Georg Schweinfurth: Forschungsreisen 1869-71 in das Herz Afrikas. Georg Schweinfurth
dem ehemaligen Hauptquartier des berühmten Räuberhauptmanns Mohammed Cher stießen wir auf die ersten Spuren des ruchlosen Sklavenhandels. Mengen menschlicher Gebeine von den durch Seuchen hinweggerafften Sklaven fanden sich überall über die Steppe verstreut, infolge des Steppenbrandes in halbverkohltem Zustand.
Die Zahl der geschlachteten und verschmausten Rinder muss, nach den vorhandenen Knochenmassen zu urteilen, ganz gewaltig gewesen sein; sie bestanden meist aus der Beute, die Mohammed den Schilluk abgenommen hatte. Dieser Räuberhauptmann durfte es sogar wagen, den Befehlen des Generalgouverneurs Trotz zu bieten, und er war es hauptsächlich, der die Chartumer lehrte, mit Hilfe befestigter Plätze, förmlicher Zwingburgen, die Eingeborenen in Schrecken zu halten. Infolge seiner Räubereien war das ganze östliche Nilufer in eine ununterbrochene Waldeinöde verwandelt. Die Dinkaneger oder Djangeh, die dort einst zahlreiche Dörfer bewohnten, hatten sich ins Innere zurückgezogen.
Bei einer Krümmung des Nil, unterhalb Faschoda, hatte ich schon wieder ein bösartiges Abenteuer. Da die Windrichtung hier das Segeln unmöglich machte, musste die Barke von der Mannschaft gezogen werden. Als nun das Seil durch die Grasmasse des Ufers streifte, kam uns ein wilder Bienenschwarm in den Weg, der sich gleich einer großen Wolke über die Ziehenden entlud. Jeder stürzte sich kopfüber in den Fluss und suchte die Barke wieder zu gewinnen. Aber der Bienenschwarm folgte auf den Fluss nach und erfüllte in wenigen Augenblicken alle Räume des mit Menschen vollgepfropften Fahrzeugs.
Ich arbeitete gerade an meinen Pflanzen in der Kabine, als ich ein Rennen und Springen vernahm, das ich anfangs für Ausgelassenheit der Leute hielt. Da stürzt einer ganz verwirrt mit dem Ruf herein: „Bienen, Bienen!“ Plötzlich fühle ich mich im Gesicht und an den Händen von den empfindlichsten Stichen getroffen und höre mich bereits von Tausenden von Bienen umsummt; vergeblich suche ich das Gesicht mit meinem Handtuch zu schützen. Wütend schlage ich um mich, aber umso größer wird die Hartnäckigkeit der Insekten. Ich fühle einen wahnsinnigen Schmerz im Auge, und Stich auf Stich fällt mir in das Haar. Die Hunde unter meinem Bett springen wie toll auf und werfen eine Menge Sachen um, ich selbst stürze mich voller Verzweiflung in den Fluss, ich tauche unter: alles vergebens, immer wieder regnet es Stiche auf meinen Kopf. Im Ufersumpf schleppe ich mich durch das Schilfgras, das mir die Hände zerschneidet, und suche das Festland zu gewinnen, um im Wald Schutz zu finden.
Da packen mich vier kräftige Arme und schleppen mich gewaltsam zurück, so dass ich im Schlamm zu ersticken glaube. Ich muss wieder an Bord, an Flucht ist nicht zu denken.
Durch die kühlende Nässe war ich soweit wieder zu mir gekommen, dass ich ein Betttuch aus dem Kasten zu zerren vermochte. Endlich fand ich Schutz, nachdem ich die in das Laken eingeschlossenen Bienen nach und nach zerquetscht hatte. Krampfhaft zusammengekauert, musste ich drei volle Stunden verharren, während das Summen um mich herum ununterbrochen anhielt und einzelne Stiche noch durch das Laken hindurchdrangen. Lautlose Stille herrschte an Bord, da alle Insassen meinem Beispiel gefolgt waren. Einige Beherzte hatten sich zuletzt ans Ufer geschlichen und setzten das dürre Schilfgras in Brand. Schließlich gelang es, mit Hilfe des Rauchs die Bienen von der Barke zu verscheuchen, diese flott zu machen und dem jenseitigen Ufer zuzutreiben.
Nun erst konnte man sich den Schaden besehen. Mit Hilfe eines Spiegels und einer Federzange zog ich mir alle Stacheln aus Gesicht und Händen. Diese Stiche blieben auch ohne schädliche Folgen. Unmöglich war es aber, in meiner Kopfhaut die Stacheln ausfindig zu machen; viele waren abgebrochen und erzeugten ebenso viele kleine Geschwüre, die zwei Tage lang empfindlich schmerzten. Ein Unfall wie der unsrige ist auf den Gewässern des Weißen Nil selten erlebt worden. Das Merkwürdigste war, dass alle sechzehn in unserem Kielwasser steuernden Barken an diesem Tage an der gleichen Stelle sich der gleichen Plage ausgesetzt sahen. Am Abend wünschte ich mir lieber zehn Büffel und noch zwei Löwen dazu, als je wieder mit Bienen zu tun zu haben, und die ganze Schiffsgesellschaft stimmte mir lebhaft zu. Ich nahm Chinin und erwachte am Morgen neu gestärkt und munter, während mehrere der arg zugerichteten Leute ein heftiges Fieber hatten. Unter den Mannschaften der uns folgenden Barke hatte es infolge der Verletzungen nachträglich sogar zwei Todesfälle gegeben.
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Ein weiblicher Häuptling
Ein weiblicher Häuptling
Am 24. Januar 1869 wurde Faschoda erreicht, damals der südlichste Grenzwaffenplatz des ägyptischen Reiches.
Heute heißt der Ort Kodok, um die französische Empfindlichkeit zu schonen; in Faschoda hatte nämlich 1898 Frankreich eine schwere Kränkung durch die Engländer erfahren.
Auf der am 1. Februar angetretenen Weiterreise lernte ich den Kaufmann Mohammed Abd-es-Ssammat kennen, jenen hochherzigen Nubier, der so großen Einfluss auf mein Unternehmen auszuüben bestimmt war und der mehr dafür geleistet hat, als alle Machthaber des Sudan es vermochten. Gleich bei der ersten Begegnung forderte er mich auf, ihn als sein Gast bis zu den entferntesten Völkern zu begleiten, eine Aussicht, die mich auf das freudigste erregte. Mohammed stammte aus dem nördlichsten Teil des nubischen Niltals und war in seiner Art ein kleiner Held, der sich mit dem Schwert in der Hand Ländergebiete erobert hatte, die an Umfang manchen kleinen Staat in Europa übertrafen. Der unternehmende, keine Gefahren, Mühen und Opfer scheuende Kaufmann, der nach den Worten des Horaz „zu den äußersten Indern wandert, um über Meere und Länder der Armut zu entfliehen“, schien gleichsam die geistige Verwandtschaft zu ahnen, die er mit dem Gelehrten teilte, der im Dienst der Wissenschaft ferne Länder durchreist, um die Wunder der Welt zu schauen. „Durchwandert die Welt und erfreut euch der herrlichen Dinge, die ich erschaffen!“, sagt der Koran.
Wir hatten warten müssen, bis andere Barken zu uns stießen, denn vorher schien die Mannschaft nicht genügend stark zu sein zum Schutz gegen Angriffe des noch nicht unterworfenen Teils der Schilluk. Sie war auch nicht zahlreich genug, um allein die schweren Hindernisse zu überwinden, die der „Ssudd“, die Grasbarre, in Aussicht stellte. Diesen Ssudd habe ich gründlich kennen gelernt, als wir in die Sumpfdickichte der westlichen Zuflüsse des Weißen Nil einbogen.
Im Gefängnis des Ssudd
Tagelang befand sich die Barke in einem Gewirr von Kanälen und schwimmenden Grasmassen, Papyrus- und Ambatschdickichten, die die ganze Breite des Hauptstroms bedeckten. Papyrus ist das bis zu fünf Meter hohe, aus dem Altertum bekannte Riedgras, von dem das Papier seinen Namen hat, Ambatsch eine Pflanze von außergewöhnlich leichtem schwammigem Holz, die sechs Meter hoch werden kann. Hin und wieder bricht sich in engen Rissen die Gewalt des Wassers Bahn, aber diese Kanäle entsprechen nicht immer den Tiefenlinien des Strombettes und sind daher nur selten für Barken passierbar. Ein beständiges Ziehen und Drängen der Massen verändert sie alljährlich in so hohem Grad, dass selbst der erfahrenste Schiffer sich nicht in ihnen zurechtzufinden weiß. Im Winter muss er bei jeder Fahrt sich aufs Neue durch ein labyrinthisches Fahrwasser winden. Im Juli dagegen, wenn der Fluss seinen höchsten Wasserstand erreicht hat, sind für die Talfahrt alle jene Kanäle wohl zu benutzen.
Dichte Massen einer auf den freien Stellen der Wasserfläche schwimmenden Vegetation von kleinen Kräutern bilden einen grützeartigen Brei, der die Vereinigung der Grasmassen zu vollständigen Decken sehr erleichtert. Wie ein fest verbindender Kitt verstopft dieser Brei von Kräutern alle Spalten und Löcher zwischen den Gras- und Ambatschinseln, die sich an den Stellen der Hinterwasser anhäufen, wo sie den Winden oder der Strömung minder zugänglich sind.
Am 8. Februar begann der eigentliche Kampf mit dieser Welt von Gras. Den ganzen Tag verbrauchten wir in einem mühsamen Durchzwängen der Barken durch die zeitweilig gebildeten Stromarme. 200 Bootsleute und Soldaten mussten viele Stunden lang im Wasser an Seilen ziehen,