Die Berlinerin. Ilka-Maria Hohe-Dorst
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Ilka-Maria Hohe-Dorst
Die Berlinerin
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Inhaltsverzeichnis
Das Kleid
Eriks Magen rumorte. Was in gedämpften Intervallen begonnen hatte, war mittlerweile einem lauten Knurren gewichen, das sich nicht mehr ignorieren ließ. Also überlegte er, wo er sich zum Mittagessen niederlassen konnte, um nicht bald vor Entkräftung mitten in der Hanauer Innenstadt weiche Knie zu bekommen.
Wie jeden Morgen hatte sein Frühstück lediglich aus schwarzem, ungesüßtem Kaffee bestanden, was ihm Nadjas missbilligenden Blick eingetragen hatte. Sie hielt es für unvernünftig, sich den leeren Magen mit Kaffee vollzupumpen, aber Erik war ein Morgenmuffel, der erst in Schwung kommen musste, ehe er etwas Festes kauen und schlucken konnte.
Nachdem Nadja zur Arbeit aufgebrochen war, hatte Erik wie gewohnt den Frühstückstisch abgeräumt, die Tassen und Teller zusammen mit dem Geschirr vom Vortag gespült, abgetrocknet und in die Hängeschränke einsortiert. Dann hatte er ihre „To‑do“‑Liste in die Brusttasche seines Hemdes gesteckt und sich auf den Weg in die Innenstadt gemacht. Er war fast zwei Stunden unterwegs gewesen, um ihre Aufträge zu erledigen, ehe er die Reinigung ansteuerte, um ihr Kleid abzuholen. Die Bedienung hinter der Ladentheke hatte eine Ewigkeit danach gesucht, und Erik war unwohl geworden bei dem Gedanken, es könne sich unter der Einwirkung von Chemikalien restlos aufgelöst haben, was unweigerlich Nadjas Zorn und tagelange schlechte Laune nach sich gezogen hätte. Als man es ihm, in eine transparente Schutzfolie gehüllt, endlich überreichen konnte, war ihm ein Stein vom Herzen gerollt.
Mit dem Kleid über der linken Schulter, so dass der Haken des Drahtbügels, der aus der Folie ragte, bei jedem Schritt gegen seine Rippen wippte, erreichte er das Steakhaus im Hotel „Römerhof“. Er fand auf Anhieb einen freien Tisch und warf, während er sich setzte, seine unbequeme Bürde über die Rückenlehne des Nachbarstuhls.
„Ich kann Ihnen das argentinische Rib Eye Steak mit Folienkartoffel und Sour Cream empfehlen.“ Die Bedienung, eine hübsche junge Frau mit einem Pferdeschwanz, die schlanke Figur in hautenge Jeans und eine weiße Bluse gekleidet, lächelte Erik aufmunternd zu. In den Händen hielt sie Block und Kugelschreiber bereit, um die Bestellung aufzunehmen. „Oder möchten Sie die Speisekarte sehen?“
Er winkte ab. „Nein danke. Mir genügt etwas Einfaches, möglichst Leichtes.“
„Dann vielleicht gebratene Garnelen mit Schalotten und Cherry-Tomaten?“
„Klingt gut. Dazu bitte ein Glas Weißwein, trocken.“
„Kalifornischen oder lieber einen Württemberger?“
„Der Württemberger wäre perfekt.“
Sie strahlte ihn an. „Kommt in fünfzehn Minuten. Der Wein natürlich sofort.“
Erik sah ihr mit Wohlwollen nach, wie sie in die Küche tänzelte. Er mochte Menschen, die von ihrem Job erfüllt waren und ihren Kunden das Gefühl gaben, soeben den Ritterschlag empfangen zu haben.
In Erwartung seines schlichten Mahls lehnte er sich auf seinem Sitz zurück und bedankte sich bei einem älteren Kellner, der ihm den Weißwein servierte. Wenigstens ließ ihm Nadja genügend Freiraum, dass er sich ein- bis zweimal in der Woche diesen bescheidenen Luxus leisten konnte. Andere Frauen wären bei ihrem schmalen Budget bestimmt kleinlicher und ließen ihn aus Dosen und Büchsen vom Discounter essen, als sei er ein Hauskater. Schließlich entging ihm nicht, wie es bei anderen Paaren in seinem Freundeskreis zuging. Nadja hingegen verzichtete sogar darauf, dass er über jeden Cent der Ausgaben, die bei den täglichen Erledigungen anfielen, am Wochenende Rechenschaft ablegte.
Erik hatte es lange Zeit für ein großes Glück gehalten, Nadja gefunden zu haben. Oder genauer gesagt: Sie hatte ihn gefunden. Bis dahin hatte er sie im Vorlesungssaal der Goethe-Universität nur flüchtig wahrgenommen, geschweige denn jemals ein Wort mit ihr gewechselt, und es wäre ihm nie in den Sinn gekommen, sie könne auf ihn, der sich für zurückhaltend und unauffällig hielt, aufmerksam geworden sein. Doch als er den ersten Tiefpunkt seines noch jungen Lebens erfahren und sich von Gott und der Welt verlassen geglaubt hatte, war sie auf ihn zugekommen. „Ich bin Nadja Seeler und möchte dich auf ein Eis einladen“, hatte sie mit kokettem Lächeln, aber tiefem Ernst in den Augen zu ihm gesagt. „Du wirkst ein bisschen verloren, und ich denke, jemand sollte sich um dich kümmern.“
Ihre ungespielte Offenheit hatte ihn verblüfft, so dass er auf ihr Angebot eingegangen und ihr ins Eiscafé Michielin gefolgt war, das nur eine U-Bahn-Station vom Campus entfernt lag . Nachdem die Bedienung ihre Bestellung serviert hatte, war Nadja ungeniert auf den Punkt gekommen: „Ich beobachte seit Wochen, wie du lustlos im Hörsaal herumlümmelst. Durchhänger sind schon mal drin, aber bei dir scheint es ein Dauerzustand geworden zu sein. Läuft’s etwa mit dem Studium nicht?“
„War