Wilhelmine von Bayreuth: Erinnerungen der Prinzessin Wilhelmine von Preußen. Wilhelmine von Bayreuth
Laster, und all ihr Sinnen war nur darauf gerichtet, ihre Gunst beim König nicht zu verlieren und von niemandem verdrängt zu werden.
Die Prinzessin von Wales war außerordentlich geistreich, sehr gebildet, von reichen Kenntnissen und von großer politischer Begabung. Sie gewann zuerst alle Herzen in England für sich. Ihr Wesen war leutselig und anmutig, allein sie vermochte ihre Popularität nicht zu bewahren: Man hatte ihren wahren Charakter zu ergründen gewusst, der in keiner Weise ihrem Äußeren entsprach. Sie war herrschsüchtig, falsch und ehrgeizig. Man verglich sie stets mit Agrippina; sie hätte mit dieser Kaiserin ausrufen können: „Mag alles verderben, wenn ich nur herrsche.“ – Der Prinz, ihr Gemahl, hatte ebenso wenig Geist wie sein Vater; er war lebhaft, heftig, hochfahrend und von einem unverzeihlichen Geiz.
Lady Arlington, die den zweiten Rang behauptete, war die natürliche Tochter des verstorbenen Kurfürsten von Hannover und einer Gräfin Platen. Man darf in Wahrheit von ihr sagen, dass sie höllisch viel Geist besaß, denn er war ganz dem Bösen zugewandt. Sie war lasterhaft, voller Ränke und ebenso ehrgeizig wie die beiden anderen, deren Charakterbild ich entwarf. Diese drei Frauen herrschten abwechselnd über den König, obwohl sie sich sonst spinnefeind waren. Nur darin waren sie einig, dass sie nicht wollten, dass der junge Herzog von Gloucester eine Prinzessin aus einem mächtigen Hause heimführe, und dass ihnen eine recht unbegabte erwünscht war, damit sie weiterhin das Regiment behielten.
Lady Arlington, die ihre eigenen Pläne hatte, schickte Fräulein von Pöllnitz nach Berlin. Diese Dame war die Hofdame und Vertraute meiner Großmutter, der Königin Charlotte, gewesen; sie hatte sich nach dem Tode dieser Fürstin nach Hannover zurückgezogen, wo sie von einer Pension lebte, die ihr der König bewilligt hatte. Sie war so schlimmen Geistes wie Mylady, eine ebenso große Intrigantin, ihre böse Zunge verschonte niemanden; um nur drei kleine Fehler hervorzuheben: Sie liebte das Spiel, die Männer und den Wein. Die Königin, meine Mutter, kannte sie seit langem. Da ihr gemeldet wurde, dass Fräulein von Pöllnitz beim Hofe von Hannover sehr gut angeschrieben sei, empfing sie dieselbe aufs Beste. Sie stellte sie mir vor: „Hier ist eine meiner alten Freundinnen“, sagte sie, „mit der Sie gerne Bekanntschaft machen werden.“ Ich begrüßte sie und sagte ihr auf diese Worte der Königin etwas sehr Verbindliches. Sie betrachtete mich eine Weile von Kopf bis zu Fuß, dann wandte sie sich an die Königin: „Aber mein Gott“, hub sie an, „wie sieht die Prinzessin aus! welche Figur und wie ungraziös! und wie schlecht angezogen!“ Die Königin, auf solche Komplimente nicht gefasst, wurde ein wenig verlegen. „Sie könnte in der Tat besser aussehen“, sagte sie; „allein an ihrer Taille ist nichts auszusetzen, sie ist nur noch nicht entwickelt. Wenn Sie aber mit ihr reden wollen, werden Sie sehen, dass etwas hinter ihr steckt.“ Die Pöllnitz ließ sich also in eine Unterhaltung mit mir ein, aber auf ironische Weise, indem sie Fragen an mich stellte, wie wenn ich ein vierjähriges Kind wäre. Dies reizte mich so sehr, dass ich sie keiner Antwort mehr würdigte. Sie aber gab nun der Königin zu verstehen, dass ich launisch und hochmütig sei und sie von oben herab behandelt hätte. Dies zog mir sehr bittere Verweise zu, die anhielten, solange die Person in Berlin verblieb. Sie stellte mir überall nach. Man sprach eines Tages von meinem Gedächtnis. Dabei bemerkte die Königin, dass es geradezu unerhört sei. Die Pöllnitz lächelte boshaft dazu, als wüsste sie es anders. Dies reizte die Königin, und sie schlug ihr vor, mich auf die Probe zu stellen, ich würde hundertundfünfzig Verse in einer Stunde auswendig lernen. „Nun denn“, sagte die Pöllnitz, „so mag sie eine kleine lokale Gedächtnisübung machen, und ich wette, sie wird nicht behalten, was ich ihr aufschreiben werde.“ Die Königin wollte recht behalten und ließ mich rufen. Sie nahm mich beiseite und sagte mir, sie wolle mir alles Vergangene verzeihen, wenn sie ihre Wette durch mich gewänne. Ich wusste nicht, was ein lokales Gedächtnis sei, und hatte niemals davon vernommen. Die Pöllnitz schrieb nieder, was ich lernen sollte. Es waren fünfzig ganz barocke Namen, die sie erfunden und alle nummeriert hatte; sie las sie mir zweimal vor, indem sie stets die Nummern dazu nannte, worauf ich sie alsbald auswendig hersagen musste. Es gelang mir aufs erste Mal sehr gut, aber sie wollte das Experiment wiederholen und fragte mich von neuem aus und hieß mich die Namen nicht mehr der Reihenfolge nach hersagen, sondern griff nur aufs Geratewohl eine Nummer heraus. Dennoch bestand ich auch diese Probe zu ihrem großen Ärger. Ich habe nie im Leben mein Gedächtnis so sehr angestrengt, dennoch konnte sie es nicht über sich bringen, mich zu loben. Die Königin konnte dies Benehmen gar nicht begreifen und war darüber sehr gereizt, obwohl sie es sich nicht merken ließ. Endlich befreite uns Fräulein von Pöllnitz von ihrer unausstehlichen Gegenwart und kehrte nach Hannover zurück.
Bald darauf kam auch Fräulein von Brunow, die Schwester der Frau von Kamecke, nach Berlin. Sie war Hofdame bei meiner Urgroßmutter, der Kurfürstin Sophie von Hannover, gewesen und lebte noch an diesem Hofe, woselbst sie eine Pension genoss. Sie war gutmütig, aber strohdumm. Sie stellte bei ihrer Schwester eifrige Erkundigungen nach mir an. Da diese mir sehr gewogen war, lobte sie mich mehr, als ich es wohl verdiente. Die Brunow war über den Bericht der Frau von Kamecke erstaunt. „Unter Schwestern“, meinte sie, „sollte man offener sprechen und nicht Dinge leugnen, die alle Welt weiß, denn wir sind in Hannover über die Prinzessin längst unterrichtet worden, und wir wissen, dass sie verwachsen und zum Erschrecken hässlich ist, hochmütig und böse, mit einem Wort ein kleines Monstrum, das lieber nie zur Welt hätte kommen sollen.“ Frau von Kamecke wurde böse, geriet mit ihrer Schwester in lebhaften Streit, und um sie von ihrem Irrtum zu überzeugen, führte sie sie alsbald zur Königin, bei der ich mich befand. Sie wollte gar nicht glauben, dass ich es wirklich sei. Aber dass ich nicht verwachsen sei, davon ließ sie sich erst überzeugen, als man mich in ihrer Gegenwart auszog. Verschiedene Damen wurden wiederholt von Hannover nach Berlin geschickt, um mich in Augenschein zu nehmen. Ich musste vor ihnen aufziehen und ihnen meinen Rücken zeigen, um ihnen zu beweisen, dass ich nicht bucklig sei. Ich war sehr erbost über all dies, und zum Unglück ließ mich die Königin, damit ich zierlicher erscheine, so entsetzlich schnüren, dass ich ganz blau im Gesicht wurde und mir der Atem ausging. Dank der Sorge des Fräuleins von Sonsfeld war mein Teint wiederhergestellt; ich hätte ganz leidlich ausgesehen, wenn mir die Königin nicht geschadet hätte, indem sie mich so arg schnüren ließ. So verging dieses Jahr. Da sich nichts Bemerkenswertes in demselben zutrug, gehe ich zum Jahr 1723 (Wilhelmine war 14jährig) über.
Der König von England kam im Frühjahr nach Hannover, die Herzogin von Kendal und Lady Arlington begleiteten ihn, und letztere hatte die Leti in ihrem Gefolge. Diese lebte einzig nur von ihrer Gnade und von einer Pension des Königs, die ihr erwirkt worden war. Mein Vater, der König, der damals einzig meine Vermählung mit dem Herzog von Gloucester anstrebte, begab sich bald nach der Ankunft des Königs von England nach Hannover. Er wurde daselbst auf das herzlichste und wärmste bewillkommt und kehrte, von seinem Aufenthalt sehr befriedigt, nach Berlin zurück.
Die Königin reiste bald nach seiner Rückkehr zu ihrem Vater, dem König. Sie war mit vielen geheimen Instruktionen behufs eines offensiven wie defensiven Bündnisses betraut, das durch die Ehe meines Bruders und durch die meine besiegelt werden sollte. Sie fand jedoch nicht die günstige Stimmung vor, die sie erhofft hatte. Der König von England war mit allen Vorschlägen einverstanden, außer mit dem meiner Vermählung, und er redete sich damit hinaus, dass er vorgeblich die Neigung seines Enkels, des Prinzen, berücksichtigen und wissen müsse, ob unsere beiderseitigen Temperamente und Charaktere zueinander passten. Die Königin, aufs höchste bestürzt und ratlos, wandte sich an die Herzogin von Kendal. Sie beklagte sich bitterlich bei dieser Dame über die Antwort des Königs und gab sich alle Mühe, sie für sich zu gewinnen. Sie bat und bestürmte sie so lange, bis sie sie endlich zu dem Geständnis brachte, dass die Abneigung des Königs gegen meine Vermählung von den schlechten Eindrücken herrühre, die man ihm von mir beigebracht habe; die Leti habe ein solches Bild von mir entworfen, dass jedem Manne die Lust vergehen müsste, mich zu heiraten: Ich sei von abstoßender Hässlichkeit und ganz verwachsen; und was sie dann von meinem Charakter gesagt, stände im besten Einklang mit meinem Äußeren: ich sei so zornig und boshaft, dass ich aus reiner Wut mehrere Male tagsüber von der fallenden Sucht ergriffen würde. „Urteilen Sie selbst, Madame“, fuhr die Herzogin fort, „ob nach solchen Berichten, die durch Fräulein von Pöllnitz bestätigt wurden, Ihr königlicher Vater seine Einwilligung zu der Heirat geben konnte.“ Die Königin, unfähig, ihre Entrüstung zu bemeistern, erzählte ihr, wie die Leti sich gegen mich benommen