Nana. Emile Zola
Stücke wurden zur Wiederholung verlangt. Der Ouvertürenwalzer, jener Walzer mit dem aufreizenden Rhythmus, ertönte jetzt wieder und führte die Götter hinweg. Juno, die als Pächtersfrau kostümiert war, erwischte ihren Jupiter bei einem zärtlichen Tete-a-Tete mit seiner Waschmamsell und bedachte ihn mit Ohrfeigen. Diana, die Venus dabei erwischte, als sie Mars ein Stelldichein geben wollte, beeilte sich, an Vulkan Ort und Stunde zu verraten, worauf dieser den Ruf ausstieß: »Ha, ich habe meinen Plan!« Das übrige erschien nicht ganz verständlich. Die Untersuchung der Götterschar fand ihr Ende in einem Galoppfinale, nach dem Jupiter, außer Atem, in Schweiß gebadet und ohne Krone, die Erklärung abgab, daß die kleinen Frauen der Erde köstliche Geschöpfe seien und daß die Ehemänner samt und sonders unrecht hätten.
Der Vorhang fiel, als über die Bravos hinweg heftig geschrien wurde:
»Alle vor! Alle vor!«
Der Vorhang ging wieder in die Höhe; die Künstler, sich an den Händen haltend, traten vor, in ihrer Mitte machten Nana und Rose Mignon nebeneinander höfliche Knickse. Man klatschte, die Claque rief. Dann leerte sich der Saal langsam zur Hälfte.
»Ich muß jetzt die Gräfin Muffat begrüßen«, wandte sich Faloise zu Fauchery.
»Richtig, bei dieser Gelegenheit führst du mich dort ein«, erwiderte Fauchery; »wir wollen sogleich hinuntergehen.«
Aber es war durchaus nicht leicht, zu den Balkonlogen zu gelangen. In dem Verbindungsgang war es voll zum Erdrücken. Um sich mitten durch die Gruppen den Weg zu bahnen, mußte man bald zurücktreten, bald sich mit den Ellbogen weiterschieben.
Fauchery sah durch die runden, in den Türen befindlichen Guckfenster und überschaute rasch das Innere der Logen. Da trat der Graf Vandeuvres zu ihm und fragte ihn, wen er suche. Als er hörte, daß die beiden Vettern die Familie Muffat begrüßen wollten, zeigte er auf Loge Nummer 7, aus der er soeben herausgetreten war. Dann neigte er sich zum Ohr des Journalisten und flüsterte:
»Sagen Sie mal, mein Lieber, diese Nana ist doch sicher jenes Frauenzimmer, das wir eines Abends an der Ecke der Rue de Provence gesehen haben … «
»Wahrhaftig! Sie haben recht!« rief Fauchery aus. »Ich sagte es ja, daß ich sie schon gesehen haben müsse.«
Faloise stellte seinen Vetter dem Grafen Muffat de Beuville vor, der sich indessen äußerst kühl zeigte. Aber die Gräfin, als sie den Namen Fauchery hörte, war aufmerksam geworden und sagte jetzt dem Feuilletonisten in nicht mißzuverstehender Weise verschiedene Komplimente über seine Artikel im »Figaro«. Bisweilen schaute sie im Saal umher, hob einen ihrer Arme, die bis zum Ellenbogen hinauf in weißen Handschuhen steckten, und fächelte sich mit einer nonchalanten Bewegung Luft zu.
»Wir erwarten Sie am nächsten Dienstag«, sprach die Gräfin zu Faloise.
Dann lud sie Fauchery ein, der mit einer Verbeugung dankte. Vom Stück wurde nicht ein einziges Mal gesprochen, der Name Nana wurde nicht genannt. Der Graf bewahrte eine eisige Würde, als ob er sich in einer Sitzung der Gesetzgebenden Körperschaft befände. Um ihre Gegenwart hier zu erklären, sagte er nur, daß sein Schwiegervater sehr gern das Theater besuche. Die Tür der Loge war offengeblieben; der Marquis de Chouard, der hinausgegangen war, um den besuchenden Herren seinen Platz einzuräumen, reckte dort seine hohe Greisengestalt mit dem weichen, weißen Antlitz unter dem breitrandigen Hut und folgte den vorübergehenden Damen mit seinen trüben Augen.
Sobald die Gräfin ihre Einladung an die beiden Herren gerichtet hatte, empfahl sich Fauchery, da er fühlte, daß es unschicklich sein würde, vom Stück zu sprechen. Faloise folgte seinem Beispiel und ging ebenfalls hinaus. Er hatte soeben in der Loge des Grafen Vandeuvres die vierschrötige Gestalt des blonden Labordette gesehen, der in reger Unterhaltung mit Blanche de Sivry begriffen war.
»Nanu«, sagte er, als sein Vetter wieder zu ihm getreten war, »dieser Labordette kennt wohl alle Frauenzimmer? Sieh, jetzt hält er sich wieder bei Blanche auf.«
»Na, ohne Zweifel kennt er sie alle«, gab Fauchery nachlässig zur Antwort. »Du solltest doch wissen, daß er jede schon wenigstens einmal besucht hat.«
Auf dem Gang draußen war es ein wenig leer geworden. Fauchery wollte eben hinuntergehen, als Lucy Stewart ihn anrief. Sie stand ganz im Dunkel, neben der Tür ihrer Loge. Man brate drinnen, meinte sie und nahm jetzt in Gemeinschaft mit Caroline Héquet und ihrer Mutter, die Pralinés knabberten, die ganze Breite des Korridors ein. Eine Logenschließerin plauderte mit ihnen. Lucy schalt den Journalisten: er sei wirklich ein allerliebstes Herrchen, besuche alle möglichen anderen Frauen und kümmere sich nicht einmal darum, ob sie Durst hätten! Dann sprang sie gleich auf ein anderes Thema über und meinte:
»Höre, mein Lieber, ich muß dir sagen, ich finde Nana ganz charmant.«
Sie wollte haben, daß er während des Schlußaktes in ihre Loge komme, aber er entschlüpfte mit dem Versprechen, sie am Ausgang treffen zu wollen. Unten vor dem Theater zündeten sich Fauchery und Faloise Zigaretten an. Eine dichte Reihe Menschen versperrte den Bürgersteig. Sie waren auf den Treppengang hinausgetreten, um die frische Nachtluft zu genießen.
Unterdessen hatte Mignon seinen Freund Steiner in das »Café des Variétés« geschleppt. Als er den Erfolg Nanas für sicher erkannte, hatte er enthusiastisch von ihr zu sprechen begonnen, wobei er den Bankier verstohlen betrachtete. Er kannte ihn, zweimal hatte er ihm geholfen, Rose zu hintergehen, und, wenn die Laune verrauscht war, ihn als reuigen, getreuen Liebhaber ihr wieder zugeführt.
In dem Café drängten sich die Gäste schon um die Marmortische; ein paar Herren gössen stehend ein Gläschen hinunter; die breiten Spiegelscheiben reflektierten dieses Gewimmel von Köpfen ins Endlose und ließen den engen Saal mit seinen drei Kronleuchtern, den schwarzen Plüschbänken und der rot drapierten Wendeltreppe weit größer erscheinen, als er in Wirklichkeit war. Steiner suchte sich einen Platz an einem Tisch im ersten Saal, der auf den Boulevard hinausging und dessen Türen man ein wenig frühzeitig für die Saison ausgehoben hatte. Als Fauchery und Faloise vorüberschritten, hielt sie der Bankier zurück.
»Trinken Sie doch ein Glas Bier mit uns!«
Ein Einfall hatte sich seiner bemächtigt: er wollte Nana ein Bukett zuwerfen. Hastig rief er einen Kellner des Cafés heran, den er einfach »Auguste« nannte. Mignon, der zuhörte, schaute ihn mit einem so durchdringenden Blick an, daß er aus dem Konzept geriet und verwirrt stammelte:
»Zwei Buketts, Auguste, und geben Sie sie bei der Schließerin ab, für jede der beiden Damen eins; im günstigen Moment soll sie sie ihnen zuwerfen, verstanden?«
Am anderen Ende des Saals, mit dem Rücken gegen die Umrahmung eines Spiegels gelehnt, saß ein Mädchen von höchstens achtzehn Jahren, unbeweglich, wie müde von langem, vergeblichem Warten, vor einem leeren Glase. Sie trug ein mattgrünes Seidenkleid und einen runden Hut, dessen Boden gewaltsam eingeschlagen erschien. Unter den natürlichen Locken ihrer schönen aschblonden Haare blickte ein jungfräuliches Antlitz mit sanften, milden Samtaugen hervor.
»Ei der Tausend!« murmelte Fauchery, als er sie erblickte.
»Da ist ja Satin!«
Faloise fragte ihn, wer das sei. Oh, eine Straßendirne, sonst nichts. Aber sie sei so originell und pikant, daß man sich gern den Spaß mache, mit ihr zu reden. Der Journalist fragte das Mädchen:
»He, Satin, was machst du denn hier?«
»Ach, ich langweile mich wie ein Mops«, versetzte Satin, ohne sich vom Platze zu rühren.
Die vier Männer lachten. Das Frauenzimmer gefiel ihnen. Mignon versicherte, daß man sich nicht im geringsten zu beeilen brauche, es würden noch volle zwanzig Minuten vergehen, bevor die Dekoration des dritten Aktes in Ordnung sei. Aber die beiden Vettern, die ihr Bier bereits ausgetrunken hatten, wollten hinaufgehen, die kalte Luft behagte ihnen nicht. Als Mignon mit Steiner allein war, lehnte er sich an ihn und sagte ihm gerade ins Gesicht:
»Abgemacht also, Steinerchen, nicht wahr? Wir gehen zu ihr, ich werde Sie einführen … Sie verstehen, das bleibt unter uns, meine Frau braucht davon nichts zu wissen.«
Als