Abschied einer Mörderin. Nick Stein
als der Jungbulle hatte, ein BKA-Agent.
Heim hatte ursprünglich meinem Opfer Gero von Witzleben nachgestellt, bis er und Jansen herausgefunden hatten, dass dessen letzte Spur zu mir geführt hatte. In Italien hatten sie einen Bildband gefunden, in dem praktisch alle meine Morde aufgelistet waren, ein Produkt meiner eigenen Eitelkeit, die ich noch heute verfluchte.
Ich hatte den Bildband für meinen Schönling von der Mafia angefertigt, der mein wichtigster Kunde war und den Verkauf meines Werks an einen New Yorker Capo organisiert hatte. Der Klub der toten Dichter; acht keramische 3D-Künstler um einen Tisch mit Büchern, in jeder Skulptur die Asche der echten Person, vermischt mit Ton und Titandioxid. Nur er, Giovanni de Luca, hatte die Wahrheit darüber wissen sollen.
Mit dem Ergebnis, dass mich auch die Mafia tot sehen wollte, als die beiden mir diesen Bildband gestohlen hatten und alles aufgeflogen war. Meine Eitelkeit hatte meinen Morden die Perfektion genommen. Das verfolgte mich bis heute.
Ich durfte annehmen, dass Jansen auch diesmal Heim wieder einschalten würde. Der war der Hartnäckigere von beiden und würde sich wie ein Terrier an mir festbeißen; Jansen war jemand, der das Glück des Naiven hatte, ihm fehlte der Scharfsinn Heims. Beide zusammen waren gefährlich.
Auch allein war jeder von ihnen eine Bedrohung. Dafür hatte ich mir kein neues Leben aufgebaut, um am Ende mein Ansehen und mein immenses Vermögen wieder zu verlieren und eines Tages am Pranger zu stehen.
Ich hatte der Welt mit der Beseitigung von Ronald Dumb einen großen Dienst erwiesen; das sollte karmamäßig den Tod einiger kleinerer Lichter mehr als aufwiegen. Und auch der vorzeitige Tod zweier unwichtiger Polizisten würde die Waagschale von Gut und Böse nicht zu meinen Ungunsten neigen.
Ich goss mir einen Schluck Blair Athol ein, den ich heute erstanden hatte, und seufzte. Also noch zwei weitere klitzekleine Morde, nicht nur einer.
Der Whisky sandte einen wohligen Schauer erst durch meine Kehle und dann durch den ganzen Körper, sein Rauchgeschmack erfüllte mich mit Lust.
Das war eine neue Art Beute; Polizisten hatte ich noch nicht gehabt. Sie ohne Aufsehen zu beseitigen, würde einige Mühe erfordern. Eine Herausforderung, die reizte.
Ich nahm noch einen Schluck.
Whisky. Ich stellte mir vor, dass Jansen Heim eine Flasche als Andenken aus Schottland versprochen hatte. Er durfte seit dem Brexit nur noch eine Flasche mitnehmen, die würde er selbst haben wollen, wie ich ihn einschätzte.
Also würde ich Heim eine Flasche schicken. Heim war alt; die Essenz aus der Wurzel des Blauen Eisenhutes, farb- und geruchlos und Stunden später so gut wie gar nicht nachzuweisen, würde im starken Torfgeschmack nicht zu bemerken sein. Richtig bemessen, würde sie erst nach dem Genuss mindestens einer halben Flasche zum Tode führen. So würde es nicht auffallen. Zu stark, und er würde nach dem ersten Schluck umfallen. Zu schwach, dann passierte gar nichts.
Bei einem alten Mann würde es wie ein natürlicher Herztod aussehen. Er würde ihn abends vor dem Schlafengehen trinken und morgens nicht wieder aufwachen; am Abend würde er noch nichts spüren, so schnell wirkte das Gift nicht.
Ältere, korpulente Männer neigten zum Schnarchen. Also würde er allein schlafen, wenn er überhaupt verheiratet war und mit seiner Frau zusammenlebte. Mit etwas Glück würde sein Tod erst viele Stunden später bemerkt werden.
Kein perfekter Mord, denn vieles konnte schiefgehen. Jemand anderes konnte mit ihm trinken oder die Reste in der Flasche zu sich nehmen. Zwei ähnliche Tode würden auffallen.
Andererseits durfte ich nicht so lange warten, bis die beiden sich organisiert hatten und systematisch nach mir suchten. Darüber hatte ich keine Kontrolle. Ich musste sofort handeln.
Niemand fuhr zu meinem Haus; es war tatsächlich Zufall gewesen, dass Jansen mich getroffen hatte. Ich stand früh auf, kaufte mir eine Burka, die ich sofort überzog, fuhr los und setzte mich in ein Café auf dem Edinburgher Flughafen.
Jansen blieb berechenbar. Er kam pünktlich zu seinem Flug, mit einer Duty-Free-Tasche in der Hand, aus der eine Whisky-Flasche schaute. Sein Flug ging planmäßig ab.
Ich selbst hatte eine Flasche Macallan Estate für dreihundert Pfund gekauft, als Absender Lukas Jansen darauf draufgeschrieben und schickte sie nun vom Flughafen per DHL an Werner Heim, dessen private Adresse ich noch am vorigen Abend herausgesucht hatte.
Die Flasche hatte ich vorher auf der Toilette durch den Korken hindurch mit einer feinen Spritze mit dem Extrakt des Blauen Eisenhutes geimpft. Der Eigendruck des Korkens verschloss den Kanal sofort wieder, und das winzige Loch auf der metallenen Schrumpfhülle fiel nicht auf. Ich packte alles wieder ein, zog meine Handschuhe wieder aus und erledigte den Versand.
Wenn Jansen von seinem Urlaub zurückkam, würde Heim womöglich schon nicht mehr da sein. In der Zwischenzeit würde ich auch für ihn selbst einen Plan geschmiedet haben. Ein Beamter wie er hatte mit Sicherheit für zwei Wochen gebucht. Ich hatte nachgesehen; in Niedersachsen, wo er wohnte, liefen die Schulferien noch sechzehn Tage, dann mussten seine beiden Kinder in die zweite Klasse. Wie berechenbar! Der Junge war so gut wie tot.
Kapitel 4
Er konnte nicht viel mehr tun als warten; diesen Fang durfte er sich nicht entgehen lassen, auch wenn er in Schottland keinerlei Befugnisse als Polizist hatte. Sollte er die lokalen Kräfte herbestellen? Aber er hatte keinerlei Beweise, die er vorlegen konnte. Oder doch? Die schottischen Kollegen konnten doch zumindest die Identität und Adresse dieser Frau feststellen und sie überprüfen; ob sie ihm die Informationen weitergeben würden, war die nächste Frage. Mit seinem Interpol-Ausweis müsste das gehen.
Er suchte die Nummer raus und rief an, um in einer Warteschleife zu landen, bis ihn eine Frau mit starkem Akzent zu einer weiteren Warteschleife weiterleitete. Dort lief eine billige, scheppernde Version von Yesterday von den Beatles; nach zehn Minuten legte Jansen auf, er konnte es nicht mehr hören.
Er hatte genügend Zeit zu warten, die er mit einem Besuch im Steinhaus verbrachte, wo er sich eine Flasche kaufte, die die Ersparnis aus der billigeren Flugverbindung gleich wieder aufbrauchte.
Er setzte sich in den Landrover, beobachtete den Ausgang von der anderen Straßenseite aus, im Rückspiegel, und wartete.
Es dauerte eine weitere Stunde, bis die gesuchte Frau wieder mit den anderen Besuchern herauskam und sich verabschiedete. Jansen hatte die Zeit genutzt, um sich zu verkleiden; was die Kroll konnte, beherrschte er schon lange. Eine im Geschäft erstandene dicke Wollmütze mit dem Abbild des Schlosses Blair Athol darauf, eine 3D-Brille vom letzten Kinobesuch, die noch in seinem Rucksack gesteckt hatte, und nach vorn in die Stirn gekämmte Haare gaben ihm das Aussehen eines schottischen Landdeppen, der nicht bis fünf zählen konnte.
Die vermeintliche Kroll stieg in einen Tesla Model X, der auf dem gleichen Parkplatz stand wie vorher sein Landrover.
Sie stieg ein und fuhr sofort los. Jansen wartete einen Moment, bevor er ebenfalls startete und ihr folgte, in der Hoffnung, dass sie ihn nicht wahrnahm.
Der Tesla blieb auf der A9 Richtung Westen. Wo wollte sie hin? Er musste das rauskriegen, bevor er zurück nach London und von dort aus auf die Kapverden weiterflog. Diese Mörderin hatte niemand mehr auf dem Schirm, er war der einzige, der jetzt den alten Fall wiederaufnehmen konnte. Es war seine heilige Pflicht, sie zu stellen und der Justiz zuzuführen, wie auch immer.
Jansen hielt sich zurück, um nicht zu nahe aufzuschließen. Er blieb so weit entfernt, dass er ihren Wagen nur ab und zu kurz sehen konnte. Es war nicht ungewöhnlich, auf einer so wichtigen Straße längere Strecken zu fahren, mal sechzig, mal siebzig Meilen, die meisten Autos blieben in lockerer Sichtweite voneinander. Jansen glaubte nicht, dass die Kroll ihn bemerkt hatte.
Bei einem Ort namens Dalwhinnie verließ sie die A9. Wollte sie zu der gleichnamigen Destille? Nein. Sie hielt bei einer Ladestation vor einer Tankstelle.
Glücklicherweise lag diese Ladestation etwas bergab. Jansen hatte seine neue Kamera dabei, die eine elektronische Brennweite von 6000 mm hatte, nebst vierfachen Bildstabilisatoren. Damit konnte man auch aus großer