Georg Schweinfurth: Forschungsreisen 1869-71 in das Herz Afrikas. Georg Schweinfurth
übrigen gießen zwei Drittel Wasser dazu oder mischen ihn unter die Merissa, das einheimische aus Negerhirse gebraute Bier. Den Trinkern mundeten besonders die scharfen, durstreizenden Rettiche aus meinem Garten, den ich mir mit viel Lust und Mühe angelegt hatte und in dem Mais, Tabak, Gurken und allerlei europäische Gemüse vorzüglich gediehen. Bei den Gelagen wurde ich mit Bitten nach diesem Reizmittel überhäuft. Mit Vorliebe erkoren die Nubier die ersten Morgenstunden dazu, um sich zu betrinken; sie waren dann für den ganzen Rest des Tages unausstehlich. Im trunkenen Zustand wird der Nubier so streitsüchtig wie der Deutsche, nur entfesselt sich dabei seine schrankenlose Wildheit, und Mord und Totschlag sind nicht selten der Ausgang.
In der Hauptseriba verging selten eine Woche ohne einen Unfall durch unvorsichtiges Schießen. Selbst stets in Gefahr, von den Kugeln der Seribenbewohner durchlöchert zu werden, musste ich bei allem Ärger obendrein immer mit meinem chirurgischen Rat herhalten, wenn es sich darum handelte, die Knochen zu bandagieren oder Kugeln und Schrot aus dem Fleisch zu entfernen.
Oft wurde ich auch in meiner nächtlichen Ruhe beeinträchtigt. Besonders unausstehlich war das ewige Geplärr der lauten Gebetsübungen, das in den Abendstunden erscholl. Es war um aus der Haut zu fahren. Da waren Faki angekommen aus Darfur, die in einem selbst den gelehrtesten Chartumern völlig unverständlichen Kauderwelsch die Verse des Koran herableierten; das schnurrte nur so wie ein Mühlrad. Meine eigenen Leute, die doch gute Mohammedaner waren, nahmen für mich Partei und verwiesen die nächtlichen Ruhestörer aus der Nähe meiner Hütte.
Ab und zu waren nächtliche Orgien an der Tagesordnung; als Vorwand für die Wahl der Tageszeit musste die gar nicht sehr bemerkliche Mückenplage dienen. Wenn die Nubier sich an ihrer abscheulichen Merissa betrunken hatten, tobten sie ihren Übermut an den riesigen Pauken aus, die am Eingang der Seriba hingen. Dicht dabei stand meine Hütte, die Pauken waren mir daher beständig ein Dorn im Auge. Ich wusste mir nur dadurch ab und zu Ruhe zu verschaffen, dass ich Salzsäure auf die Felle spritzte, so dass sie beim nächsten Gebrauch platzten.
Auch die von den eingeborenen Kogur oder Zauberern bei Krankheiten betriebenen Teufelaustreibungen vermehrten die nächtliche Unruhe. In den höchsten und schneidig schärfsten Tönen, vergleichbar etwa dem Gackern geängstigter Hühner, beginnt der Zauberer seine Beschwörung. Der erste Teil dauert mitunter zwei Stunden ohne die geringste Unterbrechung. Die Einleitung, so wurde mir gesagt, sei nötig, um den Teufel überhaupt zur Antwort zu bewegen. Dann folgen die Fragen und Antworten; die Sprache des Teufels wird durch Bauchrednerkunst vorgetäuscht. Der Zauberer fragt nach Namen und Herkunft des Teufels, nach der Dauer seines Innewohnens, nach Art und Stand desselben und seiner Sippe und Verwandtschaft. Hat er nach stundenlangem Mühen endlich alles herausbekommen, was er wünschte, dann beginnt die Verordnung eines Mittels. Der Kogur geht in den Wald und holt eine Wurzel oder ein Kraut, die in vielen Fällen die Genesung herbeiführen. Das erinnerte mich lebhaft an all den Hokuspokus, mit dem sich bei uns Quacksalber und Wunderdoktoren zu umgeben pflegen und der namentlich dazu dient, ganz einfache, längst bekannte Mittel unter irgendeinem abenteuerlichen Namen oder einer wunderbar aufgeputzten Form der Neugierde des Publikums aufzudrängen. Klappern gehört überall zum Handwerk.
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Ein seltsames Hirtenvolk
Ein seltsames Hirtenvolk
Der lange Aufenthalt in der Seriba Ghattas hat mich in enge Verbindung mit den benachbarten Völkerschaften gebracht und mir Gelegenheit zu einer Menge von Beobachtungen und Erkundungen geboten, die ich auf einigen Ausflügen in westlicher Richtung erweitern konnte. Die Studien über das große Volk der Dinka oder Djangeh, wie sie sich selbst nennen, hatte ich schon in der Meschra mit großem Eifer betrieben und im Anfang des Marsches fortgesetzt. Meine Beziehungen zu diesem seltsamen Hirtenvolk waren auch in den folgenden zwei Jahren nur selten unterbrochen. Aus eigener Anschauung kenne ich indes nur die westlichsten Stämme dieses über nahezu 240.000 Quadratkilometer ausgebreiteten Volkes, diesen Teil aber hinreichend genau, um manches Neue berichten zu können.
Die Mehrzahl übersteigt in ihrer Körperhöhe nur wenig ein mittleres Maß. Bei 26 gemessenen Eingeborenen war die Durchschnittshöhe 1,74 Meter.
Die Dinka zählen zu den am dunkelsten gefärbten Rassen, aber die Haut lässt deutlich einen braunen Ton erkennen, sobald sie von der Asche gesäubert ist, mit der sie sich so gern einreiben. Wenn sie sich mit Öl gesalbt haben, oder nach einem Bad, schimmert ihre Haut wie braunschwarze Bronze. Die Einförmigkeit der Gesichtsbildung beruht mehr auf einer Täuschung unseres Auges, dem die schwarze Gestaltung ungewohnt erscheint, als auf einer wirklichen Gleichartigkeit der Züge. Einigermaßen einnehmende Gesichtszüge sind selten, unaussprechlich hässliche Fratzen, die verstärkt werden durch ein Grimassenspiel, verleihen der großen Mehrzahl affenartigen Ausdruck. Doch fehlt es auch nicht an Ausnahmen, die eine tadellose Regelmäßigkeit der Züge aufweisen. Das Haar scheren sie sich meist kurz und lassen auf der Höhe des Scheitels nur einen Schopf stehen, den sie durch Einstecken von Straußenfedern zieren. Ein Dinkastutzer, den ausnahmsweise ein reicherer Haarwuchs auszeichnete, hatte das 15 Zentimeter lange Haar zu flammenförmigen Zipfeln aufgerichtet; sie waren fuchsrot gefärbt und verliehen dem Mann ein satanisches Aussehen. Eine solche Färbung ist das Ergebnis fortgesetzter Waschungen mit Kuhharn. Der Bartwuchs ist zu unentwickelt, um irgendwie in Betracht zu kommen. Ihre Schermesser bestehen aus sorgfältig geschliffenen Lanzenspitzen.
Beide Geschlechter brechen sich die unteren Schneidezähne aus. Eine Folge davon ist ihre undeutliche Sprache. Auffällig schien es mir, dass gerade dieses Volk häufig schlechte Zähne hat. Männer und Frauen durchlöchern sich die Ohrränder und stecken eiserne Ringelchen und mit Eisen beschlagene Stäbchen durch. Die Frauen durchbohren sich wohl auch die Oberlippe, um einen eisernen Stift und eine zylindrische Glasperle einzufügen. Tätowierung ist nur bei Männern gebräuchlich und besteht immer in etwa zehn strahlenförmigen Schnitten, die über Stirn und Schläfe verlaufen und die Nasenwurzel zum Mittelpunkt haben; hieran erkennt man die Dinka sofort.
Nach ihrer Auffassung gebührt nur dem Weib eine Hülle, eines Mannes ist selbst die bescheidenste unwürdig. Umso sorgfältiger bekleidet erscheinen die Frauen; angetan mit zwei enthaarten Fellschürzen – das Gerben des Leders ist unbekannt –, die vorn und hinten von den Hüften bis an die Knöchel reichen und an den Rändern meist mit Reihen von Glasperlen oder zahllosen kleinen Eisenringen, Schellen und Glöckchen besetzt sind.
Eisen hat noch hohen Wert; Kupfer wird nicht entsprechend geschätzt. Die Frauen der Reichen sind oft mit Eisen überladen, etliche tragen nahezu einen halben Zentner davon an Ringen und Zierraten mit sich. Die Lieblingszierde der Männer sind Elfenbeinringe, die am Oberarm getragen werden, der Unterarm ist bei den Reichen mit einem förmlichen Panzer von Ringen eng umgürtet. Einen minder ritterlichen Schmuck bilden die aus Ledersträngen geflochtenen Stricke um den Hals, die aus Nilpferdhaut geschnittenen Armringe und vollends die Kuh- und Ziegenschwänze, mit denen sich jeder Dinkastutzer umhängt und mit denen er seine Waffen schmückt. Da der Dinka mit seinem meist spärlichen Haarwuchs nicht viel anzufangen weiß, verlegt er sich auf Mützen und Perücken. Sonderbare Kappen von der Gestalt tscherkessischer Kettenhelme werden ausschließlich aus großen weißen Zylinderperlen zusammengestickt. Aus Straußenfedern wird ab und zu eine Art Mütze gemacht, die einen ebenso leichten als sicheren Schutz gegen die Sonnenstrahlen gewährt. Als Zeichen der Trauer trägt der Dinka nach weitverbreiteter afrikanischer Sitte einen Strick um den Hals.
Die Hauptwaffe ist die Lanze; der Gebrauch von Bogen und Pfeilen ist ihnen fremd.
Mit den Kaffern gemeinsam haben sie die Vorliebe für Keulen, Stöcke und für Schilde von länglich-rundlicher Gestalt, die aus Büffelhaut geschnitten sind. Eigentümlich sind den Dinka die zum Abwehren von Keulen- und Stockhieben dienenden Schutzwaffen. „Kuerr“ ist ein Holz von einem Meter Länge, in der Mitte mit einer hohlen Verdickung, um den Handgriff zu schützen; „Dang“ ein Bogen, dessen derbe Sehnen die Wucht der Keulenhiebe brechen.