Anna Q und die Suche nach Saphira. Norbert Wibben
ihr dann nicht auf diese Art die Spur von Saphira verfolgen?«
»Das haben Ainoa und ich versucht«, beginnt jetzt wieder Katherin. »Dafür geht jedoch so viel Zeit verloren, dass die Fährte sozusagen schneller erkaltet, als dass wir ihr zu folgen vermögen. Einmal haben wir alles auf eine Karte gesetzt, wie man bei euch zu sagen pflegt. Wir kamen dadurch bis etwa zur Mitte des Landes, als uns plötzlich drei gewaltige Eisdrachen erwarteten. Zu unserem Schutz setzten wir Magie ein und schleuderten Betäubungsflüche auf die Eismonster. Eines davon konnten wir auf die Art außer Gefecht setzen, doch dann wurde es Zeit zu verschwinden. Am Horizont bildete sich bereits ein dunkelrotes Licht, aus dem grelle Blitze züngelten. Das zeigte uns unmissverständlich: der Cythraul war auf dem Weg zu uns. Wir mussten also schleunigst von dort verschwinden und nutzen Magie, um den Ort zu wechseln. Das wird magischer Sprung genannt, lässt sich aber auch leicht verfolgen. Deshalb war es gut, dass uns Dragon-tan begleitete. Er ließ uns aufsteigen und flog uns in Sicherheit. Seitdem haben wir es wieder mit den vorherigen Schutzmaßnahmen versucht, doch vor fünf Wochen verlor sich endgültig Saphiras Spur!«
Jetzt herrscht längere Zeit Stille. Was soll Anna nur antworten. Schließlich reißt sie sich zusammen.
»Ainoa sagte, ich könne den Auftrag auch absagen.« Sie bemerkt sofort die Enttäuschung, die sich im Gesicht der Elfenkönigin breitmacht. »Das will ich aber nicht, keine Sorge. Ich muss vielmehr wissen, was in der Zwischenzeit im Internat geschieht. Werde ich dort vermisst und mein Vater bekommt darüber eine Nachricht? Das würde ihn genauso in Angst versetzen wie dich.« Sie nickt Katherin zu. »Ich habe vorhin mitbekommen, dass ihr davon spracht, mein Tod würde dem Gewitter zugeschrieben, wenn der Körper gefunden wird. Ich bin jetzt schon sehr lange hier. Ist das nur mein Geist?«
»Entschuldige, das haben wir noch nicht erklärt. Wenn du hier bist, bist du das komplett. Deshalb könntest du hier auch zu Schaden kommen oder getötet werden. In dem Fall würde dein Körper sofort zurück zu dem Zeitpunkt in deine Welt gebracht werden, als du hierherkamst. Deine Abwesenheit wird nicht bemerkt, da die Zeit dort sozusagen stillsteht.«
»Das bedeutet dann, dass ich hier zeitlos lebe, also ohne älter zu werden?«
»Richtig. Selbst wenn du ein Jahr in der Anderswelt bleiben würdest, um die Aufgabe zu erledigen, alterst du nicht und kämst anschließend um Mitternacht bei Gewitter unter dem Haselbusch wieder in deine Welt zurück.«
»Falls ich nicht von einem der bösartigen Kreaturen getötet werden würde.«
»Richtig. Die Möglichkeit besteht leider auch!«
Jetzt herrscht erneut Stille. Anna schaut sich in dem heimeligen Raum um. Durch das kleine Fenster fällt mittlerweile helles Sonnenlicht herein und Vogelgezwitscher kündigt den beginnenden Morgen an. Aus einem Nachbarzimmer weht der Duft von gebratenem Speck und heißem Kakao herüber. Offenbar wird dort das Frühstück vorbereitet. Ein vernehmliches Knurren ihres Bauchs bekundet Hunger. Anna seufzt. Sie möchte den Elfen gern helfen, aber vermag sie das auch? Schließlich ist sie zwar kein Baby, aber immerhin ein recht kleines Mädchen.
»Warum soll ich euch helfen können?«, platzt es plötzlich aus ihr heraus. »Meine körperlichen Fähigkeiten sind nicht überragend. Gibt es sonst keinen Menschen, der besser dazu geeignet ist?« Sie denkt kurz daran, wie sie oft im Sportunterricht von anderen überflügelt wird. Lediglich in Schach ist sie in ihrer Altersklasse unschlagbar, aber das wird ihr hier vermutlich kaum helfen.
»Ich dachte, das hätten wir bereits erläutert.« Katherin blickt erst sie, und dann Ainoa erstaunt an, die ihren Kopf schüttelt.
»Nein, das haben wir tatsächlich nicht«, bestätigt diese. »Das hängt damit zusammen, dass du ein mitfühlendes Wesen besitzt. Schließlich wolltest du mich befreien. Andere hätten mich einfach in der Falle stecken lassen. Außerdem ist Mut erforderlich. Dass du den besitzt, hast du dadurch bewiesen, trotz des gefährlich nahen Gewitters einen Vogel in der Nacht und alleine retten zu wollen. Auf den ersten Blick mag es dir sinnvoller erscheinen, einen Erwachsenen auszuwählen, doch das ist es nicht. Sobald Menschen keine Kinder oder Jugendlichen mehr sind, verlieren sie einen Großteil ihrer Fantasie. Sie werden Realisten und wägen Risiken anders gegen Möglichkeiten ab. Du besitzt eine unerschrockene Seele und auch genügend Einbildungskraft, um trotz der möglichen Gefahren, an den Sieg einer gerechten Sache zu glauben. Ein Erwachsener käme zu einem anderen Ergebnis. – Außerdem gibt es nicht viele von ihnen, denen wir uns offenbaren würden.«
»Gibt es im Internat also keinen Erwachsenen …? Oder doch? Hm, ich habe von einem Professor gehört, dass wir seinen Geheimnamen nicht nutzen sollten. Genauer gesagt war es ein Freund, der ihn aussprach. Kennt ihr M hoch Zwei?«
Die Elfen schauen sich an, doch nur die ältere nickt.
»Sie ist eine langjährige Freundin, die mir vor vielen Jahren in einer ähnlichen Situation half. Nun ja, damals ging es natürlich nicht um die Entführung Saphiras, sondern um Hilfe im Kampf gegen einen Feuerdrachen. M hoch Zwei war damals etwa drei Jahre älter als du.« Versonnen weilt Katherin in der Vergangenheit, während Ainoa sie ebenso erstaunt ansieht, wie Anna.
»Das muss ja Ewigkeiten her sein«, denkt das Mädchen.
»Das kannst du laut sagen!«, antwortet die junge Elfe. Sofort blicken sich beide ungläubig an. Die besondere Verbindung zwischen ihnen äußert sich als Folge der Energieübertragung also derart, dass sie sich über Gedanken verständigen können. Ein feines Kribbeln läuft Anna über den Nacken.
»Heißt das, du kannst jetzt alles hören, was ich denke?«
»Nein, nur wenn du das zulässt. Du kannst es auch gezielt blockieren. Ich übrigens auch.«
»Das ist gut. Ich weiß nicht, ob du in alle meine geheimen Gedanken eindringen sollst.«
»Tu ich nicht, versprochen!«
»Danke. Ich halte mich auch zurück!« Beide grinsen sich an, ohne dass Katherin den Grund versteht.
»Habe ich etwas verpasst?« Doch eine Antwort bleibt aus. Die Elfe und das Mädchen wollen ihr kleines Geheimnis vorläufig für sich behalten. Sie blicken scheinbar verständnislos zurück.
»Ich möchte …«, beginnt Anna. Sie hüstelt einmal und fragt dann gedanklich Ainoa. »Wie ist das eigentlich, wenn ich in meine Welt zurückkehre und dann wieder in die Anderswelt möchte. Kann ich dich dazu herbeirufen?«
»Über Gedankenverbindung ist das jederzeit möglich!«, sendet die junge Elfe. »Egal von wo du mich rufst, ich werde dich hören.« Das Mädchen nickt und spricht jetzt ihre Gedanken aus.
»Ich möchte gern zurück in meine Welt, verspreche aber, zu euch zurückzukommen. Ich werde alles versuchen, um Saphira zu retten. Vorher will ich mich aber in alten Büchern unserer Bibliothek informieren, wie ich mich bei euch gegen einen Angriff eines Eisdrachen oder anderer Kreaturen des Bösen schützen kann. Ich werde mich auch mit M hoch Zwei unterhalten. Ist es möglich, dass Ainoa mich jeweils gegen Mitternacht der folgenden Tage fragt, ob ich bereit bin?« Beide Elfen bestätigen das. Anna hofft, dass während ihrer Abwesenheit von der Anderswelt dort nicht zu viel Zeit verstreicht, doch darin versucht Ainoa sie gedanklich zu beruhigen.
»Ein Tag in deiner Welt führt zu keiner zeitlichen Beeinflussung bei uns. Die Zeit vergeht parallel, also genauso schnell oder langsam.« Obwohl Katherin zustimmt, dass sich Anna bestmöglich auf ihre Aufgabe vorbereitet, möchte sie ihre Tochter so schnell wie möglich aus der Gewalt der Entführer befreit wissen. Das Mädchen verspricht, sich zu beeilen und erkundigt sich danach, ob die Reise von einer Welt in die andere erneut zu körperlichen Schwierigkeiten führen wird. Auch da wird sie beruhigt. Nur der erste Übertritt ist manchmal gefährlich.
»Danach ist es wie das Überqueren eines Flusses durch Schwimmen«, sendet Ainoa.
M hoch Zwei
Plötzlich hockt Anna vor der Durchlauffalle unter dem Haselbusch und