Johann Wolfgang von Goethe: Gesammelte Dramen. Johann Wolfgang von Goethe

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hätte? – Nein, es ist nicht möglich! Du bist verlegen, aber nicht verändert. Laß dich nicht etwa den anscheinenden Reichtum des Domherrn blenden; wir sind jetzt reicher als er, der in kurzem sich in der größten Verlegenheit sehen wird. Ich habe alles genau berechnet. Du magst heute nacht die Person der Prinzessin noch vorstellen. – Es ist die Absicht meiner Frau, daß ich euch hinausbegleiten und dann gleich weiterfahren soll. Ich nehme deswegen einen besondern Wagen. Ist die Szene vorbei, so erkläre ich der Marquise kurz und gut, daß du mich begleitest. Du magst ein wenig widerstehen, ich führe dich mit Gewalt weg. Lärm darf sie nicht machen, aus Furcht, daß alles verraten wird. – Du hörst nicht zu; was ist dir?

      NICHTE. Verzeihen Sie mir – dieser Vorschlag – Ich bin verwirrt – ich verstumme! Bedenken Sie, in welcher Lage wir die Tante zurücklassen!

      MARQUIS. Sie wird sich schon helfen, sie ist klug genug. Sie hat diese Sache so weit gebracht, und wir verderben ihr nichts an ihrem Plan. Genug, ich will, ich kann dich nicht entbehren, und wenn du je an meiner Liebe zweifeltest, so siehst du nun, wie heftig sie ist. Ich werde dich nicht hier lassen, so vielen Nachstellungen, so vielen Gefahren ausgesetzt; nicht acht Tage, so hab ich dich verloren. Die unsinnige Leidenschaft des Domherrn zur Fürstin hält ihn nicht von andern Liebeshändeln zurück. Nur wenige Tage, und du wirst unter dem Schleier seine Gebieterin und ohne Schleier sein gehorsamstes Liebchen sein. Komm! – So hab ich es beschlossen, und davon laß ich nicht ab. Er umarmt sie. Du bist mein geworden, und niemand soll dich mir rauben! Meine Frau war mir niemals hinderlich, und wenn sie die Steine glücklich davonbringt, wird sie uns gern verzeihen. – Wie ist dir? Du bist nicht bei dir!

      NICHTE. Es ist um mich geschehen! Führen Sie mich, wohin Sie wollen.

      MARQUIS. Wisse nur, es ist schon alles richtig. Unter einem andern Vorwande habe ich von deinem Kammermädchen nur das Notwendigste zusammenpacken lassen. Es kommt auf wenige Tage an, so sind wir neu und besser als jemals gekleidet. Wir wollen uns nicht mit alter Trödelware beschweren. Er führt die Nichte ab, die ihm trostlos folgt und nochmals zurück nach der Garderobetür sieht.

      Achter Auftritt

      DER RITTER der aus dem Kabinett hervorgeht. Was hab ich gehört, und in welchen Abgrund von Verräterei und Nichtswürdigkeit hab ich hineingeblickt! Niemals konnte ich diese Menschen achten, mit denen ich leben mußte! Oft waren sie mir verdächtig; aber wenn man sie bei mir solcher verruchten Handlungen wegen angeklagt hätte, ich hätte sie gegen jedermann in Schutz genommen. Nun versteh ich dich, schöne Verführerin, warum du mich erst morgen früh sehen wolltest! Gewiß war es ihr bekannt, daß der Marquis heute nacht verreisen solle; aber daß er sie zwingen würde, mit ihm zu gehen, dachte sie nicht. Sie glaubte gewiß, seine Neigung zu ihr sei erschöpft, wie ihre Neigung zu ihm. O die Abscheuliche! Diese Unschuld zu heucheln! – Wie ein himmlischer Geist stand sie vor uns, und die reinsten Wesen schienen durch ihren Mund zu sprechen, indes sie, eines Liebhabers überdrüssig, sich nach andern umsieht und über die Zauberkugel weg nach den betrogenen Männern schielt, die sie als ein himmlisches Wesen anbeten. Wie soll ich das alles zurechtlegen, was ich gehört habe? Was soll ich tun? Der Graf und die Marquise spinnen den unerhörtesten Betrug an. Um ihren ungeheuern Plan durchzuführen, wagen sie es, den Namen einer vortrefflichen Fürstin zu mißbrauchen, ja sogar ihre Gestalt in einem schändlichen Possenspiel nachzuäffen. Früher oder später wird sich's entdecken, und die Sache endige sich, wie sie wolle, so muß sie dem Fürsten und der Fürstin höchst unangenehm sein. Es leidet keinen Aufschub. – Soll ich hingehen und dem betrogenen Domherrn die Augen eröffnen? Noch wäre es möglich, ihn zu retten! Das Halsband ist zerstückt; aber noch ist der Marquis hier, man kann sie festhalten, ihnen den Schmuck abnehmen, die Betrüger beschämen und sie in der Stille verjagen. – Gut, ich gehe. – Doch halt! Das tu ich um des kalten, eigennützigen Weltmannes willen? Er wird mir danken und für die Rettung aus der ungeheuren Gefahr mir seine Protektion versprechen, mir eine ansehnliche Charge zusichern, sobald er sich wieder würde in Gunst gesetzt haben. Diese Erfahrung macht ihn nicht klug; er wird dem ersten besten Betrüger sich wieder in die Hände geben, sich immer leidenschaftlich, ohne Sinn, Verstand und ohne Folge betragen; wird mich als einen Schmarotzer in seinem Hause dulden; wird bekennen, daß er mir Verbindlichkeiten habe, und ich werde vergebens auf eine reelle Unterstützung warten, da es ihm, ungeachtet seiner schönen Einnahme, immer an barem Gelde fehlt. – – Geht nachdenkend auf und nieder. Törichter, beschränkter Mensch! Und du siehst nicht ein, daß sich hier der Weg zu deinem Glücke öffnet, den du so oft vergebens gesucht hast? Mit Recht hat dich heute der Domherr als einen Schüler verlacht, mit Recht der Graf deine Gutmütigkeit auf eine verruchte Weise mißbraucht! Du verdientest jene Lektion, da du nicht einmal durch sie klüger geworden bist. – Sie glaubten nicht, dich zu ihrem Verderben zu unterrichten. – Wohl, so soll es sein! Ich eile zu dem Minister. Er ist eben auf dem Landhause, wohin diese Betrüger zusammen in die Falle gehen. Sie sind keiner Schonung wert! Es ist eine Wohltat fürs menschliche Geschlecht, wenn sie nach Verdienst gestraft werden, wenn man sie außerstand setzt, ihre Künste weiter fort zu treiben. Ich eile; der Moment ist entscheidend! Werden sie über der Tat ergriffen, so ist alles bewiesen. Die Steine, die der Marquis in der Tasche hat, zeugen wider ihn; es hängt von dem Fürsten ab, die Schuldigen zu behandeln, wie es ihm recht dünkt, und ich werde mit leeren Versprechungen gewiß nicht hingehalten. Ich sehe mein Glück mit dem Anbruche des Tages hervortreten! Hier ist nicht ein Augenblick zu säumen! Fort! Fort!

      Fünfter Aufzug

      Erster Auftritt

      Nacht.

      Ein Lustgarten. Rechter Hand der Schauspieler eine Laube.

      Der Graf. La Fleur.

      LA FLEUR. Ich höre noch niemand. Es rührt sich nichts im ganzen Garten. Ich bin recht verlegen. Ich habe doch gewiß recht gehört.

      DER GRAF mit anmaßlicher Bedeutung. Du hast recht gehört.

      LA FLEUR. Nun, wenn Sie es selbst wissen, so ist es desto besser; denn Sie können versichert sein, daß ich immer die Wahrheit sage. Um diese Stunde wollte meine Herrschaft hier in diesem Garten sein. Ich weiß nicht, was sie vorhaben. Mit vier Pferden sind sie vor uns weggefahren, und ihr Wagen wird an der kleinen Tür stillhalten. Ich habe Sie deswegen an der andern Seite aussteigen lassen. Ich vermute, der Domherr ist auch hierher bestellt.

      GRAF wie oben. Warte! Er hält seinen kleinen Finger ans Ohr. Dieser Ring sagt mir, daß du gewissermaßen wahr redest.

      LA FLEUR. Gewissermaßen?

      GRAF. Ja. Das heißt: insoferne du es selbst wissen kannst. Ich bin nicht allwissend; aber dieser Ring sagt mir immer: ob die Menschen lügen oder ob sie sich irren.

      LA FLEUR. Wenn ich Ihnen raten sollte – doch Sie wissen schon, was das Beste ist.

      GRAF. Sprich nur! ich will schon sehn, ob du mir das Beste rätst.

      LA FLEUR. Ich dächte, wir gingen sachte diese dunkle Allee hinauf und horchten immer im Gehen, ob wir nicht irgend etwas kommen oder lispeln hören.

      GRAF. Ganz recht. Geh nur voraus und horche, ob der Weg sicher ist.

      Zweiter Auftritt

      DER GRAF allein. Ich begreif es nicht – und nach allen Umständen, die dieser Mensch angibt, ist es höchst wahrscheinlich. Die Marquise bestellt den Domherrn hier heraus; wär es möglich, daß es ihr gelungen wäre, die Prinzessin zu gewinnen? was ich immer für ein albernes Unternehmen, was ich für Lüge und Trug hielt. – Wenn ihr das gelingt, was soll dann dem Menschen nicht gelingen! Er geht von der linken Seite im Grunde ab.

      Dritter Auftritt

      Der Ritter. Der Oberst der Schweizergarde. Sechs Schweizer kommen von der linken Seite aus den vordern Kulissen.

      OBERST der zuletzt herauskommt, nach der Szene. Hier bleibt versteckt und rührt euch nicht eher, es mag sich zutragen, was will, bis ihr Waldhörner hört. In dem Augenblick, da sie stillschweigen, fallt zu und nehmt gefangen, wen ihr im Garten findet. Zu den Schweizern, die auf dem Theater stehn. Ihr gebt auf das nämliche Signal acht. Viere verbergen sich bei der großen Pforte; laßt herein, es komme, wer will, aber niemanden


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