Der Heinrich-Plan. Irene Dorfner
hatten sie das Hotel im Blick. Leo war überrascht, er hatte sich das ganz anders vorgestellt. Es machte einen sehr ordentlichen, aufgeräumten Eindruck. Die Auffahrt war mit großen Pflanzen gesäumt und dazwischen waren Figuren und große bepflanzte Amphoren geschickt platziert worden. Hier fand eine der größten Strandpartys Nordeuropas mit hunderten von Jugendlichen statt?
Die Empfangshalle war hell und freundlich mit sehr gemütlichen, farbenfrohen Sitzmöglichkeiten und riesigen, mediterranen Pflanzen ausgestattet. Außerdem war es hier sehr warm, was beide nach dem schlechten Wetter als sehr angenehm empfanden. Hinter dem Tresen begrüßte sie eine junge Frau mit einem leichten Sprachfehler. Leo sah sofort eines dieser schrecklichen Zungenpiercings, die er nicht ausstehen konnte. Er kapierte nicht, wie man sich freiwillig Löcher in irgendwelche Körperstellen machen konnte. Das Gleiche galt übrigens für Tattoos, die in jeder Altersschicht beliebt waren und inzwischen zum guten Ton gehörten. Das musste doch alles höllisch wehtun! Es gab für ihn nur die eine logische Erklärung dafür: Diese Menschen müssen alle masochistisch veranlagt sein, denn schön und schmückend war der Körperschmuck in seinen Augen ganz sicher nicht. Bei diesen Gedanken allein schüttelte es ihn und er bekam eine Gänsehaut.
„Hallo, ich bin Lisa. Was kann ich für euch tun?“
„Guten Tag. Mein Name ist Leo Schwartz, das ist meine Kollegin Anna Ravelli, wir sind von der Kriminalpolizei Ulm. Wir möchten den Hotel-Manager sprechen, wir sind angemeldet.“
„Ja klar, ich weiß Bescheid,“ lispelte die junge Frau und rief mit schriller Stimme quer durch die Halle „Sabrina! Dein Termin ist da!“
Leo und Anna erschraken über die Lautstärke und die saloppe Art der Frau. Kurz darauf kam eine junge Frau in einem Minirock und einem sehr knappen Oberteil auf die beiden zu. „Hallo, ich bin Sabrina. Was kann ich für euch tun?“
„Guten Tag. Mein Name ist Leo Schwartz,“ sagte er irritiert und zeigte seinen Dienstausweis vor. Er starrte auf das riesige, funkelnde Bauchnabel-Piercing und die Tätowierung auf der linken Brust. Sofort bekam er wieder eine Gänsehaut. „Das ist meine Kollegin Anna Ravelli. Wir sind von der Kriminalpolizei Ulm. Unser Aufenthalt wurde von der örtlichen Polizei abgesegnet.“ Er hielt ihr ein Blatt Papier vor, was Sabrina aber wenig interessierte. Sie strahlte Leo mit ihren weißen Zähnen an, was Leo nun noch mehr irritierte. „Wir haben einige Fragen bezüglich eines Mordfalles. Können wir uns irgendwo ungestört unterhalten?“
„Na klar. Ich bin sehr gespannt, was unser Haus mit einem Mord in Ulm zu tun hat. Kommt mit, wir setzen uns an die Bar.“ Ohne auf eine Reaktion zu warten, klapperte sie auf ihren hochhackigen Schuhen davon und die beiden folgten ihr. Anna war sehr amüsiert, denn selten hatte sie Leo so irritiert gesehen.
„Was möchtet ihr trinken?“, fragte Sabrina und winkte dem Barkeeper. „Ich nehme einen Wodka-Orange.“
Leo erschrak. Alkohol um diese Uhrzeit? Das konnte ja heiter werden. Er lehnte dankend ab.
„Und was möchtest du trinken?“, wandte sich Sabrina an Anna.
„Ein Cappuccino wäre super, wenn das möglich wäre.“
„Klar, du bekommst alles, was du willst. Pedro?“ Sie gab dem Kollegen hinter der Theke ein Zeichen. „Wodka-Orange und einen Cappo.“
„Frau Sabrina,“ begann Leo und wurde sofort von ihr unterbrochen.
„Nur Sabrina bitte. Wir nennen uns hier alle beim Vornamen und duzen uns auch alle. Wir pflegen untereinander einen lockeren Ton, was bei unseren meist jungen Gästen sehr gut ankommt. Was nicht heißt, dass das Hotel nicht ordentlich geführt wird und wir keine Ahnung haben.“
„In Ordnung, wie Sie wollen. Sabrina. Wir haben die Leiche eines jungen Mannes gefunden, der im Juni mit seinen Freunden in Ihrem Hotel abgestiegen ist. Ich habe ein Foto. Wenn Sie sich das bitte ansehen würden?“
„Klar, zeig her.“ Sie besah sich das Foto sehr genau. Das Lächeln war verschwunden, sie runzelte die Stirn. Dann stand sie auf, ging ein paar Schritte und rief quer durch die Empfangshalle „Leute, kommt mal bitte alle an die Bar!“
Anna und Leo sahen sich an und konnten sich ein Lachen nicht verkneifen. In dem Hotel ging es wirklich sehr locker zu. Kurz darauf kamen fünf junge Personen. Alle etwa alle im gleichen Alter, ungefähr Mitte 20, und alle sahen ähnlich aus wie Sabrina: Knappe, kurze, sehr aufreizende Kleidung und irgendwo blitzte ein Piercing oder ein Tattoo hervor.
„Leute, seht euch das Foto an. Kennt jemand den Jungen? Es ist wichtig.“
Das Foto ging reihum und das junge Mädchen Lisa vom Empfang kicherte. „Ja, den kenne ich. Der war im Juni während unserer großen Beachparty hier“, lispelte sie und bewegte das Zungenpiercing hektisch hin und her. Leo musste sich zwingen, nicht hinzusehen, da ihm richtig schlecht wurde. Schon die Vorstellung allein, dass dieses Mädchen mit dem Metall in ihrem Mund spielte, verursachte bei ihm abermals eine Gänsehaut.
„Sind Sie sicher, dass Sie den Mann kennen?“, hakte Leo nach.
„Klar. Ich war kurz mit ihm zusammen. Wegen dem war doch die Polizei schon einmal hier, erinnert ihr euch?“ Reihum nickten alle. Sabrina kapierte nun auch, um wen es sich handelt.
„Ach der ist das? Ich dachte mir doch gleich, dass er mir bekannt vorkommt. Ja, der war hier. Die Polizei hat ihn gesucht.“
„Moment, Lisa. Habe ich das richtig verstanden? Sie waren mit Maximilian zusammen?“
„Ja, wir hatten kurz Spaß miteinander. Er ist zurück zur Party und ich musste zur Arbeit, an dem Tag hatte ich Spätschicht.“
„Haben Sie Maximilian später noch einmal gesehen?“, wollte Anna wissen.
„Nein, warum sollte ich?“ Lisa schien erstaunt.
„Waren Sie nicht besorgt, als Maximilian vermisst wurde?“
„Nein, warum denn ?“
„Sie waren doch schließlich mit ihm zusammen.“
Lisa kicherte und auch Sabrina und die anderen konnten sich ein Lächeln nicht verkneifen. „Das dürft ihr nicht erst nehmen und gleich in die Beziehungskiste stecken. Das mit ihm und mir hatte nichts weiter zu bedeuten. Die Leute kommen zu uns ins Hotel, um Spaß zu haben. Und das wollen wir auch.“
„Wir sind alle sehr jung, seht uns doch an. Bei den jungen Leuten draußen sind wir bekannt und beliebt dafür, dass wir hier Party machen und locker drauf sind. Deshalb ist unser Haus auch immer ausgebucht,“ erklärte Sabrina und verdrehte die Augen. Immer wieder musste sie sich vor Spießern erklären. Warum konnte man nicht einfach akzeptieren, dass es das Konzept des Hauses war, locker drauf zu sein und den Gästen ein Höchstmaß an Spaß, Sicherheit und Exklusivität zu bieten, ohne billig und abgefuckt zu wirken. Hier konnte man so richtig feiern, ohne am nächsten Tag Fotos von sich in der Zeitung zu sehen. Sie war davon überzeugt, dass auch das Personal zu dem Konzept passen musste, was sich in den letzten drei Jahren, in denen sie als Hotel-Managerin angestellt war, bezahlt gemacht hatte. Es war ein riesiger Aufwand, die Sicherheit und den Spaßfaktor zu garantieren, weshalb auch die Hotelpreise überdurchschnittlich hoch waren. Darüber hinaus konnte nicht jeder bei ihnen buchen, Sabrina war da sehr wählerisch. Gäste, die neu zu ihnen kamen, ließ sie überprüfen. Das war zwar nicht korrekt, aber das war ihr egal. Auf Rowdys und gewaltbereite Typen, die sich nicht im Griff hatten, konnte sie gerne verzichten. Sie hatte immer ein Auge darauf, dass die Gäste ihres Hotels ungefähr in derselben Altersgruppe waren, wodurch schon sehr viel Ärger abgewendet werden konnte. In den letzten drei Jahren hatte sich noch nie jemand über den Lärm beschwert.
„Haben Sie als Hotel-Managerin nichts dagegen, dass sich Ihr Personal mit den Gästen einlässt?“, wollte Anna wissen.
„Nein, was soll ich dagegen haben? Zufriedenes Personal ist gutes Personal. Was meine Leute in ihrer Freizeit machen ist mir egal, solange es keine Probleme gibt.“
Leo schüttelte den Kopf, das verstand er nun überhaupt nicht. Wahrscheinlich war er schon zu alt dafür. Er zog weitere Fotos aus seiner Mappe, und zwar