Kreuzweg zu anderen Ufern. Wolfgang Bendick

Kreuzweg zu anderen Ufern - Wolfgang Bendick


Скачать книгу
gottlosen Kommunisten, also den Antichristen, im Zaum zu halten und, wenn es sein musste (oder wenn es möglich schien), zu vernichten. In den Augen mancher Christen eine gute Sache. Aber in diesem Fall würde es bestimmt keine Überlebenden mehr geben! Und dabei hatte Jesus doch gesagt: „Liebet eure Feinde, tut Gutes denen, die euch hassen“. Völkerversöhnung, das wäre doch ein Weg zum Frieden!

      Bald nahm ich nur noch an dem monatlichen Schulgottesdienst des Gymnasiums teil, da er gewissermaßen Unterricht war, wo jeder Klassenlehrer kontrollierte, wer da war. Es gab seit jüngerer Zeit auch die Möglichkeit, an einer am Samstagabend gehaltenen Messe teilzunehmen, damit man sonntags einen Ausflug machen konnte, ohne deshalb in den Stand der Todsünde zu fallen… Doch das war in der Stadt. Bei uns auf dem Land gab es das nicht. Der Pfarrer bezeichnete das als den Anfang des Zerfalls des Christentums, eine Sonntagsschändung. Unser Pfarrer herrschte wie ein Despot über seine Gemeinde. Und seinen lauten Worten ließ er oft genug eine Tat folgen, eine Kopfnuss, die es in sich hatte, oder eine Ohrfeige, eine Watsche, wie das in Bayern heißt, um seine aufmuckenden Lämmchen zum Gehorsam zu bringen. Von den Ministranten konnte das so mancher bestätigen… Er war von vielen gefürchtet, von ein paar wenigen aber echt verehrt. Er war der Vertreter eines strengen Gottes auf Erden, fühlte sich verantwortlich für das Seelenheil eines jeden.

      SÜNDE

      Es gab da Familien oder alleinstehende Frauen in der Gemeinde, deren Religiosität übertrieben war, süß und klebrig und bunt wie Zuckerwatte. Das hatten wir Kinder schnell erkannt und hielten Abstand von ihnen. Denn sie hinterbrachten alles dem Pfarrer und hielten ihn informiert über all das, was ihn eigentlich nichts anging. Doch gab es auch Familien, ebenfalls katholische, deren Kinder normal waren und mit uns an vielem Unsinn teilnahmen. Und bei diesen war die Tür offen für andere, nicht wie bei uns daheim, wo wir keine Freunde mitbringen durften. Es war ein reges Kommen und Gehen bei diesen, nicht nur, um die Kinderprogramme im Fernseher anzuschauen (Fernsehapparate gab es in unserer Siedlung nur drei), sondern auch bei sonntäglichen Ausflügen durfte man mitfahren. Und das war was ganz Besonderes. Denn wer hatte damals schon ein Auto? Man fuhr mit dem Bus, der Bahn, dem Rad, oder ging zu Fuß in die Arbeit und zum Einkaufen.

      Toni war einer der Buben aus so einer Familie. Er hatte mein Alter, machte aber eine Lehre als Anstreicher. Er sprach mich mal an, warum ich nicht mehr in die Messe ginge. Ich war etwas geniert. „Das interessiert mich nicht. Das ist doch alles nur scheinheiliges Getue. Schau doch mal an, wie die Leute sich nachher benehmen! In fast jedem Haus wird sonntags nur rumgebrüllt!“ „Die so sind, haben nichts von der Lehre Christi begriffen, sonst wären sie anders!“, meinte er. „Komm nächsten Sonntag mal mit, und du wirst sehen, wie schön ein Gottesdienst sein kann!“ Da er ein guter Freund von mir war (zwar etwas weichlich, da er nie schweinische Worte gebrauchte), machte ich mich am nächsten Sonntag fertig und ging mit ihm in die Kirche. Irgendwie tat mir das sogar gut. Endlich mal wieder was für das Heil meiner Seele getan! Auf jeden Fall nicht so langweilig wie den ganzen Vormittag im Bett zu liegen und eventuell etwas für meine ewige Verdammnis zu tun, indem ich mir einen runterholte. Oder die ganze Zeit unkeuschen Gedanken nachhing, weil ich mich mal nicht abreagiert hatte, da ich, wie es sich für einen jungen Christen gehört, versucht hatte rein zu bleiben. Unkeusches tun und auch daran zu denken waren bekanntlich Todsünden, von denen eine einzige schon reichte, um in die Hölle zu geraten.

      „Wie lange hast du schon nicht mehr gebeichtet?“, wollte mein neuer Freund ein anderes Mal wissen. „Das ist wohl schon ein paar Jahre her“, erwiderte ich. „Da hast du ja bestimmt eine Menge Sünden auf dich geladen!“, stellte er fest. „Weißt du, was ist eigentlich Sünde?“, sinnierte ich, „wenn ich nicht in die Kirche gehe oder wichse oder mir das Foto eines nackigen Mädchens anschaue, tu ich doch keinem weh. Das hat doch mit den wahren Sünden wie Mord oder Stehlen nichts zu tun!“ „Das ist aber trotzdem ein Verstoß gegen die zehn Gebote, die Gott dem Moses nach dem Auszug aus der Sklaverei in Ägypten auf dem Berge Sinai gegeben hat. Auch wenn das nur dich betrifft, tust du auf jeden Fall Jesus damit weh. Auch wegen deiner Sünden hat er am Kreuz leiden müssen und sterben!“ „Er ist aber wieder auferstanden, also sollte man das doch nicht so tragisch sehen!“, witzelte ich. „Durch seinen Tod hat er jedenfalls uns alle von der ewigen Verdammnis, die uns durch unsere Erbsünde bestimmt war, erlöst und uns den Himmel und die ewige Herrlichkeit zugänglich gemacht“, erwiderte er. „Weißt du, die zehn Gebote in der Bibel, das ist ja noch eine klare Sache“, warf ich ein, „aber die Erbsünde? Wenn ich den Beichtspiegel im Gebetbuch anschaue, dann dreht sich mir der Kopf! Da hat jemand ganz schön hineininterpretiert! Da ist ja schier alles Sünde was man tut! Vom Gezeugt werden bis hin zu etwas Leckeres essen!“, gab ich zurück.

      „Der Beichtspiegel ist die Auslegung der Kirche von den zehn Geboten, damit sie besser für uns verständlich sind. Die Kirchenväter und unser Heiliger Vater, der Papst, der ja der direkte Stellvertreter Gottes auf der Erde ist, haben das so ausgearbeitet. Du weißt ja, beim Heiligen Abendmahl hat Jesus den Petrus mit der Führung der Kirche beauftragt. Und die Päpste gehen in direkter Linie auf ihn zurück“. „Päpste sind auch nur Menschen und haben genug Scheiße gebaut in der Vergangenheit, haben wir in Geschichte gelernt, sonst hätte Luther keinen Grund gehabt, die Reformation zu machen! Es gab ja zeitweise zwei Päpste und auch mal eine Päpstin!“ „Es war Luther, der viel Leid und Zwietracht in die Kirche gebracht hat, aber du hast Recht, nicht immer ging es nur katholisch zu in der Geschichte der Kirche. Jedenfalls ist der Papst in seinen Entscheidungen, welche den Glauben betreffen, unfehlbar. Das ist auf das direkte Wirken des Heiligen Geistes zurückzuführen!“ Mein Freund, so sah ich, ließ nichts über die Kirche kommen. Jeder Zweifel, ja, eine bloße Frage ist für einen Katholiken fast schon eine Gottesleugnung.

      „Wir hatten über die Beichte gesprochen“, sagte ich. „Eigentlich halte ich nicht viel davon. Warum machen die Katholischen es nicht wie die Protestanten, ab und zu im Jahr mal eine Gemeinschaftsbeichte, wo ein jeder sich besinnt und ihm dann vergeben ist!? Ich finde es übertrieben, jede Woche beichten zu gehen oder jeden Monat!“ „Bei uns ist es halt so, und ich finde die Ohrenbeichte besser. Denn da kann der Priester dir einen Rat geben oder dir sonst wie helfen, wenn du in einem Schlamassel steckst!“, erklärte er mir. „Der erkennt dich doch im Beichtstuhl. Und was geht den das an, wie viele Male ich gewichst habe oder nicht in der Kirche war? Jedes Mal will er wissen, wie oft, ob man das alleine gemacht hat oder mit anderen. Ich lüge ihn jetzt immer an, dass ich es alleine tue. Lügen ist ja eine kleinere Sünde. Oder ich beichte als letztes, dass ich gelogen habe. Einmal war ich ehrlich und hatte gesagt, dass es zusammen mit anderen war. Da wollte er wissen wo wir das gemacht hatten und wer die anderen waren. Ich werde doch nicht meine Freunde verraten! Also sagte ich, ich wüsste deren Namen nicht. Darauf wurde sein Ton dramatisch und mit heiserer Stimme meinte er, „so machen es die Strichjungen“. Ich weiß noch nicht mal, was das ist. Vielleicht einer der so mager ist wie ich? Letztens meinte jemand von den Erwachsenen zu mir: ‚Du bist so dünn wie ein Strich in der Landschaft!‘ Und ob ich Geld dafür genommen hätte, wollte der Pfarrer wissen. Ich wusste gar nicht, dass man seinen Samen verkaufen konnte!“

      Mir kam da plötzlich ein Erlebnis in Erinnerung, das ich letztens gehabt hatte. Ich musste es unbedingt meinem Freund mitteilen, davon wusste der bestimmt noch nichts! Obwohl ich sicher war, dass meine evangelischen Freunde sich daran bestimmt mehr aufgeilen würden als er. „Letztens war ich beim Bauern Milch holen. Da hörte ich den Bauern jemandem erklären, dass er auf den Rucksackstier warte. Wetten, du weißt bestimmt nicht, was das ist! Rucksackdeutsche, die kennen wir ja. So nennen die Allgäuer abwertend die Flüchtlinge. Aber ein Stier aus dem Sudetenland? Schmarren! Ich dachte zuerst, er meinte ein Zebu, denn diese haben ja so einen Buckel, wie ein Rucksack. Doch dann kam mir das komisch vor. Ein Zebu, hier im tiefsten Allgäu? Nie und nimmer! Da musste etwas anderes dahinterstecken! Ich stellte die Kanne in den Schatten und spazierte über den Hof, in Erwartung was da passieren würde.

      Nach einer Weile kam der Tierarzt angefahren und kruschte im Kofferraum von seinem Mercedes rum. Er nahm aus einem dampfenden Fass ein langes Stäbchen, schob seinen Arm in den Arsch einer Kuh, die sich das gefallen ließ, ihn mit großen Augen anschauend. Als er den Arm bis zur Schulter drinnen hatte, steckte er das Röhrchen in das untere Loch und drückte auf einen Kolben. „So,


Скачать книгу