie lieferte bei jedem Gebrauch einen Bericht an den Zentralserver von PHIMA, wo die Daten ausgewertet wurden und in die Marktanalysen, Werbung und in andere wichtige Bereiche einflossen.
Der Gedanke daran, dass die Menschen sich nicht bewusst waren, wie viel ihrer persönlichsten Daten diese VI sammelte, ließ Lyle schmunzeln. Sie waren zu naiv. Die großen Sorgen wegen Datensicherheit und Persönlichkeitsschutz waren spätestens seit der Zeit des Erstkontaktkrieges Geschichte.
Die Angst machte Menschen gefügig und sie ließen zu, dass man ihnen einen großen Teil ihrer persönlichen Freiheiten nahm. Ja, sie drängten geradezu darauf. Für sie war Argus nicht mehr als eine sprachaktivierte Verbindung zum Netz, zu ihren Häusern, Fahrzeugen, Computern und so weiter, gleich wie alle ihre Vorgänger ebenso. Für den Konzern war Argus das Auge in die Schlafzimmer aller Planeten und Spezies.
Lyle lehnte sich auf seiner Couch zurück. Das kühle Leder schmiegte sich angenehm an seine Haut und erwärmte sich langsam. Es war nicht einfach gewesen, dieses gute Stück mit echtem Leder zu bekommen. Aber es war jeden Credit wert.
Daran dachte er, als ihn die noch vorhandene Müdigkeit wieder in Morpheus Sphären zog.
Es war ein kahler Raum. Kein Schmuck, keine Fenster, keinerlei störende Einrichtung. Die Decke leuchtete in einem sanften, kalten blauen Licht. Genau in der Mitte, auf einem Bett, lag ein Körper, den man mit unzähligen Tüchern abgedeckt hatte.
Eigentlich war es kein Bett. Es besaß nur ein breites Standbein, von dem aus sich ein weißer Körper, ähnlich eines Schiffsrumpfes, in beide Seiten erstreckte. Die Grundfläche war Oval und bot einem sehr großen, sehr dicken Menschen genug Platz, um bequem darauf zu liegen. Allerdings würde der Körper niemals die Oberfläche berühren.
Diese spezielle Konstruktion war für Operationssäle und Brandopfer entwickelt worden. Der Körper verharrte in einem Zustand der Schwerelosigkeit, wenn man ihn abgelegt hatte. Dadurch war er leicht manövrierbar und konnte doch mit den Kraftfeldern, die den Körper in diesem Zustand hielten, jederzeit so fixiert werden, dass keinerlei Bewegung mehr möglich war.
Über diesen Weg hatten die Betten Einzug als Stationsbetten in den Krankenhäusern gehalten. Viele lästige Wartungsarbeiten entfielen. Außerdem passten sich die Felder ideal auf jede Schlafposition an und durch die Absperrung konnte niemand das Bett verlassen, wenn man das wollte.
Ein leises Zischen ertönte, als Stephen J. Lyle den Raum betrat. Jedes dieser Betten besaß eine eigene Stromquelle, welche den Computer speiste, der die Kraftfelder steuerte. Ihr Summen war kaum wahrnehmbar und verschwand nach wenigen Augenblicken aus dem Bewusstsein der Besucher und Patienten.
»Da haben wir sie«, sagte Ravindran Simhan ehrfürchtig und blieb am Fußende stehen.
Lyle trat an das Kopfende. Vor ihm lag eine Frau mit dunklem Teint und schwarzen Haaren, die jedoch in ein Haarnetz gesteckt worden waren, um bei den Operationen nicht zu stören. Das Gesicht war bezaubernd, wie bei den meisten der Elevan. Eine Stupsnase, volle Lippen, dazu die hohen Wangenknochen. Störend wirkten lediglich die spitz zulaufenden Ohren.
Vorsichtig berührte Lyle die ebenholzfarbene Haut. Sie war weich und makellos. Seine Finger wanderten zu ihren Augen und zogen das Lid etwas nach oben. Ein graublaues Auge mit einer schlitzförmigen Pupille wurde sichtbar.
Er ließ die Hand nach unten gleiten und öffnete ihre Lippen. Die Zähne waren, wie bei den Elevan üblich, spitz und glichen Raubtierzähnen. Sie passten perfekt ineinander und bildeten eine durchgängige weiße Wand, wenn sie geschlossen waren.
Die Brust unter den dünnen Tüchern hob und senkte sich regelmäßig. Mit einer schwungvollen Bewegung deckte Lyle sie ab.
Hier war die Haut nicht mehr so makellos. Die Frau musste zu Lebzeiten einiges durchlebt haben. Der Körper war von Narben übersät. Die großen Brüste saßen straff auf dem breiten Brustkorb.
Der Bauch war flach und auch hier gab es unzählige kleine, hell leuchtende Wundmale. Das Muster zog sich beinahe bis zu den schlanken Unterschenkeln hinab.
Schmutzig grinsend musterte Lyle den Schoß und die leicht geöffneten Schenkel. Hier unterschieden sich die Elevan offensichtlich ebenfalls nicht von den Menschen. Selbst wenn es viele Geschichten über zahnbewährte Genitalien und Ähnliches gab.
»Was ist mit ihr passiert?«, fragte er den Doktor.
»Eine Granate. Schrapnelle haben sie durchlöchert. Wir konnten den Körper wiederherstellen, doch das Bewusstsein war erloschen. Deshalb hielten wir sie künstlich am Leben.
Heute Abend wird es eine Hautrekonstruktion geben. Dann sind die Narben morgen verschwunden. Aber da wir schnell handeln mussten, steht das nun hinten an«, antwortete der Inder.
»Gute