Geliebter Unhold. Billy Remie
auf Kaceys Tisch liegen lassen. Es war ein Band über allerlei verrufene Zauberei, darunter auch, wie man totes Gewebe wieder lebendig macht. Ein Buch, das Kacey längst hätte zurückschmuggeln müssen, wovon ihn seine verdammte, gefährliche Neugierde abgehalten hatte.
»Wir brauchen keine Zustimmung, wenn wir uns selbst schützen müssen!«
Wie gerne er ihm zustimmen würde. Doch Kacey wich ihm gekonnt aus: »Es würde sicher nicht jedem gefallen, wenn wir verbotene Zauberei in der Akademie lehren und somit alle, die hier Schutz suchen, zu Mittätern machen.«
Der junge Mann seufzte enttäuscht, er schüttelte den Kopf. »Ich denke, wir sollten uns wehren und diesen Hexenjägern zeigen, dass wir nicht hilflos sind. Genau wie der dunkle Prinz in Nohva!«
»Riath«, - Kacey konnte nicht erklären warum, aber er hasste es, wenn Riath als dunkler Prinz bezeichnet wurde - »hat gewiss seine Gründe gehabt, zurückzuschlagen. Sie haben ihm keine Wahl gelassen, Gewalt ist ausgebrochen und er kam mit einer Armee, um die Ausschreitungen zu beenden.«
Der Student sah ihn mit klugen Augen direkt an. »Und hätten nicht viel mehr Menschenleben gerettet werden können, hätte König Wexmell ihm gestattet, seine Übermacht schon zuvor einzusetzen, um die Ausschreitungen gar erst zu verhindern?«
Kacey wusste, dass er eine Position besetzte, die ihm die Pflicht auferlegte, seine jungen Schüler zu besänftigen und ihnen mit weisem Rat zu begegnen. Doch er nickte, bevor er sich davon abhalten konnte. Er war nur ein paar Jahre älter als sie, hatte seine Prüfungen schneller abgeschlossen als je ein Magier vor ihm, war der jüngste Oberste Magister aller Zeiten und hatte jeden Abschluss mit Bestleistung absolviert. Sie sahen zu ihm auf, und sein Herz war genauso jung und feurig wie ihres, wenn es darum ging, ihre Zunft in Schutz zu nehmen.
Natürlich hätten Menschen gerettet werden können, hätte man in Nohva früher gehandelt. Doch in einer Ecke seines Herzens wollte er so nicht denken. Er wollte vernünftig sein und ein Sprecher des Friedens, versuchte angestrengt, seine eigene Wut über die Ungerechtigkeit, mit der man seinesgleichen behandelte, niederzuringen und objektiv zu bleiben.
Doch es fiel ihm zunehmenden schwerer und er musste sich mehr denn je eingestehen, dass man nicht immer der war, der man gerne wäre. Das Herz wollte, was es wollte, und seines sehnte sich nach Gerechtigkeit und nach mehr Respekt gegenüber der Magie.
Die Wahrheit war, dass er Riath bewunderte, für das, was er war und für seine Entschlossenheit. Und ja, er hasste sich dafür, denn Riath war kein guter Mann, er intrigierte, er verriet, er ging über Leichen. Das war Kacey genauso bewusst, wie die Tatsache, dass alles nur noch schlimmer kommen würde, wenn die Magier sich gegen ihre Feinde auflehnten.
Denn je mehr man ihnen nachsagte, eine beständige Gefahr für die Normalsterblichen zu sein, je mehr mussten sie zeigen, wie friedlich sie waren.
Riaths Handlungen waren unter den Magiern gefeiert, gelobpreist, aber Kacey wusste, dass sie auch dazu führten, dass sich das Bild des bösen Magiers verstärkte. Dass Riaths Mut zum Einsetzen der Magie dazu führte, dass sie alle noch mehr gefürchtet wurden.
Man hielt Riath bereits für einen Gott – einen Gott, der sie alle in die Knechtschaft zwingen könnte.
Und doch war er auch ein Schild, ein Vorbild, ein … Retter.
Denn für die Magier fühlte es sich derzeit an, als müssten sie sich nackt und mit Kissen als Schilden gegen ein gepanzertes, bis an die Zähne mit scharfen Klingen bewaffnetes Heer stellen. Und wehe dem, der einen Stein warf, um sein Leben zu verteidigen, derjenige würde aufgrund der Tatsache niedergestreckt, dass sich zu wehren für einen Magier immer den Tod bedeutete.
»Der dunkle Prinz«, eine andere Schülerin erhob zaghaft das Wort und suchte Kaceys Blick, »es heißt, er sei ein Dämon oder gar ein Dämonenfürst. Dass man ihn nicht töten kann und dass viele seiner Getreuen ihn mit ihren Seelen speisen und danach willenlose Untote sind. Ist das wahr?«
Alle Blicke ruhten auf ihm, ein halbes Dutzend Studenten warteten auf seine Einschätzung. Er konnte nicht sagen, ob er Furcht oder Begeisterung in die Augen dieser jungen Magier las, es war eine Mischung aus beidem, würde er behaupten.
Riath war unter den Magiern ein Lauffeuer, das in jeden Verstand eingedrungen war. Er war ein lebendiger Mythos, etwas, über das heiß debattiert wurde. War er gut oder böse? War er mächtig oder übertrieben die Geschichten?
Wer war er denn nun, dieser dunkle Prinz.
Kacey hasste es, dass er dieser Tage immer häufiger diesen Namen hörte. Prinz Riath M`Shier, Sohn des Blutdrachen, Erbe Nohvas. Dunkler Hexenprinz. All die Gespräche über ihn, das Geflüster an jeder Ecke der Akademie. Immer wieder die Erinnerung an ihn und das Wissen, dass er Riath auf eine Art kannte, wie es sich seine Schüler nicht vorstellen konnten. Sie wussten, dass Kacey zusammen mit ihm gereist war, dass er mit ihm zusammen das Götterportal geschlossen hatte.
Sie wussten nicht, dass sie sich geliebt hatten, dass sie sich in den Armen gelegen und sich gegenseitig bis auf den Grund ihrer Seelen geblickt hatten. Sie hatten keine Ahnung, wie verräterisch sich sein Herz zusammenzog, wann immer er nach Riath gefragt wurde.
Kacey musste den Kopf schütteln, um sich in die Gegenwart zurückzubringen. »Er…«, begann er und versuchte, unbeteiligt zu klingen, »ist gewiss eine … einzigartige Persönlichkeit.«
Milde ausgedrückt.
»Aber Ihr seid mit ihm gereist!«, drängte der junge Student, der die meiste Zeit redete und offensichtlich der Mittelpunkt der Gruppe war, denn ob Jungen oder Mädchen, sie alle schienen ihn und seine schönen dunklen Augen und dunklen Haare anzuhimmeln. »Wie ist er so? Ist er wirklich böse, oder wird er nur dazu gemacht?«
Kacey hob die Augenbrauen, während er die Decke anstarre, auf der sie saßen. Sie hatte schöne Stickereien und war gewiss von einer tüchtigen Schneiderin gefertigt worden.
War Riath böse? Gute Frage, die er sich jeden Tag selbst mehrfach stellte, er grübelte manchmal nächtelang darüber.
Aber was war schon Böse und Gut, wer bestimmte das, und konnte man die Welt wirklich in Gut und Böse einteilen?
»Wie ist er wirklich?«, wollten seine Studenten von ihm wissen und warteten gespannt auf seine Antwort, wie Vogelküken, die vor der Mutter saßen und warteten, dass sie das Essen verteilte.
Wie war Riath wirklich…
Arrogant, schnöselig? Egoistisch? Ja, manchmal. Gierig, temperamentvoll? Auf jeden Fall. Nervtötend. Unbändig. Unbeugsam. Er ließ sich nicht so einfach abwimmeln und er akzeptierte kein Nein – außer von seinem Vater, der nicht mehr lebte. Er war ungezähmt, ungeschliffen. Aber Kacey hatte ihn auch aufopfernd erlebt. Selbstsicher, fürsorglich, heldenhaft. Stark. Verwirrt, verletzlich und auch sanft, auf seine Art. Er war ein Beschützer. Er war humorvoll. Intelligent, charmant, eine strahlende Sonne, die wärmte und die verbrannte.
»Er…«, Kacey starrte noch nachdenklich auf die Decke, bemerkte die verwirrten Blicke nicht, während sich seine Lippen zu einem geheimnisvollen Lächeln verzogen, »… hat ein Herz aus goldenen Flammen.«
~4~
Liebster Riath,
ich versuche seit drei Tagen, die richtigen Worte zu finden. Es ist nun ein halbes Jahr her, dass du ohne ein Wort des Abschieds nach Hause gereist bist. Mir ist bewusst, dass du eine schwere Zeit durchmachen musst, dass du den Verlust deines geliebten Vaters betrauerst. Er war ein großer Mann, Riath, so wie du es nach ihm sein wirst. Ich bin mir dessen sicher. Als wir uns liebten, und verzeih meine romantische Beschreibung, habe ich gespürt, dass du dich davor fürchtest, in seine Fußstapfen zu treten und dann zu versagen. Du hast dich immer an ihm orientiert und jetzt fragst du dich, wer du ohne ihn bist. Hab keine Furcht davor, der zu sein, der du bist. So übel ist der Mann nicht, den ich gesehen habe. Der wahre Mann, er ist stark und er ist gewiss einzigartig.
Riath, ich weiß nicht, ob du