Kulllmann kann's nicht lassen. Elke Schwab

Kulllmann kann's nicht lassen - Elke Schwab


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hat in Ihrer Theorie der so genannte Alleinerbe?«, hakte Sven nach.

      »Das wollen wir von Ihnen wissen. Warum diese Eile und Brutalität, wenn Sie am Ende doch alles erben?«, erklärte Erik in einem Tonfall, der Sven Koch zum Schweigen brachte. Jetzt erst merkte der junge Mann, in welcher Situation er sich befand.

      »Ich verlange meinen Anwalt«, sagte er plötzlich.

      »Das steht Ihnen zu.« Erik gab sich geschlagen.

      Claudia wollte nicht so schnell aufgeben, jetzt wo sie ihn am Haken zappeln sah: »Warum wollen Sie einen Anwalt, wenn Sie angeblich nichts zu befürchten haben?«

      Sven Koch schwieg.

      Erik erhob sich und verließ den Raum. Verzweifelt schaute er Anke an, die nur mit den Schultern zucken konnte. Forseti hingegen wirkte enttäuscht und brachte das sogleich zum Ausdruck: »Mussten Sie den Verdächtigen so hart anfassen.«

      »Ich schlage vor, dass wir uns in Walpershofen umhören, wie das Verhältnis zwischen Mutter und Sohn wirklich war«, mischte Anke sich ein, um Erik aus der Patsche zu helfen.

      »Wir werden nicht umhinkönnen nachzuprüfen, ob es diese Lebensversicherung wirklich gegeben hat«, richtete Forseti sich an Anke.

      »Sollte das Verhältnis zwischen Mutter und Sohn wirklich so gut sein, wie Sven Koch es beschreibt, hat er sie nicht aus Geldgier umgebracht«, beharrte Anke.

      »Sie sind hier nicht als Profiler beschäftigt«, konterte Forseti böse. »Machen Sie also die Arbeit, von der Sie etwas verstehen!«

      *

      Claudia Fanroth verließ zusammen mit Sven Koch den Verhörraum. Als der junge Mann heraustrat und Anke sah, bemerkte er: »Schick«,wobei sein Blick gezielt auf ihren Bauch fiel.

      Anke erschrak über diese Frechheit so heftig, dass sie nichts zu entgegnen wusste.

      »Wird es ein Junge oder Mädchen?«, fragte der Mann doch tatsächlich weiter.

      »Es ist wohl besser, Sie gehen jetzt.« Erik stellte sich zwischen ihn und Anke, damit er gar keine andere Wahl hatte, als zu verschwinden. Anke war erleichtert über die spontane Hilfe, denn sie hatte sich von diesem Schnösel überrannt gefühlt. Mit nur einem einzigen Wort war es ihm gelungen, sie aus der Fassung zu bringen.

      Aber Forseti ließ ihr keine Zeit, lange darüber nachzudenken. Sofort bestimmte er, dass Claudia Fanroth und Erik Tenes gemeinsam die Nachbarschaftsbefragungen durchführten. Anke durfte sich mit dem Heraussuchen der Versicherungsgesellschaft, bei der die angebliche Lebensversicherung abgeschlossen worden war, beschäftigen. Weiterhin beauftragte er sie, Akten über die Vergangenheit von Sybille Lohmann herauszusuchen, damit die Ermittler sich ein besseres Bild vom Opfer machen konnten.

      Enttäuscht begab sie sich zuerst zu Fred Feuerstein, dem Aktenführer, und trug ihm ihre Bitte vor. Gemeinsam machten sie sich an die Arbeit. Fred Feuerstein, dessen richtiger Name Manfred Feuer lautete, war schon lange beim Landeskriminalamt beschäftigt und im Laufe der Jahre ein guter Freund von Norbert Kullmann geworden. Anke arbeitete gerade deshalb gern mit ihm zusammen, weil sie von ihm viele interessante Anekdoten aus seiner gemeinsamen Dienstzeit mit ihrem ehemaligen Chef zu hören bekam. Sie hatte leider nur wenige Jahre mit Kullmann zusammengearbeitet, aber diese kurze Zeit war entscheidend für sie geworden. Kullmann hatte ihr nicht nur in beruflichen Dingen weiterhelfen können, er war für sie viel mehr gewesen als ein Vorgesetzter. Während Fred Feuerstein lustig plauderte, wuchs in Anke der Entschluss, Kullmann sobald wie möglich zu besuchen. Er hatte ihr angeboten, immer für sie da zu sein, und nun wollte sie sein Angebot annehmen.

      3. Kapitel

       Erik musste den Umweg über die Lebacher Straße nach Walpershofen fahren. Die Neuhauser Straße über Rußhütte war für die Arbeit des Spurensicherungsteams immer noch gesperrt. Erik hatte Claudia während der Spezialausbildung als verdeckter Ermittler beim Bundeskriminalamt in Wiesbaden kennengelernt. Damals war er noch verheiratet gewesen und Vater einer Tochter. Jedes Mal, wenn er Claudia ansah, sich an ihre gemeinsame Zeit erinnerte, spürte er diesen quälenden Verlustschmerz. Immer noch gab er sich allein die Schuld am Tod seiner Frau, weil er nicht wie versprochen zur Stelle gewesen war, um sie zum Arzt zu fahren. Stattdessen hatte er mit Kollegen so viel getrunken, dass ihm alles egal war, sogar seine Familie. Kathrin, seine Tochter, wäre inzwischen 14 Jahre alt, und sein zweites Kind, ein Junge, zwei. Die Gewissheit, einem Menschen, seinem Sohn, die Möglichkeit zu leben genommen – ihm niemals die geringste Chance gegeben zu haben - quälte ihn. Dabei hatte er sich auf das zweite Kind genauso gefreut wie zuvor auf das Erste. Würde es ihm jemals gelingen, mit dieser Schuld fertig zu werden?

      Als er Claudia Fanroth kennengelernt hatte, befand er sich auf dem Höhepunkt seiner Selbstherrlichkeit. Er war vom Glück verwöhnt: erfolgreich als Kriminalbeamter, die Frauen bewunderten ihn, seine Familie erfüllte ihn mit Stolz – all das war für ihn ganz selbstverständlich gewesen. Er hatte geglaubt, dass ihm alles in die Hände fiel, ohne viel dafür zu tun. Seinem Hochmut verdankte er es, dass er sich auf eine Affäre mit ihr eingelassen hatte. Heute bereute er, sich so gewissenlos verhalten zu haben. Er hatte seine Frau belogen, betrogen und im entscheidenden Moment im Stich gelassen.

      »Was ist mit dir?«, fragte Claudia. »Ich habe dich lebenslustiger und draufgängerischer in Erinnerung.«

      »Das war einmal«, entgegnete Erik knapp. Er hatte keine Lust, Claudia seine wahren Gefühle zu offenbaren. Ihre Beziehung war nur von kurzer Dauer gewesen und hatte sich ausschließlich auf die körperlichen Gelüste konzentriert. Warum also sollte er sich ihr anvertrauen. Im Grunde genommen kannte er sie gar nicht.

      »Entschuldige, wenn ich dir zu nahegetreten bin.«

      Erik schwieg daraufhin. Rasch fügte sie an: »Wir haben uns doch mal gut verstanden. Warum kann das heute nicht mehr so sein?«

      »Ich habe doch gar nichts gesagt.«

      »Eben. Ich möchte, dass du etwas zu mir sagst.«

      »Der Zeitpunkt zum Reden ist denkbar schlecht. Wir müssen die Nachbarn des Opfers befragen, das geht nun mal vor«, entgegnete Erik schroff.

      Sybille Lohmanns Haus stand weit von der Herchenbacher Straße zurückgesetzt, so dass es von Fremden leicht übersehen werden konnte. Eine lange Einfahrt führte darauf zu, die mit Bäumen und Sträuchern gesäumt war. Laub verteilte sich über dem Zufahrtsweg, was dem Haus eine Atmosphäre von Trostlosigkeit und Vernachlässigung verlieh. Der Wind wirbelte einige Blätter auf und wehte neue aus den Bäumen hinzu. Sie klingelten am Haus rechts daneben. Eine ältere Dame öffnete die Tür. Sie stellten ihre Frage nach dem Verhältnis zwischen Mutter Sybille und Sohn Sven, woraufhin die Alte sofort losplapperte: »Also diese beiden waren schon seltsam. Der Junge hatte niemals gleichaltrige Freunde oder Freundinnen. Die meiste Zeit hat er bei seiner Mutter verbracht.«

      »Was ist daran so seltsam?«, fragte Erik.

      »Sven hatte keine Freundin, zumindest keine, von der ich weiß. Aber wenn Sybille Besuch von drei jungen Damen bekam, dann benahm er sich immer, als sei er der Hahn im Korb. Dabei waren die Besucherinnen zu Sybille gekommen und nicht zu ihm. Das gab häufig Streit.«

      »Wer waren die drei Frauen?« Claudia zückte sogleich ihren Notizzettel.

      »Die eine habe ich sofort erkannt, das war Susi Holzer, die Hebamme aus unserem Dorf. Susi hatte sich nebenbei als Babysitterin ein bisschen Geld verdient. Sie liebt Kinder über alles.«

      »Ist Susi Holzer in ihrer Funktion als Hebamme oder Babysitterin zu Sybille Lohmann gekommen?«

      »Da war plötzlich ein Baby, keiner wusste Genaueres darüber«, grübelte die Alte. »Etwas ist dort passiert. Ich weiß leider nicht mehr genau was. Was ich aber beobachten konnte ist, dass Susi und Sybille heftigen Streit bekommen hatten. In letzter Zeit habe ich Susi nicht mehr gesehen. Nur noch die beiden anderen, Annette Fellinger und Rita Rech. Sie besuchten Sybille gelegentlich, aber diese Besuche wurden auch immer seltener.«

      »Wie


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