Aus Giessen und dessen Umgebung alten Tagen. Erik Schreiber

Aus Giessen und dessen Umgebung alten Tagen - Erik Schreiber


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Boden, worauf er wandelt; — und doch ist dieser ideale Boden auch wieder ein fester, für jene Herzen nämlich, die im Jugendalter auch wirklich jung sind; — leider sieht man so oft auch das Gegentheil! Und eben das Ideal wird des Jünglings erste Liebe. Wie eine Göttin, rein und im überirdischen Glänze zu ihm niederschwebend, tritt es aus Rosenwolken vor ihn hin, und alles, was die junge Brust bis jetzt so schmerzlich-wonnig durchtobte, der ganze Elementarkampf des Frühlings, den sie in sich nur fühlte, nicht begriff, — ordnet sich plötzlich zu bestimmten Bildern, scheidet sich in besondere Begriffe, und das junge Herz unterlegt, im rastlosen schöpferischen Drange, den Bildern jene Begriffe, es kleidet die Begriffe in jene Formen, es gibt ihnen jene Namen, wozu es den Antrieb entweder aus den Grundstoffen seiner eigenen Wesenheit oder aus der Richtung der ganzen Zeit empfangt oder aus dem ewig Schönsten aller Zeiten, aller Völker. Diesem erscheint die erste Liebe als Freiheit, Jenem als Poesie, dem Dritten als Wissenschaft, — wehe Dem, dem sie blos als Nährerin erscheint. Doch, wem sie die reine, hehre Göttin ist, o wie reich schmückt sie Der mit dem ganzen Lenz seiner Jugend! Gleich einem fahrenden Ritter schwingt er sich auf das bäumende Ross, den Traum, und durchjaget die Welt nach allen vier Winden, um die Lieblingsfarbe seiner Dame auf allen Zinnen aufzustecken. Sein ganzes Leben rollt er wie einen Teppich vor ihren Füssen auf. Und so feurig, so verzehrend wie seine Liebe ist auch sein Hass; ihr seht freilich gar so oft nur die dunklen Rauchwolken aufwirbeln und würdiget die Opferglut nicht, welche diese erzeugte. Wer einen Blick in diese Welt der Jugendzeit gethan, der begreift wohl jenes Lächeln des Freudelosen, jene Thräne des Greises, — Beides, Lächeln und Thräne, hervorgerufen durch die Erinnerung, Beides vermittelt durch eine andre Welt, die zwischen einer solchen ersten Liebe und einer langsamen, kalten, lebenslangen Selbstentäusserung oder jenem Zeitpunkte hegt, wo man seine Jugend durch die leise lindernde Sühnkraft des Alters wiedergewinnt. Wie manches Andre, Verwandte knüpft sich noch so oft an die Zeit der Universitätsjahre! Zunächst jene einfache und unschuldige liebe des Jünglings zur Jungfrau, jene Liebe, welche, entzündet oder gestanden in einem Augenblick der Begeisterung und Hingebung, sich wie ein fröhlicher Schiffbrüchiger nicht blos an den Mastbaum, nein an jeden Strohhalm der Hoffnung anklammert und aus jedem Thautropfen Nahrung saugt, — jene Liebe, die oft Jahre lang wie scheintodt im Sarge liegt und sich dann plötzlich beim ersten Sonnenstrahl wieder so mächtig aufrichtet, die mit so beschränkten Erfüllungen, dennoch so ehrenwerth bescheiden, so jugendlich frisch an den Treu- und Traualtar tritt, wie sie ernst — „ihr‘ Sach' auf Nichts gestellt“ — keck hinaussegeln wollte in die offne See. Lächelt nicht über solche Erfüllungen alter Studentenliebe! Es ist etwas Rührendes in dieser Zärtlichkeit des alten Jünglings und der gealterten Jungfrau, in diesem Verhältniss, dem die Zeit den Schmelz der sinnlichen Schönheit nur abgestreift hat, um der Seelenschönheit Platz zu machen, damit diese ihr Siegel auf die reine Treue drücken kann. Und Dicht dies allein! Lasst uns auch nach andern Seiten des Universitätslebens hinblicken, nach jenen schroffen eckigen Gestalten, die in den Gleisen des bürgerlichen Lebens ganz ungewöhnlich sind, und die unter der wunderlichen Schale des bemoosten Hauptes so viel Kern, so viel Biederkeit, bei oft so viel stiller langer Noth, verbergen, — ferner nach jenen edlen und reinen Männerfreundschaften, die sich, auch als eine erste Liebe, gleichfalls bei grauem Haare jung erhalten, — eine so ungefährliche geheime Verbindung — der Herzen nämlich—als Liebe ist, eine Art von Freimauerei, welche in der Folge zuweilen sogar die schroffen Standesunterschiede ausgleicht und den Staatsrath mit dem ärmlichen Magister gleichstellt.

      Dies alles passt vorzugsweise auf die Hochschule in der Provinzialstadt, wo sie die hervorragende Hauptsache, wo sie gleichsam Mittelpunkt und Achse des Lebens ist, wo, wenn auch nicht ihre Selbstständigkeit, doch gewiss ihre Eigentümlichkeit scharfer und bestimmter hervortreten kann, als in der Ebbe und Fluth der verschiedenartigsten Interessen, welche das Leben in der Residenz bewegen. In der Provinzialstadt erhalt sich im Allgemeinen die feste Gliederung des akademischen Lebens; dieses durchdringt meistens das bürgerlich- gesellige und überträgt auf dasselbe seine besondre Färbung. Auch der reine und erhebende Genuss der Naturschönheit ist dem akademischen Bürger in der Provinzialstadt mehr erleichtert, als in der Residenz; denn meistens beherrscht jene eine reizende Umgebung, welche mit ihr ein harmonisches Ganze bildet. Dann hallet jeder kühle Wald, jede Felsenwand und jede Ruine vom Rundgesang der akademischen Jünglinge, und Gottes Natur ist der grosse Salon, wo es keines Thees und keines Opernenthusiasmus bedarf, um die Herzen zu erwärmen und das bürgerliche Leben mit dem akademischen zu verschmelzen.

      Und eine solche günstige Lage zeichnet nun Giessen aus. Am linken Ufer der Lahn, in welche die Wieseck rinnt, liegt die Stadt in einer schönen fruchtbaren Ebene, von Wäldern und sanken Anhöhen in der Nähe umgeben, von Gebirgszügen in der Ferne umschlossen. Nähe und Ferne aber geh'n ganz unmerklich ineinander über, und zu dem Interesse an den Reizen der Natur, — einem Interesse, welches durch die mannichfaltige Abwechselung von Höhen und Thälern, von Wald und Strom, durch die effectvollsten Gruppirungen der Hintergründe stets frisch und neu bleibt, — gesellt sich noch das historische Interesse für das Alter und die gewesene Bedeutsamkeit der umliegenden Schlösser, Kirchen und Ortschaften. Schon der Gesammtüberblick der Stadt vom Buschischen Garten aus lasst die Schönheit der Umgebungen ahnen. In ihrer vollen Pracht und Grossartigkeit aber soll ich diese vor mir entfaltet sehen, wenn ich den Seltzerberg besteige, und auf dessen Hochrücken meine Blicke die Runde machen lasse. So räth mir ein trefflicher Freund, und rasch befolge ich seinen Rath und nehme seinen Arm; wir steigen hinan. Unser Standpunkt ist einige Schritte vom Kreuzweg. Da liegt die Stadt mit ihren beiden Kirchtürmen tiefab zu unseren Füssen, nur das Universitätsgebäude raget mit seiner hellen Facade hoch und breit hervor. Gerade über demselben erheben sich unsere Blicke zu dem Wettenberg, den das Volk die „sieben Köppel“ nennt; und es sind auch eigentlich sieben Hügel, welche sich schichtenartig übereinandergipfeln. Von den beiden höchsten Spitzen senkt sich rechts die Linie des Bergrückens hernieder. Wir verfolgen nun das Rundgemälde in der Richtung nach rechts. Am Fuss des Bergrückens, am rechten Ufer der Lahn, die im Silberglanze schimmert, liegt das Dorf Launsbach; die Thurmspitze der katholischen Kirche weist wie ein Zeiger gerade darauf hin. In der nächsten Schlucht liegt das uralte Pfarrdorf Wissmar. Nun schliesst sich an die Absenkung jenes Bergrückens ein aufsteigender anderer; von dessen beiden kahlen Gipfeln ist der erste breitere der Altenberg, der kleinere rechts nebenan der Lützelberg. Wo sich dieser Bergrücken in den Waldgrund niedersenkt, da öffnet sich ein reizendes Thal, zur andern Seite von einem bewaldeten Bergrücken geschlossen; aus diesem Thale eilt die Lahn von Marburg her, an Bellenhausen, Friedelshausen, Kirchberg und der Badenburg vorbei nach Launsbach und Giessen zu; den Hintergrund dieses Thales schliessen die blauen Berge, an welchen ich durch ein gutes Fernrohr das Marburger Schloss erkennen kann. Gerade über dem Buschischen Garten sehe ich die Dörfer Wieseck und Altenbuseck. Nun bilden Waldparthieen den Vordergrund, auf dem sich mein Auge erholet, bevor es die Bergzüge wieder verfolgt. An dem dichtbewaldeten, hohen Berge gewahr ich hierauf Grossenbuseck und Rödchen; dann steigt der Giesser Wald mählig bis zu der Höhe hinan, auf welcher die wohlerhaltenen Gebäude der weiland Deutsch - Ordens - Kommende Schiffenberg thronen. Den Raum im Hintergrunde, wo er sich zwischen den Senkungen dieser Höhe und jenes Waldberges öffnet, füllen die blauen Spitzen des Vogelsberges in beinahe horizontaler Richtung. Ich habe mich indessen unvermerkt gewendet und sehe jetzt in der äussersten Ferne einen Höhenzug beginnen, dessen kahlen Saum der römische Pfahlgraben markirt, der sich nach Pohlgöns fortzieht. Auf dem höchsten Punkte steht das Pfarrdorf Grüningen, nicht weit davon stand einst das im 30jährigen Krieg erloschene Dorf Obersteinberg. Wo dieser Höhenzug sich zu senken scheint, steigt ein anderer aus dem Walde der Lindner Mark empor, und hinter dem Einschnitte, welchen Beide bilden, zeigt sich in der Ferne die Höhe bei Friedberg. Der Mittelgrund ist jetzt fortwährend Wald; im Hintergrund aber erhebt sich jetzt der Hausberg bei Butzbach, und scheint sich in dem langen und hohen Rücken des Hüttenberges, hinter welchem bei günstiger Beleuchtung die Spitze des Feldberges zu erkennen ist, fortzusetzen. Der nächste Gipfel dieses Zuges ist der Stoppelberg, an dessen Fuss in der Schlucht Münchholzhausen liegt. Ich sehe Lützellinden und Kleinlinden und in einiger Höhe das freundliche Dutenhofen. Nun gleitet der Gebirgsrücken allmälig in die Ebene hinab, welche er mit einem schmalen Vorsprung schliesst. Hier verlässt die Lahn das schöne breite Thal, in welches ich sie bei Launsbach eintreten sah, und wendet sich hinter jenem Vorsprung, um gen Wetzlar zu eilen. Längs der Oeffnung des Thales gruppiren sich jetzt die Gebirge des fernsten Hintergrundes


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