Abschied einer Mörderin. Nick Stein
De Luca nahm sich eine Woche frei und recherchierte. Einige der Aufgaben spielte er über seine Gewährsleute an die Polizei weiter, andere, darunter alle finanziellen Informationen, übernahm er selbst.
Zwei Tage später wusste er, dass Viola damals einen Flug nach Zürich gebucht hatte und von dort fast sofort wieder zurückgeflogen war. Sie hatte dort etwas erledigt, das dringend war; was war das gewesen?
Er versetzte sich in ihre Lage. Wenn sie ihren Tod vortäuschen wollte, musste sie sich um eine neue Identität kümmern. Also brauchte sie neue Konten, Ausweise, Kreditkarten. Zürich sprach für Bankgeschäfte; vermutlich hatte sie neue Konten und Karten unter anderem Namen organisiert, das war möglich.
Neue Pässe und Identitäten dagegen waren in so kurzer Zeit nicht so einfach zu beschaffen. De Luca kannte jemanden, der alle Passfälscher aufzählen konnte; in Zürich gab es niemanden, der das Metier gut genug beherrschte und schnell genug war. Also hatte sie vorher vorgesorgt und in einem Schließfach Ersatzpässe bereitliegen gehabt, etwas, das er auch selbst so machte. Hatte er ihr davon nicht sogar mal in einer stillen Stunde erzählt? Sie auf diesen Gedanken gebracht?
So weit, so gut. Er ließ seine Beziehungen spielen und fragte die Zürcher Banker, die er kannte oder die er indirekt befragen konnte. Aber so gut waren seine Beziehungen dann doch nicht, dass jemand das Bankgeheimnis für ihn gelüftet hätte; er tappte weiter im Dunkeln.
Auch von der Universität kam nichts Neues. Die DNA der Toten blieb unbekannt. Es war eine vermutlich blonde Frau mit mutmaßlich blauen Augen zwischen fünfundzwanzig und fünfunddreißig gewesen, mehr war bei der Analyse nicht herausgekommen. Demnach hätte sie auch von Viola stammen können, das war jedoch ausgeschlossen worden. Ein weiteres Enigma; oder war die DNA-Datei, die die Polizei von der echten Viola besaß, falsch? Dann konnte es sich bei der Toten doch um sie gehandelt haben, und sie hatte die Bullen vorher an der Nase herumgeführt.
All das brachte ihn nicht weiter.
Eine einzige Spur hatte ein Ergebnis gezeitigt. Er selbst hatte Viola eine Suite in einem guten Hotel in Fiumicino gebucht, und die wurde von einer Raumpflegerin betreut, die sich vage daran erinnern konnte, dass die nette Frau, die den tödlichen Autounfall erlitten hatte, vorher Besuch von einer anderen Frau bekommen hatte, die ihr sehr ähnlich sah. Rotblond und blauäugig, hübsche Figur, etwas kleiner; vielleicht eine ältere Schwester, sagte sie aus.
Das musste die Frau gewesen sein, die an Violas Stelle gestorben war. Leider hatte sie nicht im Hotel eingecheckt, sondern sich im Zimmer von Viola nur aufgehalten oder sogar eine Nacht verbracht, das konnte die kalabrische Putzfrau nicht mehr sagen.
De Luca kam nicht weiter. Er hatte das dumme Gefühl, dass er irgendetwas Wichtiges übersehen hatte, das ihm weitergeholfen hätte.
Nur kam er nicht drauf.
Trotzdem fühlte er sich erleichtert. Die Polizei hatte damals den Bildband gefunden, den Viola für ihn angefertigt hatte, mit einer Widmung mit seinem Namen darin. Ein Umstand, den die Capos der heiligen Gesellschaft als Grund genug gesehen hatten, sie als Risiko zu beseitigen und Giovanni selbst den Job zu übertragen.
Die Polizei war indes nicht an ihn herangetreten, als ihren Sponsor und Kunsthändler. Anscheinend war sie nur an Viola selbst interessiert gewesen; also gab es eigentlich keinen Grund mehr, sie jetzt wirklich umzubringen; eine Gefahr für die Familie hatte sich nicht mehr ergeben.
Wenn sie jetzt unter anderem Namen lebte, gab es auch keinen Grund mehr, ihn selbst wegen eines schlecht erledigten Jobs zu belangen. So hochrangig, wie er jetzt war, machte man ihm auch nicht so schnell Vorwürfe für Dinge, die Jahre zurücklagen.
Sollte er Viola wiederfinden?
Es juckte de Luca in den Fingern. Klar, sie war eine äußerst attraktive Frau, kaltblütig und klug, genau das richtige Material für einen wie ihn. Andererseits hatte sie ihn betrogen und verarscht. So etwas ließ sich ein Kalabreser nicht gefallen. Vielleicht sollte er ein paar Tage mit ihr spielen, wenn er sie gefunden hatte, ein paar wunderbare Stunden mit ihr verbringen, sie noch einmal bis zur Neige auskosten, um sie in einem letzten Akt des Genusses dann doch zu töten. Das war eine Sache der Ehre.
Gut. Das hatte er geklärt. Jetzt musste er sie nur noch finden. Wenn er doch nur wüsste, was ihm bei seinen Überlegungen entgangen war!
Einer Spur konnte er noch folgen, auch wenn er wusste, wie wenig wahrscheinlich sie zu einem Ergebnis führen würde. Er ließ sich die Passagierdaten der Flüge geben, die am Tag des vorgeblichen Todes von Viola und am Tag davor in Fiumicino angekommen waren. Eine davon konnte die tatsächliche Tote sein, die auf der Autostrada gestorben war. Einige tausend Personen, davon vierzig Prozent weiblich, und darunter immer noch sechshundert im Altersbereich von fünfundzwanzig bis fünfunddreißig.
De Luca übertrug die Fleißarbeit, das Aussehen dieser Personen zu ermitteln, an einen Assistenten. Der sollte herausfinden, über Facebook und andere Quellen wie Firmenwebseiten, ob sie weitergereist waren, in welchen Hotels sie abgestiegen waren, ob sie allein oder in Begleitung gereist waren. Dann würden nicht viele blonde und blauäugige Frauen übrigbleiben. Etwas kleiner als Viola, also kannte er in etwa auch die Körpergröße der Gesuchten. Er suchte nach einer, die nicht weitergereist, zurückgeflogen oder in Hotels übernachtet hatte.
Viel Hoffnungen auf einen Sucherfolg machte er sich trotzdem nicht, denn alle Passagierlisten alle Flüge hatte er gar nicht mehr bekommen können.
Kapitel 8
»Ich muss nach Wiesbaden«, sagte Jansen seiner Frau Lisa beim Frühstück. Sie waren wieder zu Hause in Burmönken bei Wittmund. »Ich bringe die Kurzen zur Schule, dann fahre ich zum Bahnhof in Bremen. Werde wohl erst morgen zurück sein, denke ich. Schaffst du das?«
»Seit du beim BKA bist, musst du ständig da runter«, beschwerte sie sich. »Oder hast du da eine Freundin?«
»Wär ich ja schön blöd.« Jansen drückte ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange. »Nee, es geht um Interpol. Ich könnte da einsteigen, ist eine wichtige Stelle, mehr oder weniger die Nachfolge von Heim.«
»Früher hast du dich mehr um Umweltprobleme gekümmert, Lukas Jansen«, erinnerte sie ihn. »War mir irgendwie lieber.« Sie sah ihn forschend an. »Oder geht es um was Konkretes? Du siehst so aus, als ob du mir etwas verheimlichst. Dann machst du immer dieses wissende Gesicht.«
Jansen schluckte und entschloss sich, ihr lieber gleich die ganze Wahrheit zu sagen. »Du erinnerst dich bestimmt noch an meinen Trip mit Heim nach Italien, wo wir diese Viola Kroll verhaftet haben, nicht? Die ist dann in Rom bei einem Verkehrsunfall umgekommen, als mindestens achtfache Mörderin.«
»Klar erinnere ich mich daran«, antwortete sie mit einem Ausdruck, der nichts Gutes versprach. »Ich war hochschwanger und habe eine Obduktion durchgeführt, für mein Examen. Und du haust mit dem Heim ab. Fährst mit einer jungen und schönen Italienerin mit einem Ferrari durch die Berge, wenn ich mich richtig erinnere, nicht wahr? Ich hätte mich fast scheiden lassen. Und fast eine Fehlgeburt gehabt. Wie könnte ich das vergessen. Mach so etwas bloß nicht nochmal, Jansen.«
Lukas schluckte. »Die lebt. Also nicht diese Ferrari-Frau, sondern die Kroll. Die hat ihren Tod nur vorgetäuscht. Neue Erkenntnisse. Die Frau ist brandgefährlich, Lisa.«
»Musst du die jetzt totschießen?«, fragte Ella und zielte mit ihrem Brot auf ihren Vater. »Finde ich doof, dass du Polizist bist. Milas Vater ist Förster. Das ist viel cooler.«
Ihre Eltern sahen sich an. Sie wollten doch solche Dinge nicht vor den Kindern besprechen, sagten ihre Blicke.
»Also gut. Ruf an, wenn du weißt, wann du zurückkommst, Lukas. Erzähl mir später mehr. – Onno, iss' dein Müsli auf, ihr kommt zu spät zur Schule.«
*
Als Jansen endlich im Zug saß, rief er Heim an. Der ließ ihn gar nicht zu Wort kommen.
»Sind Sie von allen guten Geistern verlassen, Jansen?«, brüllte er durchs Telefon. »Ich hätte tot sein können! Was haben Sie sich dabei bloß gedacht? Wollten Sie mich loswerden und meinen Platz einnehmen, oder