Kulllmann kann's nicht lassen. Elke Schwab

Kulllmann kann's nicht lassen - Elke Schwab


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an Polizei beobachtete. Er erklärte sich sofort bereit zu helfen, wo er konnte. Dass ihn dabei am meisten die Neugier antrieb, war den Polizeibeamten nur zu deutlich. Sie öffneten die Haustür und traten ins Innere. Geruch von Staub und Moder schlug ihnen entgegen. Das Licht beleuchtete den Flur nur spärlich, so dass die Beamten ihre Taschenlampen zur Hilfe nehmen mussten. Das angrenzende Wohnzimmer zeigte eine Verwahrlosung, die unwillkürlich Mitleid hervorrief. Wie konnten Menschen unter solchen Bedingungen leben? Der Tisch war unter dem Durcheinander, das sich darauf stapelte nur zu vermuten, die Sessel und die Couch waren zerschlissen und stellenweise schaute das Innenfutter und einige Federn heraus. Die Tapete war vergilbt, die Schränke teilweise notdürftig repariert. Das Geschirr, das sich durch die Öffnungen, die nicht mehr zu schließen waren, abzeichnete, war gesprungen und voller brauner Flecken. Eine alte Stereoanlage stand auf einem Sideboard, aber ohne Kabel. Mehrere Schallplatten ohne Hüllen verteilten sich um den Schrank, die Schranktür stand halb offen und ließ Zigarettenpackungen erkennen.

      »Kein Geld, aber Rauchen«, stellte Erik fest. »Wie verträgt sich das?«

      »Das mit dem Geld wollen wir herausfinden. Wenn er es wirklich auf die Lebensversicherungssumme abgesehen hat, müsste ein Hinweis darauf zu finden sein«, bestimmte Forseti mit angeekeltem Gesichtsausdruck. Eine Wanduhr schlug im gleichen Augenblick die volle Stunde, so dass beide erschreckt zusammenzuckten.

      Erik ging weiter in die Küche, die seine Vorstellung an Unordnung übertraf. Verschmutztes Geschirr lag in der Spüle, ein benutzter Teller stand noch auf dem kleinen Tisch, eine leere Bierflasche daneben. Stubenfliegen versammelten sich dort trotz der kalten Jahreszeit und labten sich an den Abfällen. Der Geruch in diesem Zimmer war noch unerträglicher. Erik war dankbar für die Handschuhe, die sie bei Durchsuchungen tragen mussten. Der Ofen war ein alter Gasofen. Auf einer Platte stand ein Kessel voller Wasser. Der Kessel war sauber. Neugierig drehte Erik an den Gasknöpfen. Bis auf eine Platte funktionierten alle. Vorsichtig öffnete er alle Schubläden, die klemmten oder ganz herausfielen, so dass sich der Inhalt auf dem Boden verteilte. Er eilte hinaus und stieg vorsichtig die alte Treppe hinauf ins Obergeschoss. Jede Stufe knarrte beängstigend unter seinen Füßen. Das Schlafzimmer wirkte aufgeräumt, das Bett war ordentlich gemacht, der Zustand des Schranks war gut. Aber er war fast leer. Nur vereinzelte Kleidungsstücke hingen dort. Die Kommoden waren ebenfalls leergeräumt. Erik erinnerte sich daran, dass sich in Sybilles Wagen Koffer befunden hatten, weil sie verreisen wollte. Trotz des aufgeräumten Zustandes drang der unangenehme Modergeruch auch in dieses Zimmer. An den Tapeten entdeckte Erik dunkle Flecken, die den Eindruck hinterließen, dass das Dach nicht dicht war; Wasser drang durch die Wände. Im benachbarten Zimmer befanden sich die gleichen dunklen Flecke und der gleiche Geruch. Mit Sicherheit befand er sich nun im Zimmer von Sven Koch. Dieses Zimmer war tadellos eingerichtet und aufgeräumt. Eine Frisierkommode stand in einer Ecke neben dem Fenster. Die Kleiderschränke waren ordentlich eingeräumt und enthielten gute, sogar teure Anzüge, die in diesem Ambiente fehl am Platz wirkten. Ein Durchgang führte von diesem Zimmer in ein kleines Badezimmer, das eine Menge über Sven Kochs Gewohnheiten verriet. Hier erst erkannte Erik, wie es für den jungen Mann möglich war, in diesem Haus zu leben und einen gepflegten Eindruck zu hinterlassen. Sorgfältig durchsuchte er alles, aber ohne Ergebnis. Enttäuscht fuhr er zurück zur Dienststelle.

      *

      Schnell huschte Erik in Ankes Büro und meinte: »Wir haben freie Bahn. Forseti ist immer noch bei der Hausdurchsuchung.«

      Anke lachte über Eriks spitzbübisches Verhalten und fragte: »Was erhofft er sich, dort zu finden? Das besagte Feuerzeug?«

      »Ich weiß es nicht. Vielleicht vermutet er Sven Koch unter den Bodendielen«, spekulierte Erik grinsend.

      »Aber schon filetiert und eingetütet«, trieb Anke den Spott weiter.

      »Hoffentlich vererbst du diesen rabenschwarzen Humor nicht an dein Kind weiter. Aber nun zu deinem Plan. Hier stehe ich dir voll und ganz zur Verfügung. Was hast du vor?«

      Anke berichtete von dem Gespräch mit Annette Fellinger, Rita Rech und Susi Holzer, wobei sie ihre neueste Information über Susi Holzers Vergangenheit anfügte.

      »Und was soll ich dabei tun?«

      »Mich begleiten. Ich habe den Eindruck, dass Rita und Annette oberflächlich waren, als ich ihnen meine Fragen stellte. Ihr Gekicher zeigte mir, dass sie die Situation nicht ernst nehmen. Ich möchte wetten, dass sie sich anders verhalten, wenn ein Mann dabei ist.«

      »Nun gut, dann sollten wir uns auf den Weg machen, bevor der Chef zurückkommt«, schlug Erik vor.

      *

      Die Neuhauser Straße war wieder frei, die Arbeit der Spurensicherung beendet. Als sie die Unfallstelle erreichten, hielten sie an. Sie stiegen aus, überquerten die Straße und betrachteten sich den schmalen abschüssigen Streifen zwischen Bäumen und Sträuchern, den Abgrund, den das Auto hinuntergestürzt war. Es war schon erstaunlich, dass der Wagen genau an dieser Stelle von der Straße abgekommen war, weil es nur an dieser Stelle möglich war, bis ganz hinunter zu fallen. Heute erinnerte nur noch ein dunkler Rußfleck auf der Erde daran, dass dort ein schweres Unglück geschehen ist.

      »Welche Rolle spielt Emil Tauber in dieser Sache?«, fragte Erik.

      »Das ist eine gute Frage. Rita, Annette und Susi waren über seinen Besuch nicht gerade erfreut – um nicht zu sagen erschrocken.«

      »Erschrocken?«

      »Ja, das ist das Erstaunliche. Das könnte doch bedeuten, dass Emil etwas gesehen hat und die drei damit unter Druck setzt«, spekulierte Anke.

      »Du hältst es also für möglich, dass Emil Rita, Susi und Annette erpresst?« Erik klang skeptisch.

      Anke zögerte, bevor sie die Schultern zuckte: »Ich glaube, ich habe mich wirklich in etwas verrannt.«

      »Das werden wir noch feststellen. Zunächst einmal möchte ich die Frauen kennen lernen.«

      Sie stiegen ins Auto.

      »Es gibt in Saarbrücken und Umgebung mehr Natur, als ich vermutet habe. Ich dachte immer, hier sei die Hochburg an Stahlwerken und Hochöfen«, dachte Erik laut, während er in ruhigem Tempo durch die kurvenreiche Straße weiter fuhr.

      »Das war einmal. Im Saarland gab es früher noch mehr Stahlindustrie. Viele Stahlwerke mussten schließen, weil die Produktion nach der Stahlkrise stagnierte. In Saarbrücken gibt es noch die Halberger Hütte. In Völklingen gab es die Röchling-Hütte. Sie bestand aus einem Hochofen, einer Gebläsehalle und einem Pumpenhaus, wurde 1980 stillgelegt und zu einem Museum umfunktioniert – das Weltkulturerbe. Die Hütte in Neunkirchen ist auch nur noch teilweise in Betrieb, der andere Teil wurde ebenfalls zu einem Museum umfunktioniert.«

      »Mir gefällt in dieser Stadt die Gegensätzlichkeit von dörflichem Charakter in beschaulicher Idylle und Großstadthektik. So abwechslungsreich ist es nicht in Köln. Dort herrscht überwiegend Großstadthektik. Wenn man Natur sehen will, muss man hinausfahren zum Grünen Ring, der die gesamte Stadt einrahmt, oder zu den Parkanlagen. Aber die sind nicht natürlich entstanden, sondern angelegt worden.«

      In Walpershofen angekommen, passierten sie die ersten Häuser, fuhren unter der Bahnunterführung durch und bogen in die Herchenbacher Straße ein. Sie trafen Rita und Annette gemeinsam bei Annette zu Hause an. Die Wohnung lag in einem großen schmucklosen Doppelhaus in der ersten Etage mit Balkon auf der Rückseite, der eine Aussicht über den Ort Riegelsberg bot. Große Fenster ließen viel Licht herein, helle Möbel und viele Spiegel ließen die Lichtflut noch deutlicher zur Geltung kommen. Die ganze Einrichtung war modern. Am Eingang befand sich eine Garderobe, die aus einem kunstvoll geformten Chromgestell bestand. Die Möbel wiesen ungewöhnliche Formen auf. Kein Stück glich dem anderen. Dekorative Accessoires wie kleine Vitrinen, Glastische und Halogenlampen setzten besondere Akzente in diesem raffiniert ausgestatteten Ambiente. Die Küche war groß und an einer langen Seite komplett mit hellgrauen Schränken ausgestattet. In der Mitte stand ein ovaler, schwarzer Tisch eingerahmt von verchromten Stühlen, die zwar passend aber ungemütlich aussahen. Dort bat Annette ihre Besucher, Platz zu nehmen. Als Anke


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