TODESJAGD. Eberhard Weidner

TODESJAGD - Eberhard Weidner


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Glas mit löslichem Kaffee neben der Spüle entdeckt. Somit wusste sie, dass sie hier keinen Filterkaffee bekommen würde. Sie schüttelte daher den Kopf. »Tut mir leid, aber ich muss gleich wieder los.«

      Baumbach nickte und stand rasch auf. »Na dann«, sagte er und seufzte. »Aber wenn ich Ihnen irgendwie helfen kann, dann brauchen Sie mich nur anzurufen. Meine Handynummer haben Sie ja.«

      »Natürlich. Ich nehme übrigens den Computer Ihres Mitbewohners mit, um ihn im Büro genauer unter die Lupe zu nehmen. Gegebenenfalls finde ich darauf ja etwas, das uns einen Hinweis gibt, warum und wohin er verschwunden ist.«

      »Heißt das, dass Sie in seinem Zimmer sonst nichts gefunden haben?«

      Anja nickte. »So ist es. Ich hätte aber noch eine Frage an Sie.«

      »Worum geht’s?«, fragte Baumbach eilfertig.

      Die Polizistin legte den Laptop auf den Tisch, der damit voll war, und öffnete die Akte. Sie entnahm ihr das Foto von Christian Stumpf und der jungen Frau.

      »Können Sie mir sagen, wer die junge Dame ist?«

      Baumbach warf nur einen kurzen Blick auf das Foto, bevor er zu nicken begann. »Das ist Susanne.«

      »Eine Bekannte von Herrn Stumpf?«

      »Seine Ex-Freundin.«

      »Seit wann sind die beiden nicht mehr zusammen?«

      »Seit ungefähr einer halben Woche.«

      Anja hob die Augenbrauen. »Davon haben Sie mir bei unserem Gespräch vorhin gar nichts gesagt.«

      Baumbach zuckte mit den Schultern. Er schaffte es, gleichzeitig betreten und zerknirscht dreinzublicken. »Tut mir echt leid. Daran hab ich bei der ganzen Aufregung überhaupt nicht mehr gedacht.«

      »Wie lange waren die beiden zusammen?«

      Der Student überlegte kurz, bevor er antwortete: »Ich glaube, ungefähr anderthalb Jahre.«

      Anja runzelte die Stirn. Sie konnte nicht nachvollziehen, wie Baumbach so etwas hatte vergessen können. Wenn Stumpf und seine Freundin nur wenige Tage oder Wochen ein Liebespaar gewesen wären, dann hätte sie es ja noch verstanden. Aber da die beiden bis vor wenigen Tagen achtzehn Monate lang zusammen gewesen waren, dachte man doch beim Verschwinden des einen nahezu zwangsläufig auch an den anderen, auch wenn sie kein Paar mehr waren. Allerdings war es natürlich denkbar, dass Baumbach zu aufgeregt gewesen war, sodass er es tatsächlich zu erwähnen vergessen hatte.

      »Wer von den beiden hat denn die Beziehung beendet?«, fragte sie.

      »Das war Susanne.«

      »Und wie hat Herr Stumpf das aufgenommen?«

      »Gar nicht gut. Er war ziemlich deprimiert deswegen. Ich glaube, er hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass es mit ihnen beiden doch noch mal was werden könnte. Er bezeichnet Susanne immer als seine große, einzig wahre Liebe.«

      »Wie heißt die Dame mit vollen Namen?«

      »Susanne Winkler. Sie studiert Betriebswirtschaftslehre. Die beiden lernten sich auf der vorletzten Karibikfete kennen. Das ist die Semesterparty des Corps Alemannia München, die jedes Jahr im November in ihrem Wohnheim stattfindet.«

      Anja hatte ihr Notizbuch aus der Innentasche ihrer Jacke geholt und notierte sich die Angaben. Als sie fertig war, fragte sie nach einer Telefonnummer, unter der sie die Frau erreichen konnte.

      »Warten Sie, die muss hier irgendwo hängen.« Baumbach ging zu einer Pinnwand, die neben dem Kühlschrank an der Wand hing. Sie war übersät mit Zetteln, Postkarten, Flyern, Visitenkarten und alten Terminzetteln von Ärzten. »Hier ist sie.« Er nahm einen hellblauen Notizzettel, auf der eine Handynummer stand und gab ihn der Polizistin.

      Anja legte ihn in ihr Notizbuch. »Wissen Sie zufällig auch, warum seine Ex-Freundin mit Herrn Stumpf Schluss gemacht hat?«

      Baumbach zuckte mit den Schultern. »Soweit ich weiß, gab es keinen konkreten Grund. Zumindest hat Susanne Christian keinen genannt. Sie hat von einem Tag auf den anderen die Beziehung beendet und jeden Kontakt zu ihm abgebrochen.«

      »Okay.« Anja steckte ihr Notizbuch zurück. »Gibt es sonst noch etwas, das Sie vergessen haben, mir zu sagen? Jetzt haben Sie die Gelegenheit, es nachzuholen.«

      »N…n…n…nein«, sagte Baumbach stotternd. »Ich hab Ihnen alles gesagt, was ich weiß.«

      »Na schön. Wenn Ihnen doch noch etwas einfällt, rufen Sie mich bitte umgehend an. Verstanden?«

      Er nickte eifrig.

      Sie gab ihm ihre Visitenkarte, bevor sie die Akte und den Laptop wieder an sich nahm und sich verabschiedete.

      2

      Nach dem Mittagessen war sie allein in ihrem Büro in der Vermisstenstelle, die sich im zweiten Stock des Dienstgebäudes in der Hansastraße befand. Daniel Braun war in einem seiner Vermisstenfälle unterwegs.

      Anja hatte sich auf der Rückfahrt von der Studenten-WG ein Grill-Sandwich und eine kleine Flasche Cola besorgt. Anschließend war sie zu ihrer Wohnung gefahren, um Yin, den sechsjährigen schwarzen Kater, den sie seit einem halben Jahr besaß, zu füttern und ihm für eine Weile Gesellschaft zu leisten.

      Nun hatte sie den Laptop des vermissten Studenten vor sich stehen und durchsuchte die Festplatte nach wichtigen Dokumenten.

      Sie fand auf Anhieb ein paar Briefe, die der junge Mann an seinem Computer geschrieben hatte, doch die waren zum größten Teil schon älteren Datums und hatten nicht das Geringste mit seinem Verschwinden zu tun. Mangels Passwörtern und PINs konnte sie darüber hinaus weder auf seinen E-Mail-Account noch auf sein Online-Bankkonto zugreifen. Es frustrierte sie, dass sie nichts fand und offenkundig ihre Zeit verschwendete. Doch da sie niemand war, der schnell aufgab, blieb sie hartnäckig und suchte weiter.

      Was blieb ihr auch anderes übrig? Sie hatte momentan nicht die geringsten Anhaltspunkte, was geschehen war. Mithilfe von Stumpfs Bankdaten, die sie sich notiert hatte, würde sie seine letzten Kontobewegungen überprüfen können. Vielleicht hatte er unmittelbar vor oder nach seinem Verschwinden einen größeren Bargeldbetrag abgehoben. Das würde darauf schließen lassen, dass er freiwillig verschwunden war, um sich möglicherweise eine Auszeit zu gönnen, nachdem seine Freundin ihm vor wenigen Tagen so überraschend den Laufpass gegeben hatte. Falls es andererseits keine verdächtigen Geldabhebungen gab und auch nach seinem Verschwinden nicht mehr auf das Konto zugegriffen worden war, konnte das wiederum ein Indiz dafür sein, dass er sich womöglich aus Liebeskummer etwas angetan hatte.

      Die einzig andere vielversprechende Spur, der Anja im Moment nachgehen konnte, war die Ex-Freundin Susanne Winkler. Anja wollte wissen, aus welchem Grund sie die Beziehung dermaßen abrupt beendet hatte. Außerdem interessierte es sie, ob die junge Frau unmittelbar vor oder nach Stumpfs Verschwinden Kontakt mit ihm gehabt hatte. Gegebenenfalls kannte sie auch das Passwort für Stumpf E-Mail-Account.

      Doch zunächst wollte Anja sicherstellen, dass sie die Festplatte des Laptops gründlich durchsucht und dabei nichts übersehen hatte. Sie würde das Gerät anschließend zwar ohnehin an die IT-Spezialisten der Kripo weiterleiten, damit diese es auf Herz und Nieren überprüften; doch je früher sie etwaige Hinweise fand, desto eher konnte sie ihnen nachgehen. Und in einem Vermisstenfall wie diesem, in dem zu befürchten stand, dass die vermisste Person sich etwas antat, konnten schon ein paar Stunden über Leben und Tod entscheiden.

      Die Kriminalbeamtin wollte bereits aufgeben und Susanne Winkler anrufen, um mit ihr ein Treffen zu vereinbaren. Doch da fand sie in einem Verzeichnis mit dem kryptischen Titel CdtG eine Datei, die den unmissverständlichen Namen Abschiedsbrief.docx trug. Sie stammte von dem Tag, an dem der Student verschwunden war.

      Sofort war sie wie elektrifiziert. Sie klickte die Datei hastig an, um sich ihren Inhalt anzusehen. Obwohl das Programm und das Dokument zügig geöffnet wurden, kam es ihr wie eine kleine Ewigkeit vor. Doch dann war es endlich soweit.


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