Purgatory - Wiedergeburt. Christian Leukermoser
besaß einen Abschluss an der Militärakademie. Aufgrund der Kriegslage war die Ausbildung gestrafft und verkürzt worden. Innerhalb kürzester Zeit war sie im Kampfeinsatz vom Lieutenant zum Captain aufgestiegen und hatte nun den Befehl über den schweren Kreuzer SAS Dieppe erhalten.
Das Examen der Akademie war es, was das Klima zwischen den beiden Frauen vergiftete. Denn Aaliyah hatte nicht nur keine Qualifikation, die ihren militärischen Rang rechtfertigte, sie hatte sogar die Grundausbildung abgebrochen und war von der Truppe geflohen. Kein ehrenhafter Zug für einen Soldaten.
»Könnte man so sagen«, versetzte die Rothaarige kühl.
»Hören Sie, es ist mir, egal ob Sie sich einmal quer durchs Schiff vögeln, solange Sie bereit sind, wenn ich es befehle.«
»Aye, Captain.«
»Es sind Ihre Männer, die den Respekt vor Ihnen verlieren. Es sind Ihre Bindungen, die zu tief werden, um im Einsatz die richtigen Entscheidungen treffen zu können. Sie machen sich angreifbar. Und die Erde kann sich keine Fehlschläge leisten«, donnerte Jaramago.
»Scheiße, das weiß ich, Captain«, antwortete Aaliyah Dearing gelassen und blickte auf die Tischplatte hinab.
Die dreidimensionale Struktur hatte sich verändert. Ein Schachbrett war entstanden. Sie spielte seit ein paar Tagen eine Partie mit dem Captain und stellte sich nicht als so leichter Gegner heraus, wie diese sich das wohl gewünscht hatte.
Aaliyah tippte einen Springer an und schickten ihn über das Feld. Jaramago war in die Falle getappt, für die sie Züge zuvor ihre Dame und ihren Turm geopfert hatte.
»Schachmatt«, sagte sie gelangweilt.
»Was zum …?«
Die Rothaarige konnte erkennen, wie ihre Gesprächspartnerin erbleichte. Sie blickte nach unten auf ihr Brett. Schnell hatte sie die Situation erfasst und stieß einen verhaltenen Fluch aus.
Es kostete Aaliyah einiges an Anstrengung, nicht zu lachen. Captain Jaramago wusste nicht, dass sie Jugendmarsmeisterin im Schach gewesen war. Und das musste sie auch nicht erfahren.
»Haben Sie mich nur angerufen, um zu verlieren?«, neckte sie, als ihr Gegenüber sich nicht mehr zu Wort meldete.
»Was?«, fragte der Captain verwirrt, doch schien sie sich zu erinnern, dass sie noch immer mit jemandem sprach, »Nein, der Einsatz wurde vorverlegt. Alles verschiebt sich um eine Stunde nach vorne. Ich bin also um 1300 bei Ihren Soldaten. Ich erwarte, dass ich nichts zu beanstanden habe.«
Ohne Abschied trennte sie die Verbindung. Zurück blieb Aaliyah, die wutentbrannt mit den Augen rollte.
Schließlich schaltete sie den Multifunktionsbildschirm aus, zog ihre Sportsachen über und nahm ihre Tasche. Die Tür reagierte auf ihre Annäherung und öffnete sich automatisch.
Die Gänge des Raumschiffes hatten viel von einem Kreuzfahrtschiff. Die Wände waren mit Kunstholz verkleidet. Das Licht war immer etwas gedimmt, die einzelnen Türen gut erkennbar.
Sie befand sich auf dem untersten Deck, auf dem es noch Kabinen gab. Unter ihr waren die Lagerräume, Maschinen sowie die Aufenthalts- und Schlafräume der einfachen Matrosen und Marines.
Auf dem Deck gab es ein Kino, eine Bar, außerdem einen Fitnessraum, eine Sporthalle und fünf Ehekabinen.
Wie immer leuchtete dort eine rote Lampe über der Tür, als sie vorbeikam. Aaliyah war froh, dass sie ihren eigenen Raum hatte. Vor den Ehekabinen, auch Bumsgrotten, Fickstübchen oder Beischlafzellen genannt, herrschte immer Gedränge. Oft musste man lange warten, ehe man einen der kurzen und seltenen Momente der Zweisamkeit genießen konnte. So war das alles viel einfacher.
Sie nahm die Abzweigung, an der der Fitnessraum angeschrieben war und trat durch die sich öffnende, automatische Tür.
Der typische Geruch von Schweiß, Eisen und Leder empfing sie. Nur ein paar Crewmitglieder hatten zurzeit dienstfrei und die meisten im Raum waren Soldaten ihrer Einheit.
Der Fitnessraum war eine der wenigen Örtlichkeiten, wo man sich beim Erscheinen eines kommandierenden Offiziers nicht erheben musste und wo die militärischen Umgangsformen nur Nebensache waren.
Allerdings war Aaliyah nie besonders erpicht darauf gewesen, stets mit der mit ihr zustehenden militärischen Ehre behandelt zu werden. So sah sie ihren Männern und Frauen das auch gerne nach.
»Lieutenant«, grüßte sie Grigori Elkov und Aaliyah nickte ihm zu.
Der kleine Russe war beinahe so bleich wie sie, doch seine dunklen Haare standen im krassen Gegensatz zu ihren roten.
Er hatte sich über die Hantel gebeugt und unterstützte Claudia di Stefano, die gerade, mit unzähligen Scheiben auf jeder Seite, Bankdrückübungen machte.
Dahinter stand Stefanie Putz vor einem Spiegel und trainierte mit einer Langhantel Kreuzheben. Dem zierlichen Körper der Deutschen hätte man kaum zugetraut, dass sie ein derartiges Gewicht würde stemmen können, doch sie schaffte das ohne Probleme.
Aaliyah wärmte sich auf und wollte mit ihren Übungen beginnen, als ihr das Gespräch mit Jaramago in den Sinn kam. Sie ging zurück zur Tür und aktivierte eine der Konsolen dort. Sie verband sich mit ihrem versteckt im Ohr getragenen Kommunikator und wählte dann die Kommunikatoren ihre Soldaten aus.
Egal wo sie gerade auf dem Schiff waren und was sie taten. Sie würden die nächste Durchsage hören können und mussten sie auch bestätigen.
»Achtung an alle. Einsatz wurde um eine Stunde vorverlegt. Inspektion durch den Captain nun um 1300. Ich erwarte, dass sie nichts findet.«
Sie deaktivierte die Verbindung und blickte auf das Display. Mit einem leichten Druck von außen an den Kommunikator sendeten ihre Soldaten ein Signal zurück, dass sie die Nachricht erhalten und verstanden hatten. Schließlich war auch die letzte Bestätigung eingetroffen.
Die Uhr zeigte 1145. Ein kurzes Training würde sich noch ausgehen, doch nicht zu viel, denn um spätestens 1230 wollte sie wieder in ihrer Kabine sein.
Aaliyah Dearing spulte ihre Übungen lustlos herunter. Es wurde Zeit, die Gewichte zu erhöhen. Ihre Muskeln hatten sich zu gut daran gewöhnt.
Überraschend schnell war sie damit fertig geworden und verließ den Fitnessraum in Richtung der Duschen.
Natürlich hatte sie ihre eigene Nasszelle und hätte sich auch dort ungestört waschen können, doch sie mochte die Atmosphäre des Duschraumes mit den zehn Duschköpfen. Im Vorraum zog sie sich aus und betrat den mit weißen Fliesen ausgestatteten Raum.
Stefanie Putz und Grigori Elkov standen bereits unter den heißen Wasserstrahlen, während Claudia di Stefano vorsichtig mit ihrer Hand die Wärme testete.
»Alle fit und bereit?«, fragte Aaliyah als sie sich zwischen Claudia und einen anderen Mann stellte, den sie nicht kannte.
»Aye«, antworteten ihre Untergebenen wie aus einem Mund.
»Grigori, wie ich gesehen habe, hat Ihnen Claudia die Show gestohlen. Beim Bankdrücken müssen Sie noch etwas zulegen.«
»Wissen Sie, Lieutenant«, antwortete der Russe, »Wenn man ständig abgelenkt wird, dann ist das nicht so einfach.«
»Du solltest weniger mit deinem kleinen Freund denken«, mischte sich Claudia di Stefano lachend ein, »Sondern dich ein bisschen besser konzentrieren.«
»Ich finde, er ist immer ganz gut konzentriert. Und so klein ist sein Freund nicht«, grinste Stefanie Putz und gab dem Soldaten einen spielerischen Klaps auf den Hintern.
»Oho«, machte Aaliyah.
»Wie man hört, mögen Sie’s auch gern groß. Oder wie ist das mit Vega?«, fragte die Italienerin an Dearing gewandt.
»Gibt Größere«, antwortete die und betrachtete die Frau neben sich.
Claudia di Stefano hätte ein Model sein können. Ihr großer, schlanker Körper, die dunklen Haare, die