Wilhelmine von Bayreuth: Erinnerungen der Prinzessin Wilhelmine von Preußen. Wilhelmine von Bayreuth

Wilhelmine von Bayreuth: Erinnerungen der Prinzessin Wilhelmine von Preußen - Wilhelmine von Bayreuth


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an den Kopf, der mich hätte töten können; mein Gesicht war ganz blutig, und mein Geschrei rief die gute Mermann herbei, die mich den Händen dieser Megäre entriss und ihr drohte, die Königin zu benachrichtigen, wenn sie nicht anders mit mir verführe. Die Leti bekam Angst. Mein Gesicht war ganz zerschunden, und sie wusste nicht, wie sie sich aus der Klemme ziehen sollte; nun beschaffte sie einen mächtigen Vorrat kühlenden Wassers und legte die ganze Nacht hindurch Kompressen auf mein armes Gesicht, und ich machte tags darauf der Königin weis, ich sei gefallen.

      So verging der ganze Winter. Ich wurde keinen Tag mehr in Ruhe gelassen, und mein armer Rücken erhielt täglich seinen Teil. In der Gunst der Königin stieg ich dagegen so hoch, dass sie mir nichts mehr vorenthielt. Sie bat den König, ob ich sie nicht überallhin begleiten dürfe. Er willigte mit Freuden ein und wünschte, dass auch mein Bruder mit ihm ginge. Wir machten unsere erste Ausfahrt im Juni, als der König und die Königin nach Charlottenburg fuhren, einem prachtvollen Landsitz in der Nähe der Stadt.

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      Schloss Charlottenburg

       Die Leti blieb von dieser Reise ausgeschlossen, und Frau von Kamecke ward mir statt ihrer zugeteilt. Ich habe schon erwähnt, dass diese Dame die trefflichsten Eigenschaften besaß; obwohl sie sich aber stets in der großen Welt bewegt, hatte sie die Manieren derselben nicht angenommen: Sie durfte eher für eine etwas bäuerliche, vernünftige, aber geistlose Person gelten. Sie war sehr fromm, und ich musste zwei bis drei Stunden lang Gebete verrichten, was mich sehr langweilte; dann kam der Katechismus daran und die Psalmen, die ich auswendig lernen musste, aber ich legte dabei so große Zerstreutheit an den Tag, dass sie mich jeden Tag auszankte.

      Der König feierte meinen Geburtstag, gab mir sehr schöne Geschenke, und abends war Ball. Ich ging jetzt in mein elftes Jahr, war für mein Alter ziemlich reif und fing an zu beobachten. Von Charlottenburg fuhren wir nach Wusterhausen. Die Königin vernahm am Abend ihrer Ankunft durch eine Stafette aus Berlin, dass mein zweiter Bruder an Dysenterie (Ruhr – eine entzündliche Erkrankung des Dickdarms bei einer bakteriellen Infektion) erkrankt sei. Diese Nachricht versetzte sie in große Bestürzung, und der König und die Königin wollten sich nach der Stadt begeben, doch hielt sie die Furcht vor der Ansteckung zurück. Tags darauf kam eine zweite Stafette, dass auch meine Schwester Friederike von demselben Übel ergriffen sei. Diese Krankheit wütete in Berlin wie die Pest, die meisten Menschen starben am dreizehnten Tage daran. Man verbarrikadierte selbst die Häuser, in denen die Krankheit herrschte, um ihrer Verbreitung entgegenzuwirken. Die Königin war noch nicht am Ende ihrer Leiden. Einige Tage später erkrankte der König selbst an denselben schweren Koliken, von denen er einige Jahre früher in Brandenburg befallen worden war.

       Nie hatte ich so viel auszustehen als während dieser Zeit. Die Hitze war außerordentlich, so groß wie sie in Italien vorkommt. Im Zimmer, in dem der König lag, waren alle Fenster geschlossen, und dabei brannte ein mächtiges Feuer. So jung ich noch war, musste ich den ganzen Tag hier verweilen; man hatte mich neben den Kamin gesetzt, ich war wie vom heftigen Fieber ergriffen und mein Blut so in Aufruhr, dass mir die Augen fast herausstanden. Ich war so erhitzt, dass ich keinen Schlaf finden konnte. Des Nachts machte ich so viel Spektakel, dass Frau von Kamecke davon erwachte; um mich zu beruhigen, gab sie mir Psalmen zu lernen, und als ich entgegnete, es fehle mir die Fassung dazu, schalt sie und sagte der Königin, dass ich nicht gottesfürchtig sei. Darüber kam es zu neuem Zank. Endlich erlag ich all der Mühsal und dem Ungemach und erkrankte nun meinerseits an Dysenterie. Meine getreue Mermann benachrichtigte erst die Königin, die es nicht glauben wollte und mich zwang, obwohl es mir schon recht schlecht ging, auszugehen, und die auf die Warnungen nicht eher achtete, als bis ich schwer darniederlag.

      Man brachte mich todkrank nach Berlin. Die Leti kam mir auf der Treppe entgegen. „Ah Prinzessin“, sagte sie, „Sie sind es. Haben Sie große Schmerzen? Sind Sie sehr krank? Nun seien Sie aber vorsichtig! Ihr Bruder ist heute Morgen verschieden, und ich glaube nicht, dass Ihre Schwester den Tag überleben wird.“ Diese traurige Botschaft bekümmerte mich sehr, doch war ich so krank, dass ich sie mir weniger zu Herzen nahm, als zu irgendeiner andern Zeit geschehen wäre. Acht Tage lang schwebte ich in größter Gefahr. Am Abend des neunten Tages fing mein Übel an sich zu lindern; doch erholte ich mich nur sehr langsam. Der König und meine Schwester genasen vor mir. Die Art, wie die Leti mit mir umging, verzögerte meine Genesung. Tagsüber misshandelte sie mich, und nachts ließ sie mich nicht schlafen, denn sie schnarchte wie ein Dragoner.

       Die Königin kehrte indessen nach Berlin zurück, und obwohl ich noch sehr schwach war, befahl sie, dass ich ausgehen sollte. Sie empfing mich sehr freundlich, würdigte aber die Leti kaum eines Blickes. Diese Person, aufs höchste darüber aufgebracht, rächte sich an mir. Hiebe und Stöße waren mein tägliches Brot; sie erging sich in Schmähungen auf die Königin und nannte sie für gewöhnlich die große Eselin. Das ganze Gefolge dieser Fürstin hatte Spitznamen so gut wie sie. Frau von Kamecke war die dicke Kuh, Fräulein von Sonsfeld die dumme Gans usw. Solcher Art war die treffliche Moral, die sie mir beibrachte. Ich hatte so viel Ärger und Verdruss, dass mir die Galle ins Blut trat und ich acht Tage nach meinem ersten Ausgang von der Gelbsucht befallen wurde. Ich litt zwei Monate daran und genas von dieser Krankheit nur, um in eine andere, viel gefährlichere zu fallen. Sie setzte mit einem hitzigen Fieber ein und artete zwei Tage später in Scharlach aus. Ich war fortwährend im Delirium, und das Übel verschlimmerte sich so sehr, dass man mir nur noch einige Stunden gab. Der König und die Königin vergaßen in ihrer zärtlichen Sorge um mich alle Rücksicht auf ihr eigenes Wohl. Sie eilten beide um Mitternacht zu mir und fanden mich bewusstlos. Man erzählte mir später, in welch unerhörte Verzweiflung sie gerieten. Sie gaben mir ihren Segen unter tausend Tränen, und man musste sie zwingen, sich von meinem Lager zu entfernen. Ich war in einen lethargischen Zustand gefallen. Die Pflege, die man mir angedeihen ließ, sowie meine gesunde Natur wehrten den Tod von mir ab; das Fieber legte sich gegen Morgen, und zwei Tage später war ich außer Gefahr. Hätte man mich doch in Frieden von dieser Erde scheiden lassen; es wäre zu meinem Glück geschehen. Allein ich war erkoren, tausendfaches Missgeschick zu erdulden, wie der schwedische Prophet es verkündet hatte.

       Sobald ich wieder imstande war, ein wenig zu sprechen, kam der König zu mir. Es beglückte ihn so sehr, mich gerettet zu sehen, dass er mir befahl, eine Gunst von ihm zu erbitten. „Ich will Ihnen eine Freude machen“, sagte er, „was immer Sie verlangen, sollen Sie haben.“ Ich war ehrgeizig und konnte es nicht leiden, dass ich immer noch als Kind galt; ich fasste Mut und beschwor ihn, mich nunmehr als eine Erwachsene zu behandeln und mich die Kinderkleider ablegen zu lassen. Er lachte sehr über meinen Einfall. „Nun denn“, sagte er, „es sei Ihnen gewährt, und ich verspreche Ihnen, dass Sie nicht mehr im kurzen Kleide erscheinen sollen.“ Ich war außer mir vor Freude. Ich erlitt fast einen Rückfall, und man hatte alle Mühe, meine erste Aufregung zu mildern. Wie glücklich ist man in diesen Jahren! Die geringste Kleinigkeit erfreut und erheitert uns. Der König hielt jedoch Wort, und was auch die Königin dagegen einwenden mochte, er befahl ihr, mir unbedingt die Courschleppe anzulegen.

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      Ich konnte mein Zimmer erst im Jahre 1720 (11jährig) verlassen. Ich war selig, keine Kinderkleider mehr zu tragen. Ich stellte mich vor den Spiegel, um mich zu betrachten, und dünkte mich nicht uninteressant in meinem neuen Staat. Ich studierte alle meine Bewegungen und meine Schritte, um wie eine Erwachsene auszusehen; kurz, ich war mit meiner kleinen Person sehr zufrieden. Triumphierend ging ich zur Königin hinab und war auf einen trefflichen Empfang gefasst. Wie ein Cäsar zog ich aus, und wie ein Pompejus kehrte ich zurück. Schon als sie mich von weitem erblickte, rief die Königin aus: „Mein Gott, wie sehen Sie aus! Das ist meiner Treu eine stattliche Figur! Sie sehen auf ein Haar einer Zwergin gleich.“ Ich stand ganz betroffen, in meiner Eitelkeit sehr verwundet, und der Verdruss trieb mir die Tränen in die Augen. Eigentlich hatte ja die Königin nicht unrecht, wenn es bei dieser flüchtigen Verspottung geblieben wäre; allein sie machte mir heftige Vorwürfe, dass ich mich an den König gewandt hatte, um eine Gunst zu erbitten. Sie sagte, dass sie das nicht haben wollte, dass sie mir befohlen habe, ihr allein anzuhängen, und dass, wenn ich mich je an den König wenden würde zu irgendwelchem Zweck, ich sie aufs höchste erzürnen würde.


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