Wilhelmine von Bayreuth: Erinnerungen der Prinzessin Wilhelmine von Preußen. Wilhelmine von Bayreuth
Charakter dieses letzteren und zweifelte nicht, dass er ihn den Interessen des Kaisers gefügig machen würde. Er wandte sich erst schriftlich an ihn und suchte seine Gesinnung zu ergründen; ja er machte ihm sogar einige Enthüllungen über die Lage, in der sein Landesherr sich befand. Diese Korrespondenz hatte schon im vorhergehenden Jahre ihren Anfang genommen, und Seckendorffs Briefe waren von sehr schönen Geschenken und großen Versprechungen begleitet gewesen. Grumbkows käufliche Seele zeigte sich so verlockenden Aussichten bald empfänglich. Die Umstände kamen ihm dabei zustatten.
Zwischen den Höfen von Preußen und Hannover war eine gewisse Kälte eingetreten. Mein königlicher Vater fühlte sich wegen der Verzögerung meiner Heirat verletzt, und andere Verdrießlichkeiten kamen hinzu. Er hegte nichts so sehr wie den Zuwachs seines Regiments. Die mit der Rekrutierung beauftragten Offiziere führten mit Güte oder mit Gewalt die langen Männer fort, deren sie auf fremdem Gebiete habhaft werden konnten. Die Königin hatte bei ihrem Vater bewirkt, dass das Kurfürstentum Hannover jährlich eine bestimmte Anzahl solcher Leute stellen würde. Aber das hannoveranische Ministerium, vielleicht auf Veranlassung der Anti-Preußen, an deren Spitze Lady Arlington stand, unterließ es, die Order des Königs von England auszuführen. Die Königin erhob wiederholt Beschwerden hierüber, erreichte aber nichts als einige leere Entschuldigungen. Der König fühlte sich über die geringe Rücksicht sehr beleidigt; und Grumbkow trug eifrig Sorge, diese Erbitterung so sehr zu steigern, dass jener, um sich zu rächen, seinen Offizieren den Befehl erteilte, alle Männer, deren Größe sie für sein Regiment geeignet mache, aus Hannover zu entführen. Dieser Gewaltstreich rief eine ungeheure Erregung hervor. Der König von England verlangte Genugtuung und forderte, dass seine Untertanen in Freiheit gesetzt würden; der preußische König weigerte sich hartnäckig und behielt sie, was zwischen beiden Höfen eine Missstimmung hervorrief, die bald genug in offenen Hass ausartete. Die Lage konnte also für Seckendorff, als dieser nach Berlin kam, nicht erwünschter sein. Grumbkows lang betriebene Hetzereien bei dem König erleichterten die Verhandlungen. Seckendorff fand bei diesem sehr gnädige Aufnahme, denn der König kannte ihn schon von früher her, als er noch in sächsischen Diensten stand, und hatte ihn stets sehr geachtet. Eine ganze Anzahl von Heiducken, oder besser gesagt Riesen, die er dem König im Auftrag des Kaisers überwies, brachte ihn noch mehr in Gunst, und das Kompliment, das er dabei dem König vonseiten seines Herrn ausrichtete, gewann jenen vollends. „Da dem Kaiser“, so sagte er, „nichts willkommener ist, als Eurer Majestät sich bei jeder Gelegenheit gefällig zu erzeigen, bewilligt er Ihnen alle Rekrutierungen, die in Ungarn vorgenommen werden und hat bereits Befehl erteilt, dass man alle großen Männer in seinen Staaten ausfindig macht, um sie Ihnen anzubieten.“ Diese große Zuvorkommenheit, die von der Handlungsweise seines Schwiegervaters so sehr abwich, freute den König, doch blieb er noch unschlüssig; und Seckendorff sah wohl ein, dass er ihn nicht so schnell von dem großen Bündnis abbringen würde. Er suchte sich allmählich bei dem König einzuschmeicheln, und da er seine Schwächen erkannte, verstand er trefflich, sie zu nützen. Er gab ihm fast täglich großartige Bankette, zu denen nur seine und Grumbkows Kreaturen geladen waren. Man unterließ nie, das Gespräch auf die gegenwärtige politische Lage zu bringen und auf geschickte Weise die Interessen des Kaisers zu vertreten. Endlich gelang es während eines Gelages, den vom Weine erhitzten König zu bewegen, dass er einigen seiner Verpflichtungen, die er dem König von England angelobt hatte, untreu wurde und sich mit dem Hause Habsburg einließ. Er versprach Letzterm, dass die Truppen, die er kraft eines Artikels des Hannoveranischen Vertrages an England zu stellen habe, nicht gegen Österreich marschieren würden. Dies Versprechen wurde sehr geheimgehalten; denn der König war noch nicht gesonnen, sich vom großen Bündnis loszusagen, da er stets noch auf das Zustandekommen meiner Heirat hoffte. Erst zu Ende des folgenden Jahres, zu dessen Anfang ich jetzt gelangt bin, bekannte er Farbe. Die Königin war außer sich über den Lauf, den jetzt die Dinge nahmen, sie litt persönlich darunter. Der König quälte sie mit fortwährenden Vorwürfen über die Verzögerung meiner Vermählung; er sprach mit schimpflichen Worten von seinem Schwiegervater, dem König, und suchte sie in jeglicher Weise zu kränken.
Seckendorffs Aussichten stiegen mit jedem Tag. Er gewann so großen Einfluss auf den König, dass er über alle Ämter verfügte. Die spanischen Pistolen hatten ihm die meisten Diener und Generale, welche die Umgebung des Königs bildeten, zu Willen gemacht, so dass er von allem, was vorging, unterrichtet war. Da die zwischen Preußen und England beschlossene Doppelheirat ein großes Hindernis für seine Zwecke war, beschloss er, sie unmöglich zu machen, indem er Zwietracht in der Familie säte. Er bediente sich hierzu geheimer Boten; tausend falsche Berichte, die man täglich dem König über meinen Bruder und mich ausstellte, brachten ihn so gegen uns auf, dass er uns schlecht behandelte und dass unser Leben zur Qual wurde. Man schilderte ihm meinen Bruder als einen ehrgeizigen und intriganten Prinzen, der den Tod seines Vaters herbeiwünsche, um bald zur Herrschaft zu gelangen; er hätte keinerlei Interesse für militärische Dinge und sage vor aller Welt, dass er die Truppen verabschieden würde, sobald ihm die Macht zustünde; außerdem sei er verschwenderisch und alles in allem dem König so unähnlich, dass er ihm naturgemäß nur Abneigung entgegenbringen könne. Mich verschonte man auch nicht und sprengte aus, ich sei unerträglich hochmütig, ränkevoll und anmaßend, spiele die Ratgeberin meines Bruders und führe Reden wider den König, die alles andere als respektvoll seien. Da mein Vater auf die Versorgung seiner Töchter sehr bedacht war, suchte ihn Seckendorff auch von dieser Seite zu beeinflussen und forderte den Markgrafen von Ansbach, einen jungen siebzehnjährigen Prinzen, auf, sich nach Berlin zu verfügen, um sich meine jüngere Schwester anzusehen. Dieser Prinz war damals sehr vielversprechend und liebenswürdig. Meine Schwester war engelschön, aber schrecklich launisch und kleinlich. Sie stand jetzt statt meiner in des Königs Gunst. Der schwere Kummer, den sie nach ihrer Verheiratung erdulden musste, hat sie sehr gebessert. Vorerst hinderte die große Jugend der beiden, dass die Heirat vollzogen wurde; dies geschah erst zwei Jahre darauf, wie ich später berichten werde.
Die Königin hatte stets gehofft, dass die Ankunft des Königs von England, der in diesem Jahre nach Deutschland zurückkommen sollte, die Harmonie zwischen den beiden Höfen wiederherstellen würde; allein ein unvorhergesehenes Ereignis machte alle ihre Hoffnungen zunichte, denn sie erhielt die traurige Nachricht vom Tode dieses Fürsten. Er hatte England bei bestem Wohlsein verlassen und wider seine Gewohnheit die Überfahrt gut überstanden. In der Nähe von Osnabrück überfiel ihn ein Unwohlsein. Alle Hilfe, die man ihm bringen konnte, war vergebens; er verschied nach vierundzwanzig Stunden an einem Schlaganfall in den Armen seines Bruders, des Herzogs von York. Dieser Verlust traf die Königin aufs bitterste. Selbst der König schien ihn nicht gefühllos aufzunehmen. Trotz aller seiner Äußerungen wider den König von Großbritannien hatte er ihn doch stets als einen Vater betrachtet, ja ihn sogar gefürchtet; während seiner Kindheit hatte er in dessen Obhut gestanden, zur Zeit, da Friedrich I. nach Hannover flüchtete, um sich vor den Nachstellungen der Kurfürstin Dorothea, seiner Schwiegermutter, zu retten. Beider Trauer wurde noch vermehrt, als sie bald darauf erfuhren, dass jener Monarch den Plan gefasst, meine Heirat zu vollziehen, und beschlossen hatte, sie in Hannover zu feiern. Sein Sohn wurde jetzt zum König von England proklamiert, und der Herzog von Gloucester nahm den Titel Prinz von Wales an.
Indes untergruben all die Gelage, die Seckendorff für den König veranstaltete, dessen Gesundheit: Er fing an zu kränkeln; die Hypochondrie, von der er sehr geplagt war, verfinsterte sein Gemüt. Herr Francke, ein berühmter Pietist und Begründer des Waisenhauses in der Universitätsstadt Halle, trug nicht wenig dazu bei, den König in dieser Stimmung zu erhalten. Dieser geistliche Herr liebte es, Skrupel über die unschuldigsten Dinge in ihm wachzurufen. Er verpönte alle Vergnügungen, die ihm verwerflich schienen, selbst die Jagd und die Musik. Man durfte vor ihm nur von Gottes Wort reden; alle andern Reden waren unstatthaft. Immer gab er bei Tische, wo er wie in den Refektorien das Amt des Vorlesers vertrat, den Vorsprecher ab. Der König hielt uns jeden Nachmittag eine Predigt; sein Kammerdiener stimmte einen Choral an, in den wir alle einstimmten; der Predigt mussten wir mit ebenso großer Aufmerksamkeit lauschen, als hielte sie ein Apostel. Meinen Bruder und mich überkam der Lachreiz, und oft platzten wir los. Plötzlich stieß man dann alle Anatheme der Kirche gegen uns aus, die wir mit reuiger Miene über uns ergehen lassen mussten, was uns recht viel Mühe kostete.
August