Sky-Navy 08 - Der Wrack-Planet. Michael Schenk
Schiff hätte sich dort unbewaffnet in den Weltraum hinaus gewagt, aus Furcht, den Negaruyen zu begegnen.
Hen-Talar blickte in den Weltraum hinaus. Er liebte den Anblick der Sterne und den fremder Welten. Es gab so vieles zu entdecken und er fand es bedauerlich, dass all dies, auf Geheiß der großen Mutter und der Mütter, unter militärischen Gesichtspunkten erfolgte. Sicher, sein Volk befand sich im Überlebenskampf, doch Hen-Talar war zu dem Schluss gekommen, dass die Kriege der Vergangenheit der hohen Vermehrungsrate der Norsun geschuldet waren. Im Augenblick war die starke Vermehrung ein Segen, um die Verluste auszugleichen, doch in Friedenszeiten war sie ein Fluch, denn das Volk musste sich immer weiter ausbreiten. Ein weiterer Fluch war wohl, dass Norsun, Negaruyen und Menschen die gleichen Umweltbedingungen benötigten.
„Ausführende Hand der Seher an das Hoch-Wort: Eines der Fernaugen empfängt das Signal einer Austritts-Schwingung. Ein Schiff tritt in das System ein.“
„Was für ein Schiff?“, fragte Hen-Talar interessiert.
„Die Länge der Schwingung lässt sich nicht genau bestimmen“, antwortete der Ortungsspezialist zögernd. „Ich vermute jedoch ein Schiff der Flachschlitz-Nasen.“
„Negaruyen“, seufzte Hen-Talar. Das Wort glich einem Fluch.
Seine Kandahaar gehörte zu den neuesten Bauten der Flotte, aber sie war nur ein Kreuzer der 200-Meter-Klasse. Gegen ein kleines Schiff des Feindes mochte sie bestehen, aber wenn es ein starkes Kampfschiff war oder gleich mehrere Feinde aus der Schwingung traten…
„Ausführende Hand der Maschine, wann können wir in die Schwingung wechseln?“
Der Ingenieur an der Maschinenkontrolle nannte die Zahl. Nein, die Kandahaar konnte nicht fliehen, noch bevor die Unbekannten aus der Schwingung erschienen.
„Ausführende Hand des Schiffes, bringe uns möglichst schnell und nahe an den Austrittspunkt heran. Ausführende Hand der Stecher, bereite alle Stacheln vor. Wenn es die Negaruyen sind, dann kann uns nur ein harter und schneller Stoß retten.“
Pilot und Waffenoffizier bestätigten.
Hen-Talar tat das Einzige, was ihm zu tun blieb. Die Kandahaar beschleunigte nun mit maximalen Werten, um möglichst dicht an jenen Punkt heranzukommen, an dem der Austrittspunkt des möglichen Gegners lag. So stark die Negaruyen auch waren, ihre Rasse zeigte einen Schwachpunkt: Der Austritt aus der Schwingung machte ihre Besatzungen für kurze Zeit handlungsunfähig. Gelang es Hen-Talar, rechtzeitig und nahe genug heranzukommen, dann konnte er den Feind vielleicht vernichten, bevor dieser zur Gegenwehr kam.
Hen-Talar trat an den Funkoffizier heran. „Ausführende Hand der Sprecher, gib meine Worte an alle Hände des Schiffes: Wir bereiten uns auf ein Stechen mit dem Feind vor. Alle Luftanzüge sind nach Möglichkeit zu schließen, alle Sektoren sind zu versiegeln und die Hände der Bionik sollen die Bions aktivieren und an die Positionen zur Schadenbekämpfung senden.“ Er zögerte kurz. „Und benachrichtige Sker-Lotar. Die Hand des Wissens soll zu mir kommen.“
Da beide Kugeln der Hantel über eigene Triebwerke verfügten, war sie sehr wendig. Sie schwang um ihre Querachse und richtete den Bug zum Austrittspunkt, an dem vermutlich ein Feind erscheinen würde. Die Besatzung eilte auf ihre Manöverstationen und schloss ihre Raumanzüge, zumindest, wenn ihr Dienst dies gestattete. Mancher mochte im Angesicht der Gefahr verfluchen, dass man nur schwer auf die Information durch die Duftmoleküle verzichten konnte. Bionische Impulse mochten schneller als diese Moleküle sein, doch die unzähligen Generationen der Norsun hatten ein so komplexes System entwickelt, dass ein einzelner Duft die Information zahlreicher bionischer Daten enthielt.
„Austritt aus der Schwingung, Herr“, meldete die ausführende Hand der Seher. Der Norsun nannte hastig die erfassten Werte und fügte hinzu: „Es ist ein Schiff der Flachschlitz-Nasen, Herr, und es ist ein neues.“
„Jagdsicht!“, befahl Hen-Talar.
Eine Schaltung verwandelte die Panoramascheibe vor ihm in einen riesigen Bildschirm, der das Objekt vor dem Bug in starker Vergrößerung wiedergab.
Das typische helle Blau der Panzerung eines Negaruyen war unverkennbar. Im Gegensatz zu den glatten Hüllen der Hanteln waren in dem walzenförmigen Körper die zahlreichen Fugen zu erkennen, wo die Bauteile aneinander stießen. Während die alten Walzenschiffe einen zylinderförmigen Mittelteil mit halbkugelförmigen Enden an Bug und Heck aufgewiesen hatten, zeigte dieses Schiff der neuen Baureihe ein deutlich verändertes Design. Der zweihundertvierzig Meter lange und dreißig Meter durchmessende Rumpf wirkte schlanker. Am Bug und in der Mitte befanden sich wulstige Verdickungen, am Heck ein kantiger Kranz, der die Haupttriebwerke beinhaltete. Der bauchige Bug enthielt ein schwächeres Triebwerk, welches die Manövrierbarkeit erhöhte, die Verdickung in der Mitte barg das Kommandozentrum. Unter dem Rumpf, am Ende des vorderen Drittels, war die Kuppel sichtbar, welche die gefährlichste Waffe der Negaruyen enthielt: Den Zersetzer.
Jeder raumfahrende Norsun kannte dessen zerstörerische Wirkung. Niemand konnte bislang sagen, ob es sich dabei um Partikel, eine reine Strahlungsenergie oder sogar Sporen handelte. Man wusste nur, dass der Zersetzer, dort, wo er die Hülle eines Hantelschiffes traf, seinem Namen gerecht wurde. Je nach Intensität zerfiel der Rumpf an der getroffenen Stelle sofort zu Staub oder es breitete sich von dort eine Art Metallfraß aus, der sich rasch über das Schiff ausdehnte. In letzterem Fall gab es noch Hoffnung für die Besatzung, auch wenn sie nicht von einem anderen Schiff aufgenommen werden konnte, da man fürchtete, der Metallfraß könne sonst übertragen wurde. Man konnte jedoch die sogenannte Quarantäne-Welt anfliegen. Mit etwas Glück und genügend Zeit landete man dort, überließ das Schiff seinem Ende und wurde von speziellen Bergungseinheiten an Bord genommen. Es gab nicht wenige Schiffe, die inzwischen von diesem Schicksal ereilt worden waren.
Hen-Talar hatte nur eine Chance, die Kandahaar vor ihm zu bewahren: Den Feind vernichten, bevor dieser zurückschlug. Jene Zeit nutzen, in der er hilflos war und nur die wenigen automatischen Verteidigungssysteme seines Schiffes aktiv werden konnten.
„Ausführende Hand des Schiffes, gehe auf maximale Geschwindigkeit und gehe in Gefechtsposition! Ausführende Hand der Stecher, auf maximale Entfernung stechen! Versuche die Kuppel des Zersetzers zu treffen!“
Bevor die Negaruyen die verheerende neue Waffe entwickelt hatten, kämpften die Hantelschiffe mit dem Bug voran. So boten sie ein kleineres Ziel. Der Zersetzer zwang sie zu einer neuen Taktik: Dem Feind die Breitseite zuzuwenden. Traf der Gegner nämlich den Bug in Längsrichtung, so raste die Zerstörung unaufhaltsam durch das gesamte Schiff. Traf er hingegen nur einen Teil der Breitseite, so breitete sich die Verheerung nur langsam aus und es bestand die Hoffnung, die Besatzung mit Kleinschiffen zu retten oder das dem Untergang geweihte Schiff noch rechtzeitig auf der Quarantäne-Welt zu landen.
Der Kreuzer nutzte seine beiden Haupttriebwerke, um nun zu schwenken und raste mit der Breitseite auf das Walzenschiff zu. In seiner Hülle öffneten sich die Luken, aus denen die Dorne der Projektoren hervor glitten. Der Waffenoffizier der Kandahaar wusste, dass die goldene Energie, in Form der energetischen Wand, nicht gegen den Zersetzer schützte. Er verzichtete darauf, sie zu errichten. Stattdessen programmierte er die Projektoren darauf, aus maximaler Entfernung den Strom goldener Energiekugeln zu formen und, wenn die Kandahaar nahe genug am Feind war, mit den tödlichen Energietentakeln zuzustoßen.
Das Schott zur Zentrale öffnete sich und Sker-Lotar trat ein. Die Hand des Wissens hatte während eines Gefechtes keine feste Position, konnte sich frei bewegen und trug daher den geschlossenen Raumanzug. Man spürte seine Unsicherheit, da er nicht wusste, warum er in die Zentrale befohlen worden war. Eigentlich hatte er hier nichts zu suchen, zumal er nicht ahnte, dass das Hoch-Wort der Kandahaar in ihm einen Seelenverwandten sah. Obwohl Sker-Lotar nur ein einfacher Wissender war, sehnte auch er sich nach neuer Erkenntnis.
„An meine Seite, Sker-Lotar“, sagte Hen-Talar freundlich. „Da du eine Hand des Wissens bist, will ich deine persönliche Meinung zu dem hören, was deine Sinne nun erleben werden.“
Der junge Norsun war nervös, während er an die Seite seines Kommandanten trat. „Meine Sinne können nur unvollkommen wiedergeben, was