Jochen Kleppers Roman "Der Vater" über den Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I - Teil 2. Jochen Klepper

Jochen Kleppers Roman


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auf dem die Schuld der Menschenkönige aufgeschrieben steht.

      Das Wort, das König Friedrich Wilhelms heißes Herz mit einem Zittern erfüllte, das Wort des zwölfjährigen Jesus im Tempel, blieb unausgesprochen und wie in einem Schauer gemieden, obwohl er doch ein Mann war am Anfang der dreißiger Jahre, und das nannte der Herr eine starke, gute Zeit für einen Mann; aber er sagte es wie einer, der schon sehr tiefen Einblick in alle Schwäche und Vergänglichkeit besaß.

      Das Wort, vor dem sein Herz erbebte, war: „Wisset ihr nicht, dass ich sein muss in dem, das meines Vaters ist?“

      * * *

      Teil zwei beginnt hier: Die aufgehende Sonne

       Teil zwei beginnt hier: Die aufgehende Sonne

      Denn wer weiß,

      was der für ein Mensch werden wird nach dem König,

      den sie schon bereitgemacht haben?

      Denn wer weiß, ob er weise oder toll sein wird?

      Und soll doch herrschen in aller meiner Arbeit,

      die ich weislich getan habe unter der Sonne.

      Die Bibel

      Der König hielt den kleinen Sohn auf den Knien. Das Mahl war beendet. Er hatte das Prinzlein einfach von dem Nachbarstuhl zu sich herübergehoben. Sein Hulla pflegte nämlich bei jeder Mahlzeit zur Linken des Vaters zu sitzen. Dieser Platz kam zwar dem Kronprinzen zu, und es gab viel Gerede über solch willkürliche Abänderung des Zeremoniells – aber Majestät ließ sich nun einmal nicht irremachen. Das Bürschlein August Wilhelm schwatzte gar zu süß. König Friedrich Wilhelm wollte sich in keinem Falle darum bringen lassen, ihm zu lauschen. Unterhaltungen mit dem großen Sohn waren während der Tafel nicht das Rechte.

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      Links Fritz, rechts die ältere Schwester Wilhelmine

      Fritz war auch hier unablässig von der Vorbereitung auf das Amt des Königs von Preußen in Anspruch genommen. Hofmeister und Gouverneur saßen dem Thronfolger zur Seite. Der Hofmeister und der militärische Erzieher bewachten jedes Wort und die geringste Geste mit Güte, Strenge und Gerechtigkeit; denn solche Erzieher hatte der König seinem Nachfolger gegeben. Der blutjunge Major Friedrich von Hohenzollern war blass und schien ein wenig überanstrengt. Ernst und freundlich sah der Vater zu dem großen Sohn hinüber, während er, ein wenig gedankenlos, mit Friedrichs Brüderchen spielte.

      „Kleiner Wicht, ich soll dir schon wieder erzählen? Ich muss doch aufs Pferd, muss nach den Bauten sehen! Ach, was nicht gar, schon wieder die dumme Geschichte, wie du in Berlin ankamst? Die ist doch schon abscheulich langweilig, närrischer Tropf! Hundert Kanonenschüsse haben den Papa zu Tode erschreckt, gerade als er in Potsdam zum ersten Mal in seinen neuen Garten ging. Was sollte der Papa da anders denken, als dass die Türken ihm Berlin zerschießen?! Aber wie er nun hinüberreitet mit dem großen Säbel –“, und nun fasste er das Bratenmesser, wischte es ungeniert an der Serviette ab und tat, als stäche er das Bürschlein in den Bauch – „da ist nur ein kleines, rosiges Ferkelchen da. Und gleich machte der Papa sich ans Schlachten!“

      So, nun wussten sie es beide: Jetzt ging die Geschichte nicht weiter; hier war sie unwiderruflich zu Ende, und Papa brach zu den Bauten auf. Und die ganze Tafelrunde wusste es auch; und die Königin erhob sich nahezu befreit.

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      Sophie Dorothea

       Sie liebte diese derbe kleine Komödie zum Dessert nicht sonderlich. Mitunter kam dann das Gespräch auf die Tage der Geburt ihrer Kinder überhaupt, und die entfernteste Anspielung auf die Geburt Anna Amaliens bereitete der Königin unsagbare Pein, obwohl nun schon an drei Jahre darüber hingegangen waren.

      Die Königin hatte sich die fünfte Tochter nicht gewünscht. Damals, als sie nach der schweren Krankheit des Königs, die ihr die Einsetzung zur Regentin verhieß, nicht den ersehnten zweiten Sohn, sondern Luise Ulrike geboren hatte, war sie angesichts des bitteren Sohnessterbens ihrer vielen Töchter müde geworden. Den Sohn, den zweiten Sohn, begehrte sie, ihre machtvolle Stellung zu erhalten, zu befestigen.

      Zwei Jahre später kündeten die hundert Böller dem Gatten in den Gärten Potsdams diesen zweiten Sohn. Von nun an verlangte Sophie Dorotheens Herz nach keinem Kinde mehr. Die hohe Pflicht am Hause Brandenburg war ganz erfüllt. Der toten Söhne ward nicht mehr gedacht. Die Königin wollte reisen, viel in England weilen, Band und Bote zwischen den Thronen ihrer Häuser zu sein.

      Noch ehe sie die ungeduldig herbeigewünschte Fahrt übers Meer nach Britannien antrat, ein halbes Jahr nach ihrer Niederkunft mit August Wilhelm, fühlte sich die Königin von neuem schwanger; aber sie hielt es geheim. Sie wollte den Glanz ihres Vaters und Bruders zu London erleben; endlich, endlich!

      Königin Sophie Dorothea schwieg von ihrem Zustand wie aus Trotz. Die Englandreise kam zwar nicht mehr zustande. Aber die Königin bewahrte auch weiterhin ihr Geheimnis. So geschah das Unerklärliche, dass die zu frühe Stunde der Geburt kam, ohne dass auch nur die geringste Vorbereitung getroffen war. Der König war an diesem Abend, da er am nächsten Tage eine Reise vorhatte, zeitiger als sonst zu Bette gegangen. Die Kabinette des Königspaares lagen Tür an Tür. Der erste Schrei der Wehen rief den König an das Bett der Gattin; geängstet und fassungslos hatte er nur den Schlafrock übergeworfen. Wenigstens kam nun die Ramen, die allzeit wachsame Kammerfrau; wenigstens hatte er diese als Botin zur Hand.

      „Eine furchtbare Kolik“, rief er ihr zu, „schnell zu meinem Leibarzt! Er soll Ihr, noch ehe er kommt, schon ein Mittel mitgeben! Holt die anderen Frauen her! Macht Servietten heiß für den Leib! Macht Feuer!“

       Er war allein mit der Stöhnenden; sie vermochte nicht zu sprechen, und noch immer kam niemand zu Hilfe. Der König umfasste die Königin eng; er wollte sie ganz an sich reißen, als vermöchte er ihr dadurch ihre Schmerzen abzunehmen oder ihr einen Halt zu geben. Es waren nur wenige Schläge des Herzens, in denen er alles begriff. Er war allein mit seiner Frau, das neue Leben zu erringen. Seine reinen, starken schönen Hände hielten seiner Frau die neue Menschenmutter entgegen, und er spürte es in der Verwirrung dieser Stunde dennoch in feierlicher Klarheit, was es hieß, das neue Leben, von dem Blute aller Menschenqual befleckt, mit eigener Hand aus der Quelle des Lebens zu empfangen, die Leiden der Geburt sich türmen und still werden zu sehen, in den gewaltigsten Ausbruch des Lebens einsam einbezogen zu sein. Nicht, dass er die Gedanken einzeln dachte. Aber ihn ergriff die Tiefe und Gewalt des Bildes, welches Gott ihm wies. König und Königin in ihrem Schloss waren in der nächtlichen Stunde der Niederkunft allein, wie Maria und Joseph im Stalle zu Bethlehem es waren. Die Hände des Königs waren noch von ferne überschattet von dem Wunder, das an Joseph geschah. Sie trugen in der Einsamkeit der Nacht das Leben ans Licht.

      Dann freilich schwieg die Stille, das Wunder, die Andacht. Die Kammerfrauen in den langen, derben Hemden, Tücher und Röcke lose umgebunden, lärmten ins Zimmer. Der König schrie es ihnen gleich entgegen: „Einen Zuber zum Bade für das Kind! Leinentücher für die Königin! Die Schmerzen brauchen kein Mittel mehr, Herr Leibarzt!“

      Der Ramen drückte er das Kind in die Arme: „Nicht wahr, das Gewicht ist doch gut? Ihr Frauen, glotzt doch nicht so dumm! Ein Kind ist da! Macht doch ein Körbchen mit Kissen zurecht!“

      Schließlich musste der Vater in der Kammer der Wöchnerin noch ganz unbändig lachen, wie sie alle – er, des Landes Preußen Majestät, und die Kammerfrauen – im Hemd wie aufgescheucht ums Wochenbett tobten. Was anders auch als Lachen hätte die Wucht solcher Erschütterung überwunden –. Aber das vergaß er nicht: „Schickt zur Wache, dass sie den Prinzessinnensalut abfeuern!“

      Es waren jene ärmlichen drei Salven, mit denen Königstöchter sich begnügen mussten. Dem König wären hundert Böller nicht genug gewesen. Die Königin stand nach wenigen Tagen wieder auf, blühender und schlanker denn je. Ihr zwölftes Kind schien sie mit neuer Schönheit zu beschenken,


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