Abschied einer Mörderin. Nick Stein

Abschied einer Mörderin - Nick Stein


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      Ich erschuf eine Polizeianwärterin namens Louisa Fischer, die in Eutin ausgebildet wurde, wo auch Jansen gelernt hatte, und verlinkte mich mit ihm, ohne selbst etwas zu posten. Er nahm den Kontakt sofort an und schickte einen Smiley, den ich unbeantwortet ließ. Jetzt hatte ich Zugang zu seinen sozialen Netzwerken und konnte sehen, was ihn interessierte. Auch eine Meldung über Heim, sollte sie kommen.

      Als Erstes musste ich mich in seinen Kopf versetzen, sehen, wie er tickte, was er unternehmen würde, um mich zu fangen.

      Ich las alle seine Posts und war kein bisschen schlauer, denn über seine Arbeit gab er nichts preis. Ich musste improvisieren.

      Was würde ich selbst an seiner Stelle tun? Systematisch vorgehen. Wenn er davon ausging, dass Viola Kroll, also ich, noch lebte, war der Verkehrsunfall fake gewesen. Dem würde er nachgehen und eine neue Untersuchung anfordern. Ich bezweifelte, dass das noch viel bringen würde. Das Wrack des Sportwagens war nach so vielen Jahren längst eingeschmolzen, die verbrannte Leiche längst endgültig verbrannt und beigesetzt worden. Wo war ich eigentlich bestattet worden? Das hatte mich nie bekümmert. Hatte es Nachrufe gegeben, Todesanzeigen? Auch das wusste ich nicht.

      Die Spuren, die vielleicht noch gefunden worden waren, Dinge, die aus dem Auto herausgeschleudert worden waren, lagen sicher noch in einer italienischen Asservatenkammer. Wobei die eher schludrigen Italiener die inzwischen sicher auch verbaselt hatten. Ich hatte genug Genmaterial von mir im und am Auto verstreut; die Fahrerin hatte eine Echthaarperücke von mir getragen, meine Fingerabdrücke und mein Blut waren außen an Griffen und Spiegeln. Innen war mit Sicherheit alles verbrannt.

      Darum musste ich mir keine großen Sorgen machen, es waren seitdem einige Jahre vergangen.

      Hatte er den Namen auf meinem Schild gelesen? Vanessa Hemsford? Da konnte er lange suchen, den hatte ich vor der Besichtigung frei erfunden. Ich hieß, seit ich in England lebte, Victoria Saunders. Und meine Käufe von Häusern und anderen Wertsachen hatte ich über eine Firma gemanagt, die in Luxemburg ansässig war und bei der es nichts gab, das zu mir führte.

      Jansen würde nicht aufgeben und weitersuchen. Das Nächste, das mir einfiel, waren Phantombilder. Er kannte mein früheres Aussehen, hatte mich verändert in New York gesehen und jetzt bei der Führung. Ich traute ihm zu, dass er alle drei Versionen von mir einigermaßen beschreiben und zeichnen lassen konnte. Die Polizei hatte Programme, die daraus andere Aussehen generieren konnte, die zu meinem zugrundeliegenden Typus passten. Also ich mit Brille, anderer Frisur, anders geschminkt. Mit solchen Suchbildern musste ich rechnen, wenn er seine Arbeit ordentlich machte.

      Es gab überall Kameras, denen ich unmöglich entgehen konnte. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die inzwischen mit potenter künstlicher Intelligenz ausgestatteten Programme mich ausgesiebt hatten, unabhängig von Haarfarbe und anderen Details. Die biometrische Vermessung blieb dieselbe, das Verhältnis von Augen, Mundwinkeln, Backenknochen und Kinn zueinander, neben anderen Details. Und diese Daten hatten leider in meinem letzten echten Personalausweis von Viola Kroll gestanden und waren verfügbar.

      Das alles ließ sich selbst chirurgisch nur schwer ändern.

      Jansen war in Gang gekommen, nachdem ich eine Frage gestellt hatte. Hatte er mich an der Stimme erkannt? Seine hatte ich zwei Sekunden nach seiner Frage dem Namen Lukas Jansen zugeordnet, so lange hatte meine Erinnerung dafür gebraucht. Leider erst, nachdem ich bereits auf seine Ansprache reagiert hatte. Zu blöd.

      Meine Stimme musste ich loswerden.

      Wenn ich ihn fangen und unschädlich machen wollte, musste ich zuerst dafür sorgen, dass er mich nicht zuerst finden und verhaften konnte. Verteidigung ist der beste Angriff und Angriff die beste Verteidigung. Also musste ich mich selbst absichern und dann zur Tat schreiten. Oder war ich vor ihm sicher, wenn ich mein Aussehen stark verändern ließ?

      Ich traute dem nicht. Ich wollte nicht mein Leben lang in Unsicherheit verbringen, verfolgt und am Ende doch noch erwischt werden. Mord verjährt schließlich nicht.

      Ich wollte lesend und kunstschaffend zwischen Weinbergen oder Whiskyfässern sitzen und mir ein neues Leben erschaffen und es genießen, ohne in Angst leben zu müssen.

      Also noch einmal in die Tretmühle – gut verstecken und die Bedrohung beseitigen.

      Jansen musste sterben.

      Ich nutzte die Zeit, um mir den neuesten Stand der Technik anzusehen. Ich hatte vor Jahren mitbekommen, wo sich die Mafiabosse operieren ließen, um nicht mehr erkannt zu werden, bis hin zu kompletten Gesichtstransplantationen.

      Das ging mir noch zu weit, ein fremdes Gesicht mit mir herumzutragen. Ich war immer stolz auf mein Aussehen gewesen, hässlich wollte ich auf keinen Fall werden.

      Meine Recherchen, für die ich drei Tage benötigt hatte, führten zu einer Reise nach Asien, die ich demnächst antreten wollte. Meine erste Station würde Kyoto in Japan sein, wo der Doyen der Phonochirurgie wohnte, Dr. Nobuhiko Isshiki. Seine Hiroshiba ENT Clinic hatte sehr gute minimal invasive Techniken, er operierte durch ein handlanges Rohr mit mikrochirurgischen Instrumenten, überwacht durch Kameras und externe bildgebende Verfahren, die den Hals praktisch durchsichtig machten.

      Ich hatte mir eine Story zurechtgelegt; ich wolle mich einer Geschlechtsumwandlung unterziehen und bräuchte eine tiefere Stimme mit anderem Timbre, damit mein Ex-Mann mich nicht erkannte, er würde mich sonst umbringen.

      Sollte ich mich vielleicht tatsächlich umbauen lassen? Dann würde mich kein Suchalgorithmus der Welt so schnell finden können. Ich entschied mich dagegen. Ich würde mir ein männliches Aussehen geben lassen, eine männlich klingende Stimme, dann konnte ich immer noch als Mann auftreten und doch Frau bleiben.

      Ich flog gut zehn Tage später nach Japan und ließ mich von Dr. Watanabe beraten, einem Assistenten, der noch besser sein sollte als der Chef selbst.

      »Ich kann Ihre Stimmlippen verlängern, was man gemeinhin Stimmbänder nennt, und an zwei Stellen etwas aufspritzen, das wird Ihnen schon einen anderen Klang geben, Frau Saunders. Allerdings bleibt der Klangraum derselbe, und der trägt wesentlich zum Timbre Ihrer Stimme bei. Das können Sie selbst chirurgisch nur schwer ändern, Nase und Rachen müssten ebenfalls verändert werden. Davon würde ich abraten.«

      Der Mann dachte zu weit in die Zukunft. Man machte einen Schritt nach dem anderen, um ans Ziel zu kommen, wer an den vierten Schritt dachte, während er den ersten machte, geriet unweigerlich ins Stolpern.

      »Hören Sie, Herr Watanabe. Mir reicht die maximale Veränderung der Stimme, wie es im Bereich Ihrer Möglichkeiten liegt. Ich möchte ein tieferes und sonorer klingendes Organ. Ich würde gern eine großzügige Spende an Ihre Klinik machen, wenn ich sofort operiert werden kann.«

      Ich musste einige Tests durchlaufen und mich eingehend instruieren lassen, auf was ich zu achten hatte. Komplikationen waren angeblich nicht zu erwarten.

      Am nächsten Morgen lag ich bereits im Operationssaal, nur örtlich leicht betäubt. Die Japaner hatten ihre Operationstechniken so weit entwickelt, dass ich während des Vorgangs sprechen und meine jeweils eingestellte Stimme hören konnte; die Verlängerung der Stimmlippen und ihre Form veränderten die Art der Vibration des Organs. Ich hörte mich über Kopfhörer reden, wenn ich darum gebeten wurde; so erfuhr ich auch selbst, wie ich für andere klingen würde, denn man selbst hörte die eigene Stimme durch Knochenschall verfremdet.

      Der Doktor blendete meine alte Stimme dazu ein, er hatte einige Mustersätze aufgenommen, die ich jetzt nachsprach.

      »Ein Orang-Utan ist mir lieber als andere orangefarbene Affen«, war einer davon, alle enthielten viele Vokale.

      Ich sagte stopp, als meine Stimme so klang, wie ich mir sie vorgestellt hatte. Die ganze Operation hatte keine zwei Stunden gedauert, ich fühlte mich am Kehlkopf merkwürdig an, sonst spürte ich nichts. Ich konnte vorsichtig sprechen, gut atmen und nach drei Stunden sogar schon etwas essen, Reis mit gedünstetem Fisch.

      Am nächsten Tag wurde ich entlassen. Zeit, meine Stimme auszuprobieren; ich machte eine Runde durch die Tempel Kyotos und sprach von hinten Ausländer an. Die meisten wirkten überrascht, wenn sie sie


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