Kulllmann kann's nicht lassen. Elke Schwab

Kulllmann kann's nicht lassen - Elke Schwab


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den Ereignissen des Tages war Anke so aufgewühlt, dass sie heute Abend auf keinen Fall allein sein wollte. Also fuhr sie kurz entschlossen zu Kullmanns Haus in Saarbrücken-Schafbrücke. Hoffentlich traf sie ihn zu Hause an. Es regnete in Strömen, als sie sich durch den dichten Verkehr quälte. Die roten Rück- und Bremslichter der vor ihr fahrenden Autos spiegelten sich so oft auf der nassen Straße, dass es vor ihren Augen flimmerte.

      An Kullmanns Haus fiel ihr auf, dass das Dach neu gedeckt worden war. Die Ziegel leuchteten rot – schon wieder rot.

      Etwas nervös klingelte sie. Seit er im Ruhestand war, hatten sie sich nicht mehr gesehen. Wie würde er ihren Überfall nun empfinden? Würde er sich freuen, wie er es ihr immer beteuert hatte?

      Die Tür ging auf und da stand er vor ihr. Er trug eine hellgraue Weste, die gemütlich und warm aussah, dazu eine dunkelgraue Hose und Pantoffel. Sein Blick war zuerst erstaunt und wandelte sich sofort in hocherfreut.

      »Anke, wie schön Sie zu sehen. Kommen Sie rein.« Seine Augen leuchteten vor Freude.

      Erleichtert folgte sie seiner Aufforderung und ging durch den langen Flur ins Wohnzimmer. Dort saß Martha im Sessel. Die kleine, rundliche Frau begrüßte Anke mit einer liebevollen Umarmung. Kullmann stand hinter den beiden und beobachtete den Anblick voller Herzlichkeit und Wärme.

      »Das ist ja eine Überraschung«, beteuerte er nochmals. »Wie geht es Ihnen und dem Kind?«

      »Uns geht es bestens.« Anke lachte.

      »Wissen Sie schon, was es wird?«, fragte Martha.

      »Nein, bei den Untersuchungen lag das Kind immer so ungünstig, dass der Gynäkologe nichts Genaues erkennen konnte.«

      »Martha und ich waren schon in Sorge, dass Sie sich nicht mehr bei uns melden wollen. Lange ist es jetzt her, dass wir uns das letzte Mal gesehen haben«, stellte Kullmann fest.

      Das musste Anke sofort widerlegen: »Keinesfalls, ich wollte Ihnen einfach nicht zur Last fallen. Ein junges Glück darf man nicht stören.«

      Kullmann und Martha lachten, wehrten jedoch sofort ab, sich durch Anke belästigt zu fühlen.

      »Was haben Sie in ihrem neuen Lebensstand so gemacht?«, fragte Anke. »Ist es Ihnen nicht langweilig geworden ohne uns?«

      »Ich habe als erste gute Tat nach meinem Abschied das Dach meines Hauses neu decken lassen. Es war schon so alt, dass es fast reingeregnet hätte.«

      »Das habe ich gesehen.«

      »Dann hat Martha etwas Kultur in meinen Garten gebracht. Dabei habe ich ihr geholfen. Aber nun wollen wir mehr von Ihnen hören. Ihr Leben ist mit Sicherheit viel spannender als unseres.«

      Das nahm Anke zum Anlass von dem aktuellen Fall zu berichten. In dieser Zeit verzog Martha sich in die Küche, um das Abendbrot zuzubereiten.

      Der erfahrene Kriminalist hörte sich Ankes Schilderungen genau an, dachte lange nach, bevor er sagte: »Der Name Kurt Lohmann sagt mir etwas. Leider kann ich mich nicht mehr genau erinnern, was. Aber bestimmt gibt es eine Akte über ihn.«

      Anke berichtete ihm, dass Kurt Lohmann am 11. September im World Trade Center in New York umgekommen war. Kullmann zuckte mit den Schultern und meinte: »Kaum bin ich in Pension, gerät die Ordnung in meinem Gehirn durcheinander. Jetzt erinnere ich mich, dass Kurt Lohmann der einzige Saarländer war, dessen Identität unter den Opfern festgestellt werden konnte. Den Bericht hatte ich sogar auf meinem Schreibtisch.«

      Sie berichtete weiter.

      »Das hört sich nach Unfall mit Fahrerflucht an. Warum wird die Mordkommission dazugeschaltet?«, fragte er nun genau das, was Anke nicht hören wollte.

      »Weil der Verdacht besteht, dass Sybille Lohmann schon tot war, als der Unfall passierte.«

      »Vermutet Forseti also, dass mit dem Fahrzeugbrand Spuren vernichtet werden sollten?«

      »Er will sich zunächst absichern, ob ein Unfall mit Fahrerflucht vorliegt, bevor er weitere Schritte unternimmt.«

      »Was vermuten Sie?«

      Anke zögerte etwas, bis sie endlich von ihrer eigenmächtigen Handlung berichtete, die sie in große Schwierigkeiten gebracht hatte. Kullmann hörte sich alles in Ruhe an und bemerkte dann: »Vielleicht schaut ihr einfach nur an der falschen Stelle nach.«

      »An welcher Stelle sollen wir denn suchen?«

      »Am Ort des Geschehens muss es einen Hinweis geben, liebe Anke. Nur weil Forseti ihn nicht sieht, heißt das nicht, dass er nicht da ist. Ist denn an der Unfallstelle nach Reifenspuren gesucht worden?«

      »Das weiß ich nicht«, gab Anke zu.

      »Finden Sie es heraus. Je länger ich über Ihre Version des Falles nachdenke, umso überzeugter bin ich, dass sich an der Unfallstelle mehr abgespielt hat als ein Unfall mit Fahrerflucht.«

      Ankes Aufregung wuchs. Es war wieder wie in der guten alten Zeit, als sie noch gemeinsam an einem Fall herumgebastelt hatten, bis alles zusammenpasste. Nun musste sie dafür ihren Feierabend nutzen, aber das war es ihr wert. Nur durch gemeinsames Rätseln und gemeinsame Gedankenspiele konnte sie in diesem Fall weiterkommen.

      »Sybille Lohmann wollte fortgehen, aber ihr Sohn war dagegen«, wiederholte Kullmann noch einmal Ankes Details.

      »Ja! Aber die Tote saß auf dem Beifahrersitz.«

      »Also wollte Sybille Lohmann nicht allein fortgehen. Es muss in ihrem Leben einen neuen Mann gegeben haben. Es muss doch in der Nachbarschaft zu erfahren sein, wer dieser neue Mann ist.«

      »Ich werde morgen früh mit Erik darüber sprechen. Vielleicht hat er bei seiner Nachbarschaftsbefragung heute Nachmittag etwas darüber erfahren.«

      »Zunächst sollte sich die Untersuchung darauf konzentrieren«, schlug Kullmann vor.

      »Forseti vermutet, dass Sybille Lohmanns Sohn, Sven Koch, der Fahrer des Wagens war.«

      »Wie kommt er darauf? Sie sagten doch, dass der Sohn gegen eine Abreise seiner Mutter war.«

      »Sven Koch hat sich auffällig verhalten, was ihn natürlich verdächtig macht. Sonst hat Forseti keinen Verdächtigen.«

      »Wurde der Zeuge Emil Tauber überprüft?«

      »Noch nicht. Nachdem ich diese Szene in Susi Holzers Haus beobachtet habe, bin ich mir nicht sicher, welche Rolle er in diesem Fall spielt«, gestand Anke ihre Bedenken.

      »Der Erste, den es gilt zu überprüfen, ist immer der Zeuge. Es gibt die erstaunlichsten Beweggründe, warum jemand einen Unfall oder einen Mord meldet. Häufig habe ich die Erfahrung gemacht, dass sich mancher Verdächtige als Zeuge gemeldet hat, um damit von sich selbst abzulenken. Deshalb ist es unbedingt wichtig, Emil Tauber unter die Lupe zu nehmen.«

      Anke nickte und ärgerte sich gleichzeitig, dass sie nicht selbst darauf gekommen war.

      Martha betrat das Zimmer mit Platten voller verlockender Köstlichkeiten. Sie stellte sie auf den Tisch, eilte hinaus und kehrte mit anderen Leckerbissen zurück. Nun erst merkte Anke, dass sie Hunger hatte. So schnell sie konnte stand sie auf und half Martha den Tisch zu decken. Es wurde ein herrlicher Gaumenschmaus für Anke, die sich wenig Zeit dafür ließ, ein gutes Essen zuzubereiten. Es machte ihr einfach keinen Spaß, allein zu essen. Umso wohler fühlte sie sich nun in der Gesellschaft dieser beiden wunderbaren Menschen. Sie aß viel mehr, als sie eigentlich wollte, lachte viel und vergaß dabei die Zeit. Als Martha begann, den Tisch abzuräumen, meinte der Gastgeber: »Martha, Liebes, bleib doch einfach hier bei uns. Der unaufgeräumte Tisch stört uns nicht!«

      Anke stimmte zu: »Im Gegenteil. So sieht es erst richtig urgemütlich aus.«

      »Ihr seid euch ja einig«, lachte Martha. »Wie in der guten alten Zeit.«

      Wehmütig dachte Anke daran, dass ihr Kullmann jeden Morgen fehlte. Der Gang zur Arbeit war früher immer das größte Erlebnis für sie. Heute spürte sie wie es war,


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