Engel und Teufel. Anna Katharine Green

Engel und Teufel - Anna Katharine Green


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Eindringen, indem ich sie aus meinen Diensten entließ.“

      Der Untersuchungsrichter warf ihm einen schnellen Blick zu, öffnete den Mund zum Sprechen, schien seine Absicht jedoch sofort zu ändern und wandte sich der Toten zu.

      „Wir haben eine traurige Pflicht vor uns“, sagte er.

      Die Untersuchung, die er nunmehr vornahm, brachte zwei Tatsachen zu Tage. Erstens: dass alle Türen des Hauses unverschlossen gewesen sind und zweitens, dass der Polizist mit den Ersten ins Haus getreten ist und so versichern konnte, dass, außer Batsys Entfernung vom Fenster nach dem Bette, nichts im Hause berührt worden war.

      Als er dann die Tote besichtigte, fand er den Schlüssel in ihrer Hand.

      „Wozu gehört dieser Schlüssel?“ fragte er.

      Man zeigte ihm die Schubladen im Wandschrank.

      „Die eine ist leer“, sagte Mr. Sutherland. „Wenn die andere ebenfalls leer ist, dann liegt ein Raubmord vor. Der Schlüssel, den sie in der Hand hält, sollte beide Schubladen öffnen.“

      „Dann wollen wir sofort nachsehen. Es ist von höchster Wichtigkeit, zu wissen, ob nur ein Mord vorliegt oder ein Raubmord.“

      Darauf nahm er den Schlüssel aus der Toten Hand und gab ihn Fenton, der sofort die Schublade aufschloss und sie, mit ihrem ganzen Inhalt, auf den Tisch stellte.

      „Hier drin ist kein Geld“, sagte er.

      „Aber Papiere, die so gut sind, als Geld“, bemerkte der Richter. „Sehen Sie hier: Hypothekenbriefe und viele gute Staatspapiere. Es scheint, sie war reicher, als jemand von uns wusste.“

      Mr. Sutherland schaute mit enttäuschter Miene in die nun leere Schublade.

      „Wie ich fürchtete“, sagte er. „Man hat sie ihres Bargeldes beraubt. Es befand sich dies zweifellos in der anderen Schublade.“

      „Wie kann sie dann den Schlüssel in der Hand halten?“

      „Das ist eines der Geheimnisse dieses Falles. Dieser Mord ist nicht so einfach; es dünkt mir vielmehr, als ob wir viele Überraschungen zu gewärtigen hätten.“

      „So zum Beispiel: Batsys Tod.“

      „O ja, Batsy! Ich vergaß ganz, dass sie auch tot aufgefunden ward.“

      „Und ohne jede Wunde, Herr Richter.“

      „Sie war herzkrank, der Schreck hat sie wohl getötet.“

      „Ihr Gesichtsausdruck scheint diese Annahme zu bestätigen.“

      „Lassen Sie mal sehen. So scheint es in der Tat! Es muss jedoch eine Sektion vorgenommen werden, dies zu bestätigen.“

      „Ehe wir weiter gehen, möchte ich erklären, wieso ich weiß, dass Agatha Bargeld im Hause hatte“, sagte Mr. Sutherland, als sie ins andere Zimmer zurückgingen.

      „Vorgestern, als ich mit meiner Familie zu Tische saß, kam Judy, die alte Klatschbase, in das Zimmer. Wäre Mrs. Sutherland am Leben, hätte sie es nicht gewagt, zur Essenszeit einzudringen; doch so, da Niemand die Honneurs des Hauses vertritt, kam sie einfach ins Zimmer gelaufen und kramte ihre Neuigkeiten aus.

      Sie kam eben von Mrs. Webb. Mrs. Webb habe Geld, viel Geld im Hause; sie habe es gesehen; sie sei, wie gewöhnlich, ohne anzuklopfen ins Haus gegangen; da sie Agatha oben hörte, ging sie hinauf; die Türe stand offen und sie schaute hinein; Agatha ging eben durchs Zimmer, Papiergeld in der Hand, viel Geld; sie legte die Scheine in eine Schublade hinter den Büchern im Wandschrank und sagte: „Eintausend Dollars! Das ist zu viel Geld, im Hause zu behalten“; sie - Judy - sei derselben Meinung; sie habe Angst bekommen und sei geräuschlos davon gerannt, den Nachbarn zu erzählen, was sie gehört und gesehen habe.

      Glücklicherweise war ich der Erste, den sie an jenem Morgen traf, doch bin ich überzeugt, dass sie, trotz meiner ausdrücklichen Verwarnung, ihre Neuigkeit noch bei mindestens einem halben Dutzend anderer ausgekramt hat.“

      „War die junge Dame dort unten zugegen, als Judy dies erzählte?“ fragte der Untersuchungsrichter.

      Mr. Sutherland sann nach.

      „Vielleicht - ich erinnere mich nicht mehr genau. Frederick saß mit mir am Tische, während meine Haushälterin den Kaffee eingoss. Ich glaube kaum, dass Miss Page zugegen war; sie steht nicht so früh auf - sie ist in letzter Zeit ziemlich „vornehm“ geworden.“

      „Sollte es möglich sein, dass er so blind ist und nicht sieht, dass sein Sohn Frederick dieses Mädchen heiraten will?“ flüsterte Pastor Crane dem Polizisten ins Ohr.

      Dieser zog als Antwort die Schultern in die Höhe. Mr. Sutherland war ein Mann, freundlich gegen Jedermann, aber desto unergründlicher.

      05. Eine Spur im Grase.

      Als der Untersuchungsrichter, gefolgt von Mr. Sutherland, aus der Türe trat, bot sich den beiden ein merkwürdiger Anblick dar. Miss Page stand noch immer unbeweglich auf derselben Stelle und schaute die Kommenden unverwandt an.

      Als sie in ihrer Nähe waren, zog sie die rechte Hand aus dem Umhange hervor, deutete auf das Gras zu ihren Füßen und sagte ruhig:

      „Sehen Sie dies?“

      Die beiden Männer beeilten ihre Schritte, beugten sich nieder und betrachteten angelegentlich die bezeichnete Stelle.

      „Was sehen Sie da?“ fragte Mr. Sutherland, der ohne Gläser in der Nähe nicht mehr gut sehen konnte.

      „Blut“, entgegnete der Richter, einen Grashalm abpflückend und ihn genau betrachtend.

      „Blut!“ wiederholte Miss Page, mit einem so bezeichnenden Blick, dass Mr. Sutherland sie verwirrt anschaute, eine Empfindung, die er sich nicht erklären konnte.

      „Wie konnten Sie diese kaum sichtbaren Flecken bemerken?“ fragte der Richter.

      „Kaum sichtbar? Es ist das einzige, was ich in dem ganzen Garten sehe!“

      Und mit einer Verbeugung, die nicht ohne Spott war, ging sie dem Tore zu.

      „Ein unbegreifliches Mädchen“, sagte der Untersuchungsrichter.

      „Aber sie hat recht, was diese Flecken anbetrifft. Abel“, rief er den Mann an, der an der Türe stand, „bringen Sie eine leere Kiste oder ein Fass und decken Sie diese Stelle hier zu. Ich will nicht, dass Jemand das Gras hier zertritt.“

      Abel ging, den Auftrag auszuführen und kam eben an das Tor, als Miss Page dies zu öffnen im Begriffe war.

      „Wollen Sie mir, bitte, helfen“, sagte sie. „Ich kann nicht durch diese Menschenmenge kommen.“

      „Nicht?“ rief eine Stimme von außen. „Gehen Sie heraus, während ich hineingehe und Sie finden einen Weg offen.“

      Da sie die Stimme des Sprechers nicht erkannte, zögerte sie; doch da das Tor sich eben bewegte, presste sie gegen dasselbe und stand im nächsten Augenblicke dem Eintretenden gegenüber.

      „Ah, Sie sind es“, murmelte der, sie durchdringend anschauend.

      „Ich kenne Sie nicht!“ entgegnete sie naserümpfend und schlüpfte aus dem Tore, ehe er Zeit zum Erwidern fand. Er schnalzte mit den Fingern der rechten Hand und winkte lächelnd Abel zu, der erstaunt diesem Zwiegespräch zugehört hatte.

      „Schmiegsam, wie ’ne Weide, he?“ sagte der Angekommene.

      „Nun, ich habe schon oft Pfeifen aus Weiden geschnitten und - wie kommst Du zu dem?“, brach er plötzlich ab und deutete auf eine seltene Blume, die halb welk aus Abels Knopfloch hing.

      „Das? Oh, ich hab sie im Haus gefunden; sie lag auf dem Boden, fast unter Batsys Röcken. Merkwürdige Blume, was? Wunder, woher sie sie hatte.“

      Der Andere ward sofort äußerst erregt. Seine grünen Augen leuchteten sonderbar.

      „War


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