Geliebtes Carapuhr. Billy Remie
in sein Getränk. »Hm.«
Forschend sah Jori ihn an. »Einige böse Zungen behaupten, du bewachst ihn wie eine Löwin ihr Junges. Und man hört, es gefällt dem Großkönig nicht, dass du dich einmischst.«
»Ist das so?«, gab er trocken zurück und drehte nachdenklich den Becher in den Fingern.
»Weißt du, was ich glaube?«
»Ich kann vieles, Jori, aber Gedanken lesen gehört nicht dazu.«
Jori setzte diese Miene auf, die er immer bekam, wenn er jemandem vorsichtig ins Gewissen reden wollte. »Ich denke, dass du versuchst, eine Sache wieder gut zu machen, die gar nicht deine Schuld war.«
Vynsu schwieg.
»Er ist der Bruder deiner Frau, aber er ist nicht dein Gemahl, du schuldest ihm nichts und solltest dich wegen ihm nicht mit Melecay anlegen.«
Erstaunlich, dachte Vynsu bei sich, dass Jori geradezu riechen konnte, wenn jemand in seiner Nähe etwas ausgefressen hatte oder im Begriff war, etwas wirklich Dämliches zu tun. Leise lachend nahm Vynsu noch einen Schluck, genoss das wohltuende Gefühl der Flüssigkeit, die seine Kehle anfeuchtete. »Du bist die Löwin, Jori, die spürt, wenn ihre Jungen auf einen Abgrund zulaufen.«
»Komm«, Jori schlug ihm mit dem Handrücken gegen den Arm, »lass uns reingehen, ja?«
»Ja, gleich«, versprach er.
Nickend wandte sein Freund sich ab und schlenderte zurück zum Tisch, der sich hinter Vynsus Rücken im warmen und trockenen Zelt befand. Seine Kameraden spielten Würfelpoker und setzten ihren letzten Sold. Das erinnerte ihn daran, was er der Gruppe für die Zeit im Dschungel schuldete. Denn auch wenn er sie als Freunde bezeichnete, er hatte ihnen ein hohes Sümmchen versprochen und die Gruppe musste essen. Sie waren, sind und würden immer Söldner bleiben. Er schuldete es ihnen. Und er hielt immer sein Wort.
Immer…
Vynsu hob den Blick und sah noch ein letztes Mal zu Desith. Das lange Haar triefte und lag wie ein Helm um seinen Kopf, die feuerroten Strähnen klebten in seinem Gesicht und schimmerten wie frische Kratzer, das Hemd stand offen und der weiße Stoff war von der Nässe durchsichtig geworden, es lag hauteng an Desiths flacher Brust und Bauch, sodass die Brustwarzen hart und rosig hervorschimmerten. Ein Rinnsal klarer Regen floss über seinen Bauch und durch den Nabel wie ein Fluss auf einer unberührten Landschaft.
Unberührt? Wohl kaum, dachte Vynsu amüsiert.
Kopfschüttelnd setzte er den Becher an die Lippen, trank seinen Met aus und wandte sich ab.
*~*~*
Nacht. Schon wieder. Die dritte seither. Nein! Falsch. Es war die vierte Nacht. Oder doch die fünfte?
Desiths Vorsatz, bei klarem Verstand zu bleiben, schwand mit zunehmendem Hunger und Durst.
Sein Nacken tat davon weh, dass er immer wieder verzweifelt den Kopf zurücklehnte und das Maul aufsperrte, um einen Schluck Regenwasser zu sammeln.
Aber noch war er nicht am Ende seiner Kräfte und ganz gleich wie oft der Großkönig vorbei schlenderte und ihm die süße Aussicht auf Erlösung bot, indem er der Ehe mit Derrick ohne Wenn und Aber zustimmte, er würde nicht einknicken.
Melecay hatte gesagt, er würde ihm nicht die Wahl lassen, auch nicht die Wahl, zu sterben. Aber er konnte ihn auch nicht zwingen, dieser Vermählung beizuwohnen. Er müsste ihm schon ein Schwert in den Rücken drücken, um ihn dazu zu bewegen. Und selbst dann würde Desith sich lieber selbst aufspießen.
Vielleicht… hätte er zugestimmt. Vielleicht, wenn es eine Aussicht darauf gäbe, dass Rick ihn noch erkennt, oder er sich hier und jetzt zurück in einen Menschen verwandeln…
Nein. Desith machte sich etwas vor. Er konnte Rick nicht heiraten, selbst wenn sein kleines, naives Herz noch immer an ihm hing. Er konnte Rick nicht mehr in die Augen sehen und vergessen, dass er ihn für Sarsar mitten im Dschungel hatte stehen lassen.
Das konnte Desith nicht verzeihen, es nicht ertragen. Nach all den Jahren, die er Rick seine Treue, seine uneingeschränkte Loyalität geschenkt hatte, hatte dieser ihn für Sarsar verraten.
Desith konnte es einfach nicht vergessen, selbst wenn er gewollt hätte.
Also blieb ihm nichts anderes übrig, als weiterhin schweigend im Regen zu sitzen und sich selbst anzupissen, während sein knurrender Magen ihn morgens weckte.
Irgendwann würde sein Vater Fragen stellen. Ganz bestimmt würde er das. Vielleicht nicht Morgen oder Übermorgen, doch auch wenn Desith mit seinem Vater oft im Streit gelegen hatte, der Kaiser würde ihn nach sieben Jahren im Dschungel gewiss bald sehen wollen.
Der Großkönig musste das wissen, sonst würde er ihn nicht so sehr bedrängen. Vielleicht würde er bald dazu übergehen, ihn zu foltern. Dann wäre er aber wenigstens aus dem Regen draußen.
Obwohl der Guss jedes Mal warm war, durch die Nässe fing Desith an zu frieren und infolgedessen auch erbärmlich zu zittern. Tagsüber spürte er die Blicke der Menschen, die im Lager umherliefen und ihrem Tagwerk nachgingen. Wachen wetteten darauf, wie lange er durchhielt. Aber jeden Morgen, wenn der verdammte Hahn krähte und Desith noch immer nicht weinend zusammenbrach, spürte er, wie ihn neugierige Augen streiften. Wie aus Abneigung, Achtung wurde.
Und es war ein gutes Gefühl, dass sein eiserner Wille Früchte trug. Jedoch musste er gestehen, dass er die Furcht, die ihm an dem Tag entgegengebracht worden war, als er gegen die Barbaren des Großkönigs gekämpft hatte, mehr genossen hatte.
Gefürchtet zu werden war wie auf einem Berg zu stehen und über alle Völker der Welt zu blicken, erhaben zu sein, stark zu sein. Nie hatte er sich so lebendig gefühlt wie in jenem Augenblick, nie so groß, als sie erstarrt vor Angst waren, nur weil sie ihn für einen bösen Geist oder von einem Dämon besessen hielten. Er hatte sich gefühlt wie der Drache selbst, der ihm solche Furcht einflößte.
Desith hatte es geschafft, Derrick nicht anzusehen. Das Vieh schnarchte den ganzen Tag und die ganze Nacht, verweigerte die Nahrungsaufnahme und bevorzugte es, in der Nähe von Menschen bedrohlich zu grollen.
Trotz all der Bewegungen und Geräusche, die Desith aus dieser Richtung wahrnahm, war es ihm gelungen, nicht einen einzigen Blick in das offene Zelt zu richten. Es hatte ihn einiges an Willenskraft gekostet, aber ihm gezeigt, wie stark er sein kann.
Und er glaubte, dass auch Derrick ihn niemals ansah. Nicht für einen winzigen Herzschlag lang. Er hätte es gespürt, wäre es so gewesen. Wären diese großen, wütenden Echsenaugen über ihn geglitten, hätte er wie immer eine eiskalte Gänsehaut verspürt. Doch Rick beachtete ihn nicht, als würde er gar nicht mehr existieren.
Desith hätte weinen mögen, doch er schalt sich einen naiven Dummkopf. Er würde keine einzige Träne an jemanden vergießen, dem er nichts mehr bedeutete. Dazu war er sich selbst zu schade. Außerdem… Rick war es gewesen, der zuerst ihn gewollt hatte. Rick war es gewesen, der zuerst tiefere Gefühle gehegt und versucht hatte, ihn zu küssen, damals, als er noch klein gewesen und nur einen neuen, exotischen Freund hatte gewinnen wollen. Es war immer zuerst von Derrick ausgegangen. Desith brauchte ihn nicht. Er hatte vor Rick ein Leben gehabt, ein kurzes und behütetes Leben, aber er wusste, dass es nach Derrick ebenso ein Leben gab.
Er musste nur irgendwie dem Großkönig und seinen wahnwitzigen Plänen entkommen. Dann würde er schon herausfinden, was die Zukunft für ihn bereithielt. Der Bruch mit Derrick bedeutete nicht das Ende von allem, so war Desith nicht gestrickt.
Und irgendwann würde auch die Erinnerung an Derrick verblassen und es würde ihm vorkommen wie der dumme Traum eines verliebten Jungen. Aber eben nur wie ein Traum.
Ironischerweise konnte er gerade aber nur darauf hoffen, dass ihm sein Vater, vor dem er sich vor Jahren losgesagt hatte, den Kopf rettete. Oder vielleicht war es in diesem Fall passender zu sagen, dass er ihm den Arsch retten musste.
Ein schwarzes Paar Stiefel trat in sein Blickfeld. Verwundert sah er auf. Der Regen hatte so plötzlich aufgehört, wie er angefangen hatte,