Johann Wolfgang von Goethe: Gesammelte Dramen. Johann Wolfgang von Goethe

Johann Wolfgang von Goethe: Gesammelte Dramen - Johann Wolfgang von Goethe


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      O Gott, was will das heißen?

      »Bis morgen früh kann ich meiner Ungeduld nicht gebieten. In Ihrem Quartier hab ich eine Zeitlang gewohnt und besitze noch durch einen Zufall den Hauptschlüssel. Ich eile nach Ihrer Garderobe; sein Sie ohne Sorgen, es soll mich niemand entdecken, und verlassen Sie sich in jedem Sinn auf meine Diskretion.«

      Ich bin in der entsetzlichsten Verlegenheit! Er wird mich in diesen Kleidern finden! Was soll ich sagen?

      RITTER der aus der Garderobe tritt. Sie verzeihen, daß ich eile; wie hätt ich diese Nacht ruhig schlafen können?

      NICHTE. Mein Herr –

      RITTER sie scharf ansehend. Wie find ich Sie verändert? Welcher Aufputz! Welche sonderbare Kleidung! Was soll ich dazu sagen?

      NICHTE. O mein Herr! ich hatte Sie jetzt nicht vermutet. Entfernen Sie sich, eilen Sie! Meine Tante erwartet mich diesen Augenblick. Morgen früh –

      RITTER. Morgen früh wollen Sie mir vertrauen, und heute nicht?

      NICHTE. Ich höre jemand kommen, man wird mich rufen.

      RITTER. Ich gehe, sagen Sie nur: was stellt das Kleid vor?

      NICHTE. O Gott!

      RITTER. Was kann das für ein Vertrauen sein, wenn Sie mir diese Kleinigkeit verschweigen?

      NICHTE. Alles Vertrauen hab ich zu Ihnen, nur – das ist nicht mein Geheimnis. Dieses Kleid –

      RITTER. Dieses Kleid ist mir merkwürdig genug. Einigemal hat sich die Prinzessin in einem solchen Kleide sehen lassen. Selbst heute haben Ihnen die Geister die Fürstin in diesem Kleide gezeigt, und nun find ich Sie –

      NICHTE. Rechnen Sie mir diese Maskerade nicht zu.

      RITTER. Welche entsetzliche Vermutungen?

      NICHTE. Sie sind wahr.

      RITTER. Die Geisterszene?

      NICHTE. War Betrug.

      RITTER. Die Erscheinungen?

      NICHTE. Abgeredet.

      RITTER. O ich Unglücklicher! O hätten Sie mir ewig geschwiegen! Hätten Sie mir den süßen Irrtum gelassen! Sie zerstören mir den angenehmsten Wahn meines Lebens!

      NICHTE. Ich habe Sie nicht berufen, Ihnen zu schmeicheln, sondern Sie als einen edeln Mann um Rettung und Hülfe anzuflehn. Eilen Sie, entfernen Sie sich! Wir sehen uns morgen wieder. Verschmähen Sie nicht ein unglückliches Geschöpf, das nach Ihnen wie nach einem Schutzgott hinaufsieht!

      RITTER. Ich bin verloren! Auf ewig zugrunde gerichtet! Wüßten Sie, was Sie in diesem Augenblick mir geraubt haben, so würden Sie zittern; Sie würden mich nicht um Mitleid anflehn. Ich habe kein Mitleid mehr! Den Glauben an mich selbst und an andre, an Tugend, Unschuld, an jede Größe und Liebenswürdigkeit haben Sie mir entrissen. Ich habe kein Interesse mehr, und Sie verlangen, daß ich es an Ihnen nehmen soll? Meine Zutraulichkeit ist auf das schändlichste mißhandelt worden, und Sie wollen, daß ich Ihnen trauen soll? Ihnen, einer doppelten, dreifachen Schauspielerin? Welch ein Glück, daß ich diesen Abend hieher kam und Ihnen nicht Zeit ließ, sich vorzubereiten, die Maske anzulegen, mit der Sie auch mich zu hintergehen dachten!

      NICHTE. Ich bin ganz unglücklich! Eilen Sie! Entfernen Sie sich! Man kommt!

      RITTER. Ich gehe, Sie nie wiederzusehen!

      Siebenter Auftritt

      Die Nichte. Der Marquis.

      MARQUIS halb in der Türe. Sind Sie allein, Nichte? Nur ein Wort!

      NICHTE indem der Marquis wieder zur Tür hinaussieht, betrachtet sie sich geschwind im Spiegel. Ich sehe verweint, verworren aus! Was werd ich sagen?

      MARQUIS sie umarmend und fest an sich drückend. Süßes, holdes Geschöpf!

      NICHTE ihn zurückhaltend. Um Gottes willen, Marquis!

      MARQUIS. Wir sind allein, fürchten Sie nichts!

      NICHTE sich von ihm losmachend. Die Marquise erwartet mich.

      Beiseite. Wenn der Ritter noch da wäre!

      MARQUIS. Was haben Sie? Sie sehen ganz verstört aus.

      NICHTE. Ach Gott! Die Zumutungen meiner Tante –

      MARQUIS. Du dauerst mich, liebes Kind; aber ich will dich retten.

      NICHTE. Sie wissen doch, heute nacht soll ich die Rolle der Prinzessin spielen. Es ist erschrecklich! Kommen Sie! Sie sieht sich inzwischen furchtsam nach der Garderobetür um.

      MARQUIS. Bleiben Sie, bleiben Sie, eben deswegen bin ich hier! Spielen Sie heute nacht Ihre Rolle nur gut, Sie haben nichts zu besorgen.

      NICHTE. So lassen Sie uns gehen.

      MARQUIS. Nein doch; ich wollte Ihnen sagen –

      NICHTE. Dazu ist's morgen Zeit.

      MARQUIS. Keineswegs! Sie scheinen diese Abenteuer weniger zu fürchten, als Sie sollten.

      NICHTE wie oben. Ich bin in der größten Verlegenheit!

      MARQUIS. Es steht Ihnen noch etwas Seltsames diese Nacht bevor, an das Sie nicht denken.

      NICHTE. Was denn? Sie erschrecken mich!

      MARQUIS. Daß Sie mit mir wegreisen werden.

      NICHTE. Mit Ihnen?

      MARQUIS. Und das sagen Sie mit einer Art von Widerwillen?

      NICHTE. Ich weiß nicht, was ich sagen soll.

      MARQUIS. Ich werde Sie leicht aufklären. Die Maskerade, zu der Sie angezogen sind, ist nicht ein bloßer Scherz. Meine Frau hat im Namen der Prinzessin den Domherrn um einen wichtigen Dienst ersucht, und Sie sollen die Dankbarkeit der Fürstin gegen den betrogenen Mann ausdrücken.

      NICHTE wie oben in Verlegenheit. Ich soll ihm eine Rose geben.

      MARQUIS. Eine würdige Belohnung für einen solchen Dienst! Denn zu nichts Geringerem hat sich die blinde Leidenschaft des Domherrn bereden lassen, als das schöne Halsband von den Hofjuwelieren zu kaufen.

      NICHTE. Das Halsband?

      MARQUIS. Das wir gestern so sehr bewunderten, als wir diesen Ring kauften.

      NICHTE. Es ist nicht möglich!

      MARQUIS. So gewiß, daß ich schon einen Teil davon in der Tasche habe.

      NICHTE. Sie? Was soll das heißen? – Man könnte horchen.

      MARQUIS. So treten Sie hieher! Er nähert sich der Garderobe. Ja, mein Kind! Der Domherr besaß es kaum eine Viertelstunde; gleich war es in den Händen meiner Frau, um es der Prinzessin noch heute abend zu überliefern. Wie glücklich war das Weib in diesem Augenblick, und ich nicht weniger! Unbarmherzig brach sie die schöne Arbeit voneinander; es tat mir im Herzen weh, den kostbaren Schmuck so zerstört zu sehen, und ich konnte nur durch das herrliche Paketchen getröstet werden, das sie mir zu meiner Reise zubereitete. Ich habe wenigstens für hunderttausend Livres Steine in der Tasche. Ich geh noch heute nach England ab, mache dort alles zu Gelde, schaffe Silbergeschirr und Kostbarkeiten in Menge.

      NICHTE welche bisher die größte Verlegenheit verborgen. Welche gefährliche Unternehmung!

      MARQUIS. Wir müssen jetzt nicht sorgen, sondern wagen.

      NICHTE. Ich wünsche Ihnen Glück!

      MARQUIS. Nein, du sollst es mir bringen! Du sollst und mußt meine Reisegefährtin sein.

      NICHTE. Sie wollen mich dieser Gefahr aussetzen?

      MARQUIS. Die Gefahr ist weit größer, wenn du zurückbleibst. Meine Frau ist verwegen genug, das Märchen, solang es nur gehen will, durchzuspielen. – Bis der erste Zahlungstermin kommt, ja noch weiter, ist sie ziemlich sicher. Indes kann ich dich nicht hier lassen.

      NICHTE. Bedenken


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