Jochen Kleppers Roman "Der Vater" über den Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I - Teil 2. Jochen Klepper
Die Gattin schämte sich der gar so absonderlichen Niederkunft. Sie vermied es, den Gemahl zu sehen. Sie begehrte, das durch ihre Schwangerschaften immer wieder aufgehaltene Werk, die Throne ihrer Häuser zu verbinden, endlich entscheidend durchzuführen. Sie wollte mit eigenen Ohren das Ja ihres Vaters zu ihrem ureigensten Plane vernehmen, dass ihre und ihres Bruders Kinder die Kronenträger dieses Erdteils werden sollten – die ältesten Söhne durch das gewaltige Gesetz des Erbes, die Töchter durch königliche Ehen, die weiteren Söhne, durch die verbündete Macht der beiden Häuser und ihrer Länder, auf den fremden Thronen Europas. Denn an umstrittenen Rechten war kein Mangel... Der Gatte ließ nur den einen, den ältesten Sohn zum König erziehen. Den anderen Kindern war er Vater, wie ein reicher Bürger Vaterpflichten erfüllt. Voller Ehrgeiz, Scham und Ungeduld reiste die Königin von Preußen zum König von England, der um diese Zeit auf seinem Jagdschloss Göhrde bei Hannover eintraf.
Die Art, in der sie reisen musste, erfüllte sie mit Bitterkeit; denn nur eine kleine Suite war ihr bewilligt: zur Oberhofmeisterin noch eine Gesellschaftsdame, zwei Kammerfräulein und zwei Kammerfrauen, zwei Kammerdiener, drei Pagen, sechs Lakaien. Wie sollte sie damit vor dem britischen Gefolge ihres Vaters bestehen!
Dem König lag in den ersten Tagen der Abwesenheit Ihrer Majestät der Minister Grumbkow damit in den Ohren, es sei unbedingt erforderlich, dass Seine Majestät der allerhöchsten Gemahlin bald nachfolgten.
Er gab dem König vieles zu bedenken: die geheimgehaltene Schwangerschaft; den im vergangenen Jahre unablässig geäußerten Wunsch der Gattin, nach England gehen zu dürfen; ihre ständige Versunkenheit in Gedanken, die ihm verborgen blieben. Auch das fand unter Grumbkows Einflüsterungen nun Eingang in das Grübeln des Königs: dass Sophie Dorothea schöner und belebter schien, wie beschwingt von neuer Liebe.
Der Hofrat und Vorleser Professor Gundling konnte wieder einmal seine ganze Fertigkeit erweisen, den gedankenvollen Potentaten zu zerstreuen. Sie waren als die ersten in der Tabagie erschienen, und Gundling zählte dem Herrn die Fülle all der Werke auf, die der König seit seiner Genesung vollbrachte. Aber mit unwirscher Gebärde wehrte der König solche Schmeicheleien ab. Nur als Gundling diese Taten herrliche Zeichen eines neuen Lebens nannte, da horchte König Friedrich Wilhelm für einen Augenblick auf; denn genau so hatte kurz zuvor Madame Montbail von den drei jüngsten Kindern gesagt, mit denen ihn die Königin seit den Tagen von Havelberg beschenkte; und die alte Montbail sprach so mahnend, so betont, als ahne sie den Verdacht, mit dem der König sich quälte.
Gundling kam sich überaus wichtig vor, allein mit dem Gebieter in dem seltsam stillen Saal der Tabagie zu weilen. Es belebte ihn ganz ungeheuer, genau wie die Menge des Trankes, der heute für ihn als einzigen Gast in steinernen, gekühlten Krügen bereitstand; es war eine Stunde, von neuem in seinen historischen Parallelen zu glänzen.
Von Frauen zu sprechen, ah, das schien vor ergrimmten Herren immer gut, und wäre es auch nur von hohen Frauen der Vergangenheit. Von Königinnen begann er zu berichten, die zu Zeiten schwerer Krankheit ihres Gatten in die Regentschaft vom Gemahl selbst eingesetzt wurden, als der die letzte Stunde gekommen glaubte. Von solchen Frauen weitvergangener Zeiten sprach der Historikus Gundling, und er erzählte König Friedrich Wilhelm, wie jene Herrscher, dem Tode schon nahe, von den Göttern ins Leben zurückgesandt wurden, um nun – nachdem sie die Gottheit fast von Angesicht zu Angesicht geschaut – noch Größeres denn zuvor zu vollbringen. Aber in den hohen Frauen, so sehr sie die Genesung des Gatten auch priesen, blieb eine allergeheimste Bitterkeit und Enttäuschung zurück. Sie, die in aller ihrer Glorie und Majestät doch immer nur im Schatten ihres mächtigen Gemahls verharren mussten, hatten sich für einen Augenblick dem Thron und der Krone endlich in Wahrheit nahe gedünkt. Alle Gewalt und Pracht sollte ihrer sein. Aber nun lebte der Gemahl, schuf in Kindern und in Taten herrliche Zeichen seines neuen Lebens – und der Traum der Königinnen versank und entschwand immer mehr. Den Verlust der Hoffnung auf die Macht aber vermochte manche von ihnen nicht mehr zu vergessen und begann am Hofe und im Reiche des Gemahls ihr eigenes Spiel mit dem zerflossenen und verwehten Traum.
Als Gundlings Phrasen und all sein Bramarbasieren zu diesem Punkt der Betrachtung gediehen waren, erhob sich König Friedrich Wilhelm und schenkte, wie es sonst die jüngeren Offiziere taten, dem schon halb Betrunkenen den größten Humpen mit dem schwersten Biere ein.
„Trinkt, dass es die Kehle ölt zum Plaudern!“ Das sagte der König. Doch wollte er nur den Narren, den Schwätzer, den unerbittlichen Weisen so umnebelt machen, dass am Morgen alles von ihm selbst vergessen wäre, was er vor seinem Herrn zu dieser Stunde ausgesprochen hatte.
Danach war König Friedrich Wilhelms Zorn verflogen. Er war durchaus wieder still. Sogar der Groll gegen Grumbkow verebbte. Es sollte an nichts mehr gerührt sein.
Und dennoch wollte das Gefühl der wachsendem Entfremdung nicht weichen.
Sophie Dorothea war ihm untreu geworden auf jene Weise, wie die Frauen weit vergangener Zeiten einen geheimen Verrat am genesenden Gatten und Herrscher begingen. Nicht eine neue Liebe hatte die kinderreiche Königin von Preußen schöner, jünger und beschwingter werden lassen. Die Kühnheit ihrer Entwürfe gab ihr neues Feuer.
Um diese Pläne der Gattin musste Friedrich Wilhelm wissen, als der Herr des Landes und ihr Mann. Er kam in der Nacht nach ihrer Rückkehr in ihr Zimmer und schlug den Vorhang ihres Bettes zurück. Er weckte sie und fragte. Da gab ihm die Gattin noch einmal die Möglichkeit beseligender, gütiger Täuschung. Sie sprach, ohne erschreckt und verwirrt zu sein, in der Stille der Nacht von ihrer heißen Sehnsucht, Band und Bote zwischen den Thronen der Hohenzollern und Welfen zu werden, Mutter gekrönter Söhne und Töchter, Ahnfrau ungezählter künftiger Könige und Königinnen.
Friedrich Wilhelm lächelte und lauschte. Ein weites Gefühl durchzog ihm das Herz. Er ahnte die Fruchtbarkeit der Kronen und glaubte das Wunder der Fügung zu erkennen. Seine Frau begehrte, ihrer beider Kinder zusammenzugeben mit den Kindern der einzigen, die er vor ihr liebte. Aus Abschied wurde Wiederkehr, aus Ende Anfang, das Leben wirkte ohne Ende immer wieder Leben. Es gab kein Nein, und alles wurde Ja und Amen –; Ja und Amen, das bedachte er sehr ernst. Denn immer wieder überfielen ihn die Gebete.
Die Wucht des Gedankens riss ihn nicht minder mit als die Weite des Gefühls: Mächte des Nordens, die Hüter evangelischen Glaubens verbanden sich in der Liebe der Kinder! Eine neue Zeit brach in dem neuen Geschlechte an! Die zwölfte Verbindung der Hohenzollern und Welfen sollte wahrlich dem Glockenschlage einer vollen Stunde gleichen, mit der ein denkwürdiges Zeitalter anhob der Gemeinsamkeit des Blutes, der Macht, der Würde und des Glaubens! Der König träumte mit der Königin den gleichen Traum und glaubte an die Fruchtbarkeit der Kronen ihrer Geschlechter.
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König Georg I. von Hannover – 1660 – 1727
Der König von England weilte wieder in seinen deutschem Landen. Seit er gemeldet war, hatte es der Königin von Preußen keine Ruhe gelassen, sich auch diesmal in die hannoverische Heimat aufzumachen; denn in den drei Jahren seit Anna Amaliens Geburt waren ihre Pläne der Verwirklichung nicht um einen Schritt nähergekommen. Der König wendete nichts dagegen ein, dass die Gattin ihre Abwesenheit von vornherein auf einen Monat auszudehnen gedachte. Sie wollte mit ihrem Vater für die Zukunft ihrer Kinder wirken. Wie hätte er sie daran hindern mögen! Er wisse wohl, so sagte er der Gattin freundlich, dass die Hannoveraner jetzt eine so schöne Figur in der Welt spielten.
Herrenhausen – Hannover
Solange nun die Königin von Preußen bei dem König von England auf Herrenhausen zu Gaste war, stand Prinzessin Wilhelmine bei ihrem Vater in besonderer Gunst. Er empfand mit einer gewissen Behaglichkeit den großen Reiz, eine Tochter zu besitzen, die bereits sehr annehmbar zu repräsentieren verstand. Wilhelmine gab sich auch die größte Mühe, getreu dem Gebot der Mama, den Vater von ihrer außerordentlichen Eignung, Königin von England zu werden, zu überzeugen. Der König ahnte nichts davon, dass seine beiden ältesten Kinder durch ihre Mutter längst in alle Geheimnisse